Hamburg. Das Bundesverwaltungsgericht urteilt über Vorkaufsrechte in geschützten Gebieten. Rot-grün fordert eine Anpassung des Bundesrechts.

Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) hat vor langfristigen Folgen eines aktuellen Urