Sie standen mehr als eine Stunde lang in der Kälte an. Fast 6000 Menschen ließen sich am Freitag in der Bucerius Law School Blut abnehmen. 120 Ärzte, Schwestern und Sanitäter im Einsatz. Helenes Vater: “Ich bin stolz, dass ich zu so einer Stadt gehören darf.“ Bilder von der kleinen Helene. - Hamburger helfen - die Bilder.

Es war eine der größten Typisierungsaktionen, die es in Deutschland je gab. Es ist ein Zeichen von Menschlichkeit und Mitgefühl. Ein Beweis, wie die Menschen in Hamburg und Umgebung zusammenhalten. Für einander da sind, wenn jemand in Not ist. Hilfe braucht. So wie die drei Monate alte Helene aus Winterhude, die Leukämie hat.

Um einen geeigneten Stammzell- oder Knochenmarkspender für das Baby zu finden, haben sich gestern fast 6000 Menschen in der Bucerius Law School als Spender registrieren lassen. Der Andrang war so groß, dass die Aktion kurzfristig um eine Stunde verlängert wurde.

Es ist 13.15 Uhr. Schon 45 Minuten vor dem Beginn treffen die ersten potenziellen Spender ein. Als die schweren Eingangstüren um kurz vor 14 Uhr geöffnet werden, reicht die Schlange bereits einmal um den Campus herum bis zur Jungiusstraße. 15 Minuten später ist die Warteschlange mehr als 300 Meter lang und geht bis zum Gorch-Fock-Wall. Ein Ende ist nicht absehbar. Aus allen Richtungen strömen die Menschen zur Bucerius Law School und stellen sich geduldig hinten an. Es sind junge Mütter und Väter, Schüler und Berufstätige. Es sind Menschen wie Melanie Plewka (31) aus Altona, die mit Ehemann, Kindern und Eltern zur Registrierung gekommen ist und sagt: "Wir haben Glück, dass unsere Kinder gesund sind. Wir wissen aber, dass auch sie irgendwann einmal krank werden und auf Hilfe angewiesen sein können. Deswegen helfen wir." Es sind Menschen wie Johann Zell (18) aus Eimsbüttel, der irgendwann Zivildienst machen, aber jetzt schon Menschen beistehen will. Es sind Menschen wie Ingrid Heinsen (59), die selbst zu alt zum Spenden ist, aber Geld und ein Geschenk vorbeibringt. Es sind Menschen, die mehr als eine Stunde draußen in der Kälte warten müssen. Nur langsam schiebt sich die Schlange über den Campus. Doch niemand murrt, niemand beklagt sich. Alle wissen: Hier geht es um ein Baby, das Hilfe braucht. Hamburgs Hilfe. Und die Menschen wollen helfen. Die Füße sind kalt, aber die Herzen warm. "Dieser Anblick hat mich wirklich überwältigt", sagt Helenes Vater Johannes (34). Er ist kurz vorbeigekommen - und konnte im ersten Moment gar nicht glauben, dass all die Menschen auf der Straße zur Bucerius Law School wollten, um Helene zu retten. "Sie können sich gar nicht vorstellen, was das für ein Gefühl für uns Eltern ist. Dass sich Fremde so für einen einsetzen", sagt er. Die Familie lebt erst seit einem Jahr in Hamburg. Doch gestern habe er sich zum ersten Mal als Hamburger gefühlt. "Ich bin stolz, dass ich zu so einer Stadt und solchen Menschen gehören darf. Danke! Danke, Hamburg!".

Mit 500 Spendern, vielleicht 1000, hatten die Eltern gerechnet. Mehr hatten sie nicht zu hoffen gewagt. Weil die Erfahrung gezeigt hat, dass gerade in Großstädten die Menschen schwer zu begeistern seien. Was die Helfer dann im Laufe des Nachmittags und Abends erlebten, überstieg selbst die Erwartung der Deutschen Knochenmarkspenderdatei. Die DKMS organisiert jährlich rund 500 Typisierungsaktionen, doch was Geschäftsführer Stephan Schumacher (42) in Hamburg erlebte, war einzigartig. "Es ist unbeschreiblich, wie sich die Stadt für Helene einsetze. Ich wünschte, das würden andere auch tun." Alle 45 Minuten erkrankt in Deutschland ein Mensch an Leukämie - doch nur die Wenigsten bekommen so viel Hilfe und Unterstützung wie Helene.

Bereits in den ersten zwei Stunden wurden 1600 Menschen registriert. 120 Ärzte und Schwestern waren in zwei Schichten im Einsatz, um 60 Menschen gleichzeitig Blut abzunehmen. "Als ich erfahren habe, dass für die Aktion Ärzte gebraucht werden, bin ich sofort eingesprungen. Ich selbst stehe der Knochenmarkspende zwar etwas ambivalent gegenüber, aber ich freue mich, auf diese Weise helfen zu können", sagt Anna Mruk-Kalh (46), Ärztin aus Altona. Ein paar Tische neben ihr nimmt Marina Hilschenz (27) aus Barmbek Blut ab. Sie hat gerade erst ihr Medizinstudium beendet und ist glücklich, sich an der Aktion beteiligen zu dürfen.

Das sagen alle. Alle Ärzte, Schwestern und Sanitäter. Alle Helfer, die Kaffee ausschenken, Brötchen verteilen. Und alle Spender. Dass sie froh sind, helfen zu können. Dass es sie glücklich macht. "Liebe Helene, es war mir eine Ehre, für Dich in der Schlange gestanden zu haben", schreibt Carmen Steinbeck ins Gästebuch, das in der Bucerius Law School ausliegt. Die Menschen wollen Helene nicht nur ihr Blut, ihre Stammzellen, spenden. Sondern Hoffnung. Leben. Dutzende hinterlassen im Gästebuch und auf der Internetseite " www.hilfe-fuer-helene.de " Nachrichten. Es sind Nachrichten wie die von Thorsten: "Noch nie stand ich so gerne in der Kälte wie heute." Nachrichten wie die von Katja: "Es ist wunderbar, wenn Menschen so viel bewegen können. Das hat mich sehr berührt und gibt einem doch Hoffnung." Und es sind Einträge wie der eines Studenten der Bucerius Law School: "Hamburg - yes we can!"

Sie drücken aus, was viele denken, und doch nicht in Worte fassen können. Weil sie überwältigt sind. Überwältigt von dem Anblick von 70 Polizeischülern, die geschlossen zur Registrierung antreten. Überwältigt von Dutzenden von Müttern, die sich mit Babys auf dem Arm Blut abnehmen lassen. Weil Mütter zusammenhalten müssen. "Was in uns vorgeht, kann man nicht mit Worten beschreiben", sagt Jan-Philip Wilde (26). Er ist Helenes Onkel und hat wie seine Schwester an der Bucerius Law School studiert. Als er von der Krankheit seiner kleinen Nichte erfuhr, unterbrach er seine Promotion, um voll für Helene da zu sein. "Nichts ist jetzt wichtiger." Inzwischen ist es dunkel geworden. Kalt. Doch noch immer stehen Hunderte an, um sich als Spender registrieren zu lassen. Für Helene und andere, die eine Stammzellspende brauchen. Damit ihr Leben nicht zum Kampf ums Überleben wird. Anfang kommender Woche werden die Blutspenden zur Auswertung nach New York geflogen, in vier Wochen liegen die Ergebnisse vor. Dann wissen wir, ob ein geeigneter Spender für Helene gefunden wurde. Was wir jetzt schon wissen: Hamburg steht hinter Helene. Jetzt und in Zukunft.


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