Hamburg. Kirchen-Kita im Fokus von Vorwürfen. Erzieher verlassen Einrichtung, Betreuung von I-Kindern nicht sichergestellt. Die Hintergründe.
Sie sind besorgt, empört und verzweifelt: Kita-Eltern aus Lurup haben sich am Montag in einem öffentlichen Hilferuf unter anderem an die Hamburger Sozialbehörde und an Kirchenvertreter gewandt. Letzteres aber nicht, weil sie auf göttliche Unterstützung setzen, sondern weil es sich bei dem betroffenen Kindergarten um eine kirchliche Einrichtung handelt.
In der Kita „Zu den zwölf Aposteln“ hat sich demnach die Situation so zugespitzt, dass die betroffenen Eltern sich nicht mehr anders zu helfen wissen. In ihrem Brief schildern sie, dass die Betreuung ihrer förderbedürftigen und teils behinderten Kinder nicht mehr gewährleistet werde. Hintergrund soll sein, dass sich das evangelische Kita-Werk Hamburg-West/Südholstein aus Kostengründen dazu entschieden habe, künftig keine Kinder mit Behinderung mehr aufzunehmen.
Kita Hamburg: „Eskalation von Missständen“ – Eltern aus Lurup verzweifelt
„Man ist der Situation so ausgeliefert“, sagt Nancy Riesenhuber. Ihre Tochter ist seit 2019 in der Familiengruppe der Kita mit dem Namen Sternchen untergebracht. Dort werden nur Kinder mit Förderbedarf betreut. Es geht um Kinder mit Behinderung, tiefgehenden Entwicklungsstörungen, chronisch erkrankt, teils mit Mehrfachbehinderung.
Ausgerechnet diese Gruppe war nun mehrfach von sehr kurzfristig mitgeteilten Schließungen aufgrund von Personalnot oder verkürzten Betreuungszeiten betroffen. Jede Schließung oder Kürzung der Öffnungszeiten betreffe dann Familien, die ohnehin schon „stark herausgefordert und belastet sind“, schreiben die Eltern auch in ihrem Brief. Aus ihrer Sicht sei das Personalproblem, und das verärgert sie besonders, „hausgemacht“.
Kita in Hamburg-Lurup: Eltern sprechen von „katastrophalen Konsequenzen für Kinder“
So hätten zwei Heilpädagoginnen die Einrichtung vor einigen Monaten verlassen, weil sie keine berufliche Perspektive mehr hier sahen aufgrund der Pläne, keine behinderten Kinder mehr aufnehmen zu wollen. „Ich finde das unethisch, gerade von einem kirchlichen Träger, zu sagen, man nehme diese Kinder nicht mehr auf“, kritisiert Riesenhuber.
Gleichzeitig sei die verbliebene Fachkraft „erkennbar zu hoch belastet“. Sie werde lediglich von Mitarbeitern von Zeitarbeitsfirmen und wechselnden Kollegen aus dem Vertretungspool unterstützt. „Diese gravierenden personellen Veränderungen haben katastrophale Konsequenzen für unsere Kinder“, schildern die Eltern. Die Kinder zeigten sich irritiert, belastet und gestresst. „Von einer Eskalation der Missstände“ sprechen die Eltern daher auch in ihrem Brief.
Kirche in Hamburg: Träger bezieht Stellung zu den Vorwürfen der Eltern aus Lurup
Auf Abendblatt-Anfrage teilt das Kita-Werk Hamburg-West/Südholstein als Träger schriftlich mit: „Eine Schließung der Familiengruppe war und ist nicht vorgesehen.“ Man nehme weiterhin Kinder mit Förderbedarf auf, allerdings in einem begrenzten Rahmen. So würde das Kita-Werk in geeigneten Einrichtungen bis zu zehn Prozent der Betreuungsplätze dafür vorhalten. Derzeit seien dies insgesamt 61 belegte EGH-Plätze, (Eingliederungshilfe-Plätze). Sobald ein Platz frei wird, werde ein neues Kind aufgenommen.
Die zwei Heilpädagoginnen hätten laut Kita-Werk die Luruper Einrichtung verlassen, weil sie mit deutlich mehr EGH-Kindern arbeiten wollten. Allerdings räumt man ein, dass der Weggang der beiden Kräfte sowie ein weiterer Krankheitsfall der Grund für die von den Eltern angeprangerten Betreuungsprobleme sind. „In den vergangenen Wochen musste die Betreuung zu unserem sehr großen Bedauern aufgrund der gesetzlichen Vorgaben durch Krankheit oder andere Abwesenheiten, bei denen die Aufsicht nicht gewährleistet werden konnte, eingeschränkt werden. Leider macht die aktuelle Lage auf dem Fachkräftemarkt die Wiederbesetzung der beiden offenen Stellen sehr schwierig. Wir arbeiten mit Hochdruck an der Wiederbesetzung“, verspricht Gunnar Urbach, Pressesprecher im Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein.
Kinderbetreuung in Hamburg: Träger spricht von einer Finanzierungslücke
Warum man nur zehn Prozent der Plätze für Kinder mit Förderbedarf vorsehe, erklärt das Kita-Werk Hamburg-West/Südholstein damit, dass man so eine pädagogische Integration und Inklusion sicherstellen könne. Allerdings handelt es sich bei der Familiengruppe Sternchen in Lurup um eine Gruppe ausschließlich für Kinder mit Förderbedarf. Und auf die Frage, inwieweit auch die Kosten eine Rolle bei den Überlegungen spielen, erklärt man, dass es durchaus eine Finanzierungslücke gebe.
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„Die Pauschale ist seit 2018 aufgrund gestiegener Personalkosten sowie konstant steigender Kosten der therapeutischen Fördermaßnahmen nicht mehr kostendeckend. Träger müssen die Mehrkosten durch Einsparungen an anderer Stelle oder durch Rücklagen selbst übernehmen“, berichtet Chris Böer, Referent für Kindertagesbetreuung, der für das übergeordnete Diakonische Werk Hamburg an den Verhandlungen mit der Stadt teilnimmt. Denn seit Februar ringen zahlreiche Träger der Stadt mit der Sozialbehörde um eine Erhöhung der Eingliederungshilfe und um eine aus ihrer Sicht auskömmliche Finanzierung der Plätze.
Kita Hamburg: Das sagt die Sozialbehörde zu dem Fall in Lurup
Wie die Sozialbehörde zu dem Fall in Lurup steht und was man zu der kritisierten Finanzierungslücke sagt? Auf Abendblatt-Anfrage teilte die Behörde am Dienstag mit, dass Meldungen über eingeschränkte Öffnungszeiten in 2023 und 2024 aus der Einrichtung vorliegen. Auch aus der Elternschaft habe es eine Mitteilung gegeben. „Über einen Aufnahmestopp von Kindern mit Behinderungen liegen der Kita-Aufsicht keine Erkenntnisse vor“, so Behörden-Sprecher Wolfgang Arnhold. Zu den aktuell laufenden Verhandlungen äußerte er sich nicht.