Hamburger Abendblatt:

Herr Prof. Walter, trifft das Wort von der Freien und Abrissstadt Hamburg zu?

Prof. Jörn Walter:

Dieses Wort hat in den 50er- und 60er-Jahren wohl zugetroffen. Mitte der 70er-Jahre hat dann das Bewusstsein eingesetzt, dass man den Wert der historischen Stadt zu schätzen begann, und seitdem trifft das Wort nicht mehr zu. Vieles ist da deutlich besser geworden. Es gibt bei der Bevölkerung eine größere Sensibilität und die Forderung, dass man behutsam mit alten Häusern umgeht. Das finde ich sehr gut.



Abendblatt:

Wie kommt es dann, dass die Menschen überall in den Stadtteilen das Verschwinden historischer Gebäude beklagen, zum Beispiel in Ottensen oder auf St. Pauli?

Walter:

In vielen Quartieren gibt es faktisch eine Mischung aus Alt und Neu, die aber nicht dem Milieuschutz unterliegt. Aber gerade in diesen Gebieten ist dann bei den Menschen die Bindung an die verbliebenen alten Häuser besonders eng. Diese Gebäude sind im Bewusstsein der Menschen Milieu-prägend, und dann wird es tatsächlich und juristisch immer besonders schwierig, wenn abgebrochen wird.



Abendblatt:

Sie gelten als jemand, der nichts vom rückwärts gewandten Bauen hält. Sind Sie auch ein heimlicher Gegner des Bewahrens?

Walter:

Ich bin ein unbedingter Verfechter der Forderung, das zu erhalten, was wir an wirklich historischen Beständen haben. Ich bin aber auch entschieden der Auffassung: Dort, wo wir neu bauen, müssen wir in der Sprache unserer Zeit bauen und auch nach den Bedürfnissen der Zeit. Ich halte nichts von Rekonstruktionen, künstlerisch sind diese eine Armutserklärung unserer Generation.



Abendblatt:

Viele Hamburger beklagen, dass zu wenig für den Schutz alter Gebäude getan wird. Viele Bauwerke werden als denkmalwürdig eingestuft und verschwinden dann doch.

Walter:

Wir müssen da in der Tat deutlich mehr tun als bisher. Aktuell haben wir alle Bezirke aufgefordert zu prüfen, wo es neben den bereits geschützten Gebieten über Denkmalbereiche und Milieuschutzgebiete hinaus noch Bereiche gibt, die wir schützen müssen. Die Bezirke stellen jetzt Listen zusammen und geben Empfehlungen ab. Ich möchte aber auch mal deutlich sagen, dass es immer mehr Fälle gibt, in denen wir wertvolle Bausubstanz retten. Es ist uns gerade gelungen, am Mittelweg und gegenüber vom Rathaus die Bauherren zu überzeugen, die historischen Fassaden zu erhalten. Auch eine alte Fassade vom Neuen Wall wurde abgebaut und eingelagert. Und sie wird wieder am alten Platz stehen.



Abendblatt:

Es gibt aber auch ganz andere Fälle. Bei vielen Gebäuden bleiben nur winzige Teile der Fassade stehen, und der Rest des Hauses wird völlig neu gebaut. Das hat doch nichts mehr mit Erhaltung zu tun. Ein besonders krasser Fall war das Mollersche Palais an der Rothenbaumchaussee.



Walter:

Denkmalschutz hat in der Tat auch die Aufgabe, die oftmals wechselvolle Geschichte eines Hauses zu bewahren und zu dokumentieren. Im Fall des Mollerschen Palais wäre ich froh gewesen, wenn die Beteiligten frühzeitiger miteinander ins Gespräch gekommen wären. Das war ärgerlich und unnötig. Aber wie gesagt, wir werden jetzt mehr tun und genauer hinschauen.



Abendblatt:

Aktuell ist jetzt auch die "New-York Hamburger Gummi-Waaren Fabrik" gefährdet - eigentlich ein klassisches Industriedenkmal ...

Walter:

Dort haben wir das Problem mit der Schadstoffbelastung. Ich plädiere in diesem Fall dafür, die Außenhülle unbedingt zu erhalten. Nötigenfalls sollte dort ein Haus im Haus gebaut werden.