Die Genossenschaften bauen vermehrt hochpreisige Wohnungen und fallen damit allerdings als Sozialpartner der Hansestadt aus.
Hamburg. Die Vorwürfe haben es in sich. "122 Wohneinheiten, gekennzeichnet durch günstige Mieten, sollen weichen - für einen Neubau, dessen Mieten bis zu dreimal höher sein sollen!", heißt es auf der Internetseite der Bürgerinitiative Rettet Elisa. Gut 200 Mieter haben sich in Hamm zusammengeschlossen und streiten für ihre Wohnanlage aus den 20er-Jahren.
Das klingt nach einer der üblichen Auseinandersetzungen zwischen einem Investor, der langjährigen Mietern die günstige Wohnung streitig machen will. Das Besondere am Fall Elisa ist jedoch: Hier streiten Mitglieder einer Hamburger Wohnungsgenossenschaft mit dem Vorstand ihrer Genossenschaft.
Wohnungsgenossenschaften gelten gemeinhin als die Guten auf Hamburgs engem Wohnungsmarkt. 200.000 Mitglieder haben sie in der Hansestadt. 130.000 der insgesamt rund 890.000 Wohnungen bieten sie an: meist zu günstigen Mieten, oft in sehr guter Qualität und nicht selten in den derzeit angesagten citynahen Stadtvierteln.
Doch die Zeiten haben sich geändert. Bauexperten beobachten seit einigen Jahren, dass Genossenschaften in Hamburg bei Neubauten ihr Investitionsverhalten verändert haben. Während früher ausschließlich Sozialwohnungen errichtet wurden, wird mehr und mehr hochpreisig gebaut.
"Der Ursprungsgedanke, warum Genossenschaften einst gegründet wurden, ist partiell nicht mehr vorhanden", sagt Siegmund Chychla, stellvertretender Vorsitzender des Hamburger Mietervereins. Vielmehr unterbreiteten Genossenschaften vermehrt, "Angebote für finanzstarke Mieter".
+++ Hamburg will Anstieg der Mieten bremsen +++
"Dem Gemeinwohl verpflichtet" - das Selbstverständnis der Wohnungsgenossenschaften deckt sich zwar mit der öffentlichen Wahrnehmung. Aber die Realität ist eine andere. An erster Stelle stehen die eigenen Mitglieder. Die Satzungen schreiben das vor. Und bislang war das kein Problem, weil die Genossenschaften über Jahrzehnte vor allem günstige Wohnungen anboten.
Der Grund dafür: Ihre Mitgliedschaft stammte überwiegend aus einfachen Verhältnissen. Zum Ausgang des 19. Jahrhunderts - die Lebensbedingungen für ärmere Menschen war verheerend - boten Wohnungsgenossenschaften einen Ausweg. Nachdem 1889 ein entsprechendes Gesetz erlassen und langfristige wie zinsgünstige Kredite gewährt wurden, stieg ihre Zahl deutschlandweit auf 1402 im Jahr 1914.
Doch jetzt sind die Genossen, nicht zuletzt weil Mitgliedschaften vererbt werden, wohlhabender geworden. "Viele unserer Mitglieder verfügen über ein so hohes Familieneinkommen, sodass sie keinen Anspruch auf geförderten Wohnraum haben", sagt Holger Kowalski, Vorstandsmitglied des Altonaer Spar- und Bauvereins (Altoba). Daher müsse man nicht geförderte Wohnungen vorhalten.
Hinzu kommt, dass Sozialwohnungen in ihrer Größe beschränkt sind. "Eine Dreizimmerwohnung darf beispielsweise maximal 75 Quadratmeter groß sein, sonst entfällt die Förderung", sagt Kowalski. Vor allem jüngere Genossen aber wollen mehr Platz. "Mindestens 80 Quadratmeter."
Die Krux dieser Entwicklung: Wer beim Bau von Wohnungen in Hamburg auf die staatliche Förderung verzichtet, kann wegen der hohen Kosten einen Quadratmeter nicht unter 11 Euro vermieten. "Bauen ist teuer", sagt Michael Pistorius vom Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen.
Hinzu kommt, dass die Genossenschaften professioneller mit ihrem Wohnungsbestand umgehen. Fragt man Vorstandschefs nach ihren Zielen, sprechen sie gern von ihrem "Portfolio" und davon, den Wohnungsbestand "zukunftsfähig" machen zu wollen. "Es riecht bei uns nicht mehr nach Bohnerwachs", sagt einer und lacht.
Nicht zuletzt müssen auch bei der Neuvermietung bestehender Wohnungen die Bedürfnisse der Genossenschaftsmitglieder besonders berücksichtigt werden. Experten sprechen gern von einer "konservativen Belegung" und von "Mittelschichtwohnen".
Damit aber fallen Genossenschaften bei der Schaffung preisgünstigen Wohnraums immer häufiger als "Partner" der Stadt aus. Um es positiver auszudrücken: Größer werden die Chancen für Wohnungssuchende mit klammem Geldbeutel dadurch nicht.
Der Mieterverein schätzt, dass in Hamburg derzeit bis zu 40 000 Wohnungen fehlen. "Wir sprechen von einem ausgeglichenen Wohnungsmarkt, wenn das Angebot die Nachfrage um drei bis fünf Prozent übersteigt", sagt Vereinsvize Chychla.
Eine Entspannung der Situation ist auf mittlere Sicht unwahrscheinlich. Nach Angaben der Stadtentwicklungsbehörde wurden im vergangenen Jahr 1074 Sozialwohnungen bezugsfertig. Das sind lediglich 29 Prozent der 2011 gebauten 3729 Wohnungen.
Die Stadt versucht gegen den Trend anzugehen. Wird eine städtische Fläche verkauft, müssen darauf mindestens 30 Prozent der Geschosswohnungen Sozialwohnungen sein. Auch nach privaten Flächen hat die Stadt die Hand ausgestreckt. Wer Baurecht haben will, muss mindestens ein Drittel in den sozialen Wohnungsbau investieren.
Außerdem erhöht die Stadt den Druck auf ihr eigenes Wohnungsunternehmen Saga GWG. Der Konzern muss jedes Jahr 3000 sozialwohnungsberechtigte Haushalte mit Wohnraum versorgen - unabhängig davon, über wie viele Sozialwohnungen er verfügt.
Zu guter Letzt fährt die Stadt die Mittel für den sozialen Wohnungsbau hoch. Bausenatorin Jutta Blankau (SPD) verkündete vergangene Woche, dass in diesem Jahr 2000 Sozialwohnungen - 1200 im ersten Förderweg, 800 im zweiten - gebaut werden sollen.
Das Problem: Der erste Förderweg reizt die Genossenschaften wenig. Sie haben bereits überdurchschnittlich viele sehr günstige und kleine Wohnungen in ihrem Bestand. Auch der zweite Förderweg wird von den Genossenschaften bislang nicht angenommen. So wurde in diesem Jahr für den zweiten Förderweg noch keine Wohnung bewilligt.
In den vergangenen fünf Jahren habe der Verein 300 Wohnungen bauen lassen, sagt Kowalski. Davon war eine Hälfte gefördert. "Es ist aber nicht unser Ansinnen, durch Bau frei finanzierter Wohnungen Leute mit geringem Einkommen draußen zu halten."
+++ Mietenspiegel +++
Auch Petra Böhme vom Arbeitskreis Hamburgischer Wohnungsbaugenossenschaften betont die soziale Verantwortung der Genossenschaften. "Der Stadt ist an einem gesunden Mix gelegen", sagt sie und meint ein ausreichendes Angebot an Sozialwohnungen wie einen Mix an Bauherren.
Eine Änderung der Situation ist allerdings nicht in Sicht. Warum auch? Bei allen Genossenschaften gebe es Wartelisten, sagt Petra Böhme. "Bei nachgefragten Stadtteilen sind sie besonders lang." Der Altoba-Chef spricht von "10.000 Interessenten in unserer Datei". Dabei verfügt der Verein nur über 6600 Wohnungen.