Hamburg. Bewohner bauten Fabrik in Hamburg-Ottensen mit Unterstützung der Stadt um. Neue Eigentümerin klagt jetzt auf Räumung.
Sie haben das alles schon einmal beim Nachbarhaus erlebt. Das ehemalige Industriegebäude liegt in einem dieser typischen Hinterhöfe von Hamburg-Ottensen. Zwei Wohngemeinschaften teilten sich die beiden oberen Stockwerke mit einer verhältnismäßig günstigen Miete, bis ein neuer Eigentümer kam – und die Probleme.
Ein Haus weiter, in der Großen Brunnenstraße 63, teilen sich ebenfalls zwei WGs die oberen Etagen. Noch. Auch hier wechselte der Besitzer. Auch hier erhielten die Bewohner in den vergangenen Monaten zig Anwaltsschreiben der neuen Eigentümerin, einer Immobilien-Investmentgruppe: Abmahnungen, fristlose Kündigungen, Räumungsklagen – unterschrieben von derselben Anwältin wie beim besagten Nachbarhaus, das seit nunmehr vier Jahren leer steht.
Immobilien Hamburg: Wohngemeinschaft in Ottensen bangt um Zuhause
Gerade wurde ein Bauantrag auf Schaffung von Appartements gestellt. Auch ein weiterer Name ist gleich: ein Mitglied der Geschäftsführung der damaligen Firma findet sich in der Geschäftsführung des Unternehmens wieder, um das es in diesem Zusammenhang geht.
„Das alles passiert ausgerechnet in einem Gebiet, in dem eine soziale Erhaltungsverordnung gilt“, sagt Hinnerk Schmidt-do Rego Silva. Der Designer lebt mit sechs weiteren Künstlern im obersten Stockwerk der ehemaligen Maschinenfabrik.
Hamburg: Wohnviertel in Ottensen extra unter Milieuschutz gestellt
2016 wurde das Gebiet von der Stadt extra unter einen Milieuschutz gestellt, damit Bewohner nicht durch Luxussanierungen oder die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen verdrängt werden. Mit dem Instrument der Erhaltungsverordnung konnte die Stadt zuletzt erfolgreich beim Eigentümerwechsel intervenieren.
Meistens übte die Stadt ihr damit verbundenes Verkaufsrecht gar nicht aus, man nutzte viel mehr eine Vereinbarungsoption mit dem neuen Besitzer, um Einfluss auf die zukünftige Entwicklung zu nehmen.
Das Problem: Genau dieses Instrument wurde mit einem Urteil durch das Bundesverwaltungsgericht im November 2021 bis zu einer Nachbesserung außer Kraft gesetzt. Bis heute liegt es auf Eis. Das Haus in der Großen Brunnenstraße 63 wechselte nach dem Urteil den Besitzer. Die Stadt konnte kein Vorkaufsrecht geltend machen.
Immobilien Hamburg: Eigentümerwechsel erfahren Mieter durch Anwaltsschreiben
Von dem neuen Eigentümer ihres Hauses erfuhren die Bewohner in der Großen Brunnenstraße durch ein Anwaltsschreiben. Darin wird unmissverständlich klargestellt, dass ein Austausch zwischen dem Hamburger Immobilienunternehmen, der Lapis RE Nord HH-Alster-West GmbH, und den Mietern nicht gewünscht wird. Korrespondenz solle ausschließlich über die Anwaltskanzlei erfolgen.
Es folgten weitere Anwaltsschreiben mit Fragen nach den Wohnverhältnissen, der Nutzungsberechtigung, den Namen der Bewohner. Dann kamen Abmahnungen und eine fristlose Kündigung sowie eine Räumungsklage. Gegen diese wehren sich die Bewohner.
Ein erster Gerichtstermin steht nun am 19. September am Amtsgericht in Altona an, bei dem es erst einmal darum geht, ob sich im Rahmen einer Güteverhandlung eine Einigung erzielen lässt.
Mieter in Ottensen: Räumungsklage und fristlose Kündigungen – das macht mürbe
„Wir sind uns bewusster, was uns erwartet“, sagt Luisa Liebau aus der unteren WG mit Blick auf die Geschichte, die sich im Nachbarhaus abgespielt hatte. Das würde etwas helfen. Aber natürlich mache man sich Gedanken – vor allem wenn eine Räumungsklage und fristlose Kündigungen einen erreichen. „Ist mein Zuhause noch sicher? Das macht einen mürbe“, sagt Liebau.
