Die Hamburger Bürgerschaft einigt sich auf mehr Rechtssicherheit bei Plebisziten. Die Spendenpraxis soll transparenter werden.
Hamburg. Beim Thema direkte Demokratie suchen alle fünf Bürgerschaftsfraktionen gern die Gemeinsamkeit und außerdem den Schulterschluss mit dem Verein "Mehr Demokratie": Bereits zum zweiten Mal haben sich SPD, CDU, Grüne, FDP und Linke auf einen interfraktionellen Antrag zu Reformschritten bei den Plebisziten verständigt. Jetzt geht es um Volksbegehren und -entscheide auf Landesebene. Ende Januar hatten sich die fünf auf neue Regeln bei Bürgerbegehren und -entscheiden auf Bezirksebene geeinigt. In beiden Fällen saß die Initiative "Für faire und verbindliche Volksentscheide - Mehr Demokratie" mit am Verhandlungstisch.
Im Kern geht es bei den jetzt vereinbarten Neuregelungen darum, Volksabstimmungen rechtssicherer zu machen. Wenn der Senat aufgrund der behördlichen Rechtsprüfung erhebliche Zweifel daran hat, dass ein Thema eines Volksentscheids zulässig ist, dann muss er nach dem Willen der Bürgerschaft in Zukunft das Hamburgische Verfassungsgericht anrufen.
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Konkret: Im Fall der aktuellen Volksinitiative "Unser Hamburg - unser Netz" gab es diese Zweifel, trotzdem hat der Senat das höchste Gericht nicht angerufen. Sowohl die Senatskanzlei als auch die Finanzbehörde hatten Bedenken, weil diese Initiative in erheblichem Maße haushaltswirksam ist: Für den kompletten Erwerb der Energieversorgungsnetze müssen rund zwei Milliarden Euro aufgewendet werden.
Das Risiko einer verfassungsmäßigen Überprüfung wollte der frühere CDU-geführte Senat dennoch nicht eingehen. Falls das Gericht die Volksinitiative für rechtmäßig erkannt hätte, wäre Rückenwind für die Initiatoren die Folge gewesen. "Es darf nicht der politischen Opportunität unterliegen, ob die Zulässigkeit geprüft wird oder nicht", heißt es jetzt dazu in dem interfraktionellen Antrag. Per Gesetz soll auch festgeschrieben werden, dass das Gericht frühzeitig, und zwar vor dem Volksbegehren, angerufen werden muss.
Außerdem will die Bürgerschaft die Spendenpraxis transparenter gestalten. Parallel zum Parteiengesetz müssen Volksinitiativen in Zukunft die Namen der Spender von 500 Euro an aufwärts offenlegen. Im Prinzip galt diese Regel schon jetzt, allerdings gab es ein Schlupfloch. Ein Verein konnte mit dem Spendensammeln beauftragt werden und trat dann als ideeller Gesamtspender auf. Wer konkret wie viel gespendet hatte, blieb so im Dunkeln. Diese Praxis hatte für Kritik an der erfolgreichen Volksinitiative "Wir wollen lernen" gegen die Einführung der sechsjährigen Primarschule gesorgt.
Schließlich sollen die Bedingungen, unter denen ein Referendum abgehalten wird, deutlicher als bisher festgelegt werden. Ein Referendum kann immer dann eingeleitet werden, wenn die Bürgerschaft ein vom Volk beschlossenes Gesetz ändert, was rechtlich möglich ist. Im Referendum werden dann die Änderungen dem Volk direkt zur Abstimmung vorgelegt - eine solche Regelung gibt es nur in Hamburg. Außerdem sollen die Möglichkeiten, zu einem Kompromiss zwischen Bürgerschaft und Volksinitiativen zu kommen, gestärkt werden.
Praktisch wird der Senat mit dem gemeinsamen Antrag der fünf Fraktionen aufgefordert, einen Gesetzentwurf zu erarbeiten. Damit soll eine Lücke geschlossen werden: Einige der jetzt vereinbarten Regelungen stehen seit 2008 zwar schon in der Verfassung, aber das Volksabstimmungsgesetz war nicht entsprechend geändert worden. Ein endgültiger Beschluss der Bürgerschaft ist für September vorgesehen.
"Mit diesem Gesetz werden Volksentscheide besser abgesichert", sagt Grünen-Verfassungsexperte Farid Müller. SPD-Fraktionschef Andreas Dressel freut sich über die parteiübergreifende Einigkeit bei der Festlegung der Spielregeln für Volksentscheide: "Das stärkt unsere Demokratie." CDU-Verfassungsexperte André Trepoll spricht von einem "Plus an Rechtssicherheit, das im Sinn aller Beteiligten sein dürfte". Frank Teichmüller von der Initiative für faire und verbindliche Volksentscheide sieht "eine neue, respektvolle Qualität des Umgangs der Politik mit den Bürgern", weil die Verhandlungen der Initiative mit der Bürgerschaft "auf Augenhöhe" stattgefunden hätten.