Der Tod Bin Ladens legitimiert nicht jede Intervention.
Der Massenmörder ist tot, und die Welt, jedenfalls die westliche, reagiert euphorisch. An Ground Zero jubeln Menschen, deren Leben am 11. September 2001 ein anderes wurde. US-Präsident Obama sieht Gerechtigkeit am Werk, Kanzlerin Merkel erkennt einen entscheidenden Schlag gegen al-Qaida und die Spitzen der EU, Barroso und Van Rompuy, erklären die Erde zu einem sichereren Ort.
Bin Ladens Ende ist ein doppelter Erfolg: für das amerikanische Militär, das den Terrorführer nach zehn Jahren doch noch aufspürte. Und für Obama, der einlöste, was Vorgänger Bush versprach: Wer Amerika angreift, wird dafür bezahlen. Der archaische Akt könnte Obama davor bewahren, als schwacher Präsident in die Geschichte der Vereinigten Staaten einzugehen.
Die Genugtuung darf aber nicht zu falschen Schlüssen verleiten. Al-Qaida bleibt fähig, Schrecken zu verbreiten - auch in Deutschland und erst recht in Afghanistan, wo sich die Bundeswehr um Stabilität bemüht.
Bin Laden war eine Leitfigur, die ihre Mitstreiter inspirierte. Die Planung von Anschlägen übernehmen längst andere: regionale Suborganisationen des Netzwerks oder einzelne Terrorzellen. Manche werden versuchen, ihren Führer zu rächen. Die Annahme, Deutschland hätte Grund, seine Terrorgesetze zu lockern, ist daher naiv. Bin Ladens Tod erleichtert auch nicht die Aufgabe, die Rückverwandlung Afghanistans in eine Operationsbasis für den internationalen Terrorismus zu verhindern. Die Mission am Hindukusch ist noch lange nicht erfüllt.
Fatal wäre, wenn die Euphorie über die erfolgreiche Militäraktion in neue Machbarkeitsfantasien mündete, wie sie vor dem Irakkrieg 2003 das Handeln der USA und wichtiger Verbündeter bestimmten. Das Ergebnis des Feldzugs: Ein grausamer Diktator verschwand, doch gelang es al-Qaida, im Irak eine Basis zu errichten. Ähnliches befürchten Sicherheitsbehörden für Libyen, wo die Nato - in eigenwilliger Interpretation des Uno-Mandats - offenbar den Enthauptungsschlag gegen Gaddafi versucht. Syrien, auch dort geht ein Diktator brutal gegen das eigene Volk vor, könnte als Nächstes ins Visier einer Koalition der Willigen rücken.
Besonnenheit ist gefragt. Fehlgeleitete Interventionen können dem Kampf gegen den internationalen Terrorismus weit mehr schaden, als der Tod Bin Ladens ihm zu nutzen vermag.