Künftig soll viel genauer dokumentiert werden, welche Hilfe tatsächlich geleistet wurde. Opposition sieht schwere Versäumnisse des Senats. Bilder zum Fall.

Nach dem Tod der unterernährten neun Monate alten Lara aus Wilhelmsburg zieht der Bezirk Mitte erste Konsequenzen und will die vom Jugendamt beauftragten Betreuer sehr viel strenger kontrollieren. "Künftig muss es von jedem Besuch eines Betreuers in einer Familie Protokolle geben, die gegengezeichnet werden müssen", kündigte Bezirkschef Markus Schreiber (SPD) an. Damit soll sichergestellt werden, dass die vom Steuerzahler finanzierten Leistungen auch tatsächlich erbracht werden. Bisher hatten sich die Behörden ohne Prüfung auf die Angaben der Jugendhilfe-Einrichtungen verlassen.

Der Bezirk will damit die Schwachstellen beseitigen, die im Fall Lara offensichtlich geworden sind. Wie berichtet, war die evangelische Stiftung Rauhes Haus beauftragt worden, Lara und ihre Mutter Jessica R. fünf Stunden pro Woche zu betreuen. Wie oft und wie lange die zuständige Sozialarbeiterin tatsächlich vor Ort war, ist bisher aber völlig unklar. "Die interne Dokumentation des Falls wurde uns immer noch nicht vorgelegt", betont Schreiber. Nach Angaben von Denis C., dem Lebensgefährten von Laras Mutter, war die Betreuerin in der Regel einmal wöchentlich für 20 Minuten da. Schreiber: "Das wäre natürlich viel zu wenig. Zur Beurteilung müssten wir allerdings zunächst mit der Betreuerin sprechen." Bisher verweigert die Sozialarbeiterin auf Anraten ihres Anwalts die Aussage, weil die Polizei gegen sie ermittelt.

Generell gilt zurzeit in der Jugendhilfe eher das Prinzip von "Treu und Glauben". Das heißt: Die Betreuer haben lediglich "Stundenzettel" geschrieben, um den tatsächlichen Aufwand nachzuweisen. Das ist keineswegs überall üblich - in der ambulanten Pflege alter Menschen etwa müssen höchst umfangreiche Protokolle über jedes Detail geführt werden. Bezirksamtsleiter Schreiber hält die Kontrollen künftig aber für unerlässlich. "Notfalls würden wir das auch im Alleingang einführen", sagt er.

So weit muss es gar nicht kommen. Grundsätzlich gibt es auch in der Sozialbehörde Überlegungen dieser Art. "Zunächst müssen wir aber die offenen Fragen klären, um gegebenenfalls umfassende Konsequenzen ziehen zu können", sagte Behördensprecherin Jasmin Eisenhut.

Ebenfalls zu klären ist nach der Sondersitzung des Jugendausschusses, ob und welche schriftlichen Vereinbarungen und Berichte es zwischen Rauhem Haus und Jugendamt über die Betreuungsleistungen gegeben hat. Entgegen der Aussagen von Senator Wersich soll es zumindest doch einen schriftlichen Auftrag des Jugendamts an das Rauhe Haus gegeben haben. Wie Markus Schreiber im Gespräch mit dem Abendblatt sagte, gebe es einen schriftlichen Auftrag vom 15. September 2008. Darin ist nach Abendblatt-Informationen unter anderem festgelegt, dass die Betreuerin die Familie bei Behördengängen unterstützen, bei Fragen zum Umgang mit einem Neugeborenen beraten, Wohnung und Wohnumfeld kontrollieren sowie Hilfestellung in der Situation nach der Geburt geben soll. Details, ob die Betreuerin sich Lara zum Beispiel regelmäßig ohne Kleidung ansehen musste, sind darin allerdings nicht festgehalten. Dies liegt nach Aussagen des Bezirks im Ermessen der Betreuerin. Uwe Mann van Velzen, Sprecher der Stiftung Rauhes Haus, betonte, dass die Begutachtung ohne Kleidung zum einen nicht in das Leistungsspektrum einer fünfstündigen Betreuung gehöre und zudem ein Eingriff in die elterliche Sorge wäre. Fragen zu internen Berichten über die Betreuung konnte er - ohne Gespräch mit der Sozialarbeiterin - noch nicht beantworten.

Die Bürgerschaftsfraktionen waren nach der Sondersitzung gleichermaßen irritiert darüber, dass es scheinbar keine ausreichende Dokumentation der Leistungen nach einheitliche Standards für die Betreuung gibt. Die Vorsitzende des Ausschusses, Carola Veit (SPD), sagte: "Der Fall Lara macht einen Skandal deutlich: Nach wie vor gibt es in Hamburg keine verbindlichen Vorsorgeuntersuchungen. Hierfür trägt Senator Wersich die volle politische Verantwortung." Die CDU und ihre Senatoren hätten aber nach der entsprechenden Empfehlung des "Sonderausschusses Jessica" drei Jahre Zeit gehabt, die U-Untersuchungen verbindlich zu machen. Ein Gesetzentwurf der SPD-Fraktion für verbindliche Vorsorgeuntersuchungen wurde zweimal von der CDU abgelehnt. Auch die Linke spricht von einem "offensichtlich mangelhaften Berichtswesen zwischen dem freien Träger und dem Jugendamt". Kersten Artus (Die Linke) nannte es "unfassbar, dass ein Kind stirbt, obwohl die Familie vom Hilfesystem der Stadt erfasst" gewesen ist. Sie forderte, "das Netz betreuender Unterstützung sofort engmaschiger" zu ziehen. Auch Martina Kaesbach (FDP) kritisierte: "Es geschehen trotz der von der Sozialbehörde eingeleiteten Maßnahmen nach dem Fall Jessica offenbar immer noch schwere Mängel bei der Festlegung, Dokumentation und beim Controlling einer Hilfeplanung."