Kai Thomsen, 47, war Drucker beim insolventen Hamburger Traditionsbetrieb Broschek. Abendblatt.de hat ihn und seine Familie besucht.
Hamburg. Die Hallen sind menschenleer, es ist still auf den langen Gängen. Lücken klaffen zwischen den Druckmaschinen. Die ersten Anlagen sind bereits verkauft. "Es ist ein komisches Gefühl, noch einmal hierherzukommen", sagt Kai Thomsen. Ganz allein steht der 47-Jährige oben auf den stählernen Laufrosten der Druckmaschine sieben, an der er 23 Jahre lang für die Hamburger Traditionsdruckerei Broschek gearbeitet hat.
Immer im Wechsel von Früh-, Spät- und Nachtschicht. Rund um die Uhr. Sogar Ostern und Weihnachten. Bis zu 400 000 Prospekte in vier Farben spuckten die acht Druckwerke in einer Acht-Stunden-Schicht aus. Thomsen richtete die Maschine ein, überwachte Knöpfe und Schalter und prüfte die Qualität der an ihm vorbeilaufenden Kataloge und Zeitschriften. Im verglasten Steuerstand fühlte er sich "wie zu Hause", wie er sagt. Und nie kam es dem gelernten Offsetdrucker in den Sinn, dass sein Arbeitsplatz in Gefahr geraten könnte. Nun ist Thomsen arbeitslos.
Zusammen mit der Muttergesellschaft, der Freudenstädter Schlott-Gruppe, musste das Unternehmen im Januar vorläufige Insolvenz anmelden. Bis zum 12. April hofften die 150 Beschäftigten noch auf einen Investor. Schließlich aber kam nicht einmal eine Qualifizierungsgesellschaft zustande, weil dem Unternehmen jegliches Geld fehlte. Wirtschaftssenator Frank Horch und die Arbeitsagentur organisierten für die mehr als 200 Mitarbeiter der Druckerei und der angeschlossenen Weiterverarbeitung zumindest Kontakte zu anderen Arbeitgebern. Aber nur 90 Beschäftigte fanden neue Jobs. Drucker waren kaum darunter. Von den Spezialisten ist eine Handvoll im Werk verblieben. Sie bereiten an diesem Vormittag Maschinen und Einzelteile für den Verkauf vor. Thomsen gehört nicht zu ihnen. Er kommt nur auf Besuch.
Sein Blick fällt jetzt auf Heinos Kaffeeecke. Einen Platz, an dem über Jahre hinweg ein Kollege für die gesamte Schicht Getränke aufbrühte. Die beiden Kaffeemaschinen sind verschwunden. Nur noch ein leerer Tisch mit einer einzigen Tasse steht dort. "Wir haben über Jahre bei Broschek nicht nur als Kollegen zusammengearbeitet, wir sind auch Freunde geworden", sagt Thomsen über die gute alte Zeit. Manchmal ging es nach der Spätschicht um 22 Uhr gemeinsam ins Kino oder man traf sich zum Grillen. Wohl fühlt er sich in der vertrauten, aber leeren Halle nicht mehr. Er spüre Existenzangst, sagt Thomsen, der nur wenige Straßen entfernt in Meiendorf wohnt. In der Arbeitsagentur hat man ihm wenig Hoffnung gemacht. Immerhin sind derzeit nur 22 Stellen für Drucker frei, während 379 arbeitslos gemeldet sind. Mehr als 15 Bewerbungen hat Thomsen bereits geschrieben. Er sucht im Umkreis von 50 Kilometern, würde aber auch noch weiter fahren. Bislang sind aber nur zwei Absagen angekommen.
Für sich, seine Frau Marion, 44, und die Töchter Natascha, 19, und Nathalie, 21, bleiben noch 67 Prozent des früheren Grundgehalts von ehemals 2300 Euro netto. Allein die 90-Quadratmeter-Wohnung kostet 800 Euro. Zum Glück verdient seine Ehefrau an drei Tagen in der Woche bei einer Luftfahrtfirma noch etwas dazu. "Wir haben aber schon Versicherungen beitragsfrei gestellt und den geplanten Urlaub in Spanien auf unbestimmte Zeit verschoben", sagt die gelernte Buchhalterin.
Der Familienvater sitzt zu Hause neben seiner Frau und den beiden Töchtern in dem gemütlich eingerichteten Wohnzimmer. Die Thomsens taugen als Vorzeigefamilie. Beide Töchter wohnen noch zu Hause, sie haben 2010 Abitur gemacht, jeden Abend essen alle vier zusammen, reden. Die Eltern sind seit 1989 verheiratet. "Nachdem Kai arbeitslos wurde, sind wir noch enger zusammengerückt", sagt Marion Thomsen. Ihr Mann nickt. Beide sind sich einig, dass die Töchter studieren sollen. Nathalie will sich für Kunst einschreiben, Natascha überlegt, ob sie Naturwissenschaften oder ein Ingenieurstudium wählen soll. Solche Pläne jedoch geraten wegen der Arbeitslosigkeit ins Wanken. Trotz aller Probleme soll Natascha im Sommer als Au-pair-Mädchen in die USA, legt sich Thomsen fest. "Daran wird nichts verändert."
Sein Leben jedoch muss sich ändern. Bisher stand stets die Arbeit bei Broschek im Mittelpunkt. Thomsen kam sogar aus dem Urlaub ins Werk zurück, wenn Not am Mann war. "Für mich lief immer alles wie am Schnürchen, warum hätte ich einen anderen Weg wählen sollen?" Vielleicht hätte er gehen müssen, als bei Broschek vor zwei Jahren schon einmal 150 Stellen wegfielen und damals Abfindungen von bis zu 100 000 Euro gezahlt wurden. "Da hat mich meine Familie noch überredet, weiterzumachen. Wir haben geglaubt, dass die Zukunft bei der Druckerei sicher ist", sagt er. Es war ein Irrtum.
Noch kurz vor dem ersten Insolvenzantrag von Broschek zum Jahresbeginn hat Thomsen, der mehrfach pro Woche ins Fitnesscenter geht, das Rauchen aufgegeben. "Hoffentlich hält er das durch bei dem nervlichen Stress", sagt Nathalie und schaut ein wenig besorgt zu ihrem Vater. Am leichtesten würde ihm das wohl fallen, wenn er schnell einen neuen Job finden würde.