Ende der 1980er-Jahre fand sich eine Gruppe zusammen, die aus den Hallen der Nicolai Clasen Gerberei-Maschinen-Fabrik Wohnraum schuf. Im obersten Stock tat sich diese Gruppe als Verein zusammen. Gefördert von der Stadt mit 388.000 DM und Eigenleistungen im Wert von etwa 160.000 DM wurde das Dach saniert, die Wände gezogen und Gemeinschaftsbäder sowie die WG-Küche gebaut. Die Stadt beteiligte sich an dem Projekt, um gezielt günstigen Wohnraum zu schaffen.
Die Miete liegt mit etwa 3,70 Euro pro Quadratmeter netto deutlich unter dem Hamburger Standard. Allerdings haben sich die Bewohner dafür verpflichtet, Küche und Bäder, Fenster sowie die Heizung instand zu halten, wie sie erläutern. Dafür legt die Gruppe einen Betrag zurück und verabredet sich zweimal im Jahr zu einem „Bauwochenende“, wo sie in Eigenleistung Dinge sanieren. Ihre Warmmiete können sie nur schwer beziffern.
Etwas anders verhält es sich mit der WG im Stockwerk darunter. Deren Mitglieder haben vor 30 Jahren einen anderen Weg gewählt: Alles in Eigenleistung erbracht und keinen Verein gegründet. Dafür sind hier mehr Wohneinheiten geschaffen worden. Das Stockwerk bewohnen 13 Mieter, erklärt WG-Mitglied Liebau. Sie ist in der Gruppe für die Finanzen zuständig. Die Miete beziffert sie auf 6,20 Euro netto pro Quadratmeter.
Immobilien Hamburg: Das sagt die Investment-Gruppe zu Zukunftsplänen
Was ist aus Sicht des neuen Eigentümers das Problem an den Mietern? Warum kam es zu einer Räumungsklage? „Unsere betreuende Kanzlei hat signifikante Unstimmigkeiten zu den Gewerbemietverträgen festgestellt“, erklärt ein Sprecher der übergeordneten Gruppe Lapis RE Objektgesellschaften. Aufgrund des laufenden Verfahrens könne er jedoch keine weitere Auskunft zu Details erteilen.
Auf Anfrage erklärt er, dass die 2020 gegründete Lapis RE Gruppe auch ein Interesse an dem besagten Nachbargebäude hat. Im vergangenen Jahr hätte man ein Kaufangebot unterbreitet, jedoch noch keine Einigkeit erzielt. Es bestehe keine rechtliche oder wirtschaftliche Verflechtung zu der jetzigen Eigentümerin des Gebäudes – außer dass eben ein Mitglied der Geschäftsführung auch einmal ein Mitglied der Geschäftsführung der HBG-Gruppe war, die damals das Nachbarhaus kaufte.
Gebäude soll weiterentwickelt werden, Nutzung noch unklar
Die Liegenschaft „Große Brunnenstr. 63a“ befinde sich seit Mitte Januar 2023 rechtlich im Eigentum der Lapis RE. Man habe sie als langfristigen Portfoliobestandteil erworben. Laut dem Unternehmenssprecher wolle man die Immobilie sukzessive weiterentwickeln und für eine bestmögliche Energieeffizienz sorgen, um so die Stadt Hamburg beim Erreichen der Klimaziele zu unterstützen.
„Aktuell ist ein gesamtheitliches Entwicklungskonzept in Abstimmung. Aufgrund der Vollvermietung des Objektes ist eine Umsetzung jedoch erst mittelfristig in den kommenden Jahren möglich“, so der Unternehmenssprecher. Geplant sei unter anderem: Photovoltaik in Kombination mit Gründächern, Wärmepumpen, ein Anschluss ans Fernwärmenetz und eine vollständig wärmegedämmte Gebäudehülle.
Hamburg-Ottensen: Sind in Zukunft Eigentumswohnungen geplant?
Ob in Zukunft Miet- oder Eigentumswohnungen geplant sind? Dazu kann der Sprecher auf Anfrage keine Aussage treffen. Er verspricht aber: Es werden etwaige Wünsche und Zukunftsvisionen der Stadt in die finalen Planungen und Anträge einfließen.
Ob die zukünftige Nutzung eine Schule, ein Boardinghouse, ein Unternehmenssitz, Cluster-Kleingewerbe, Cluster-Wohnen oder ein Mix aus vielen ist, gelte es im Laufe der kommenden Jahre abzustimmen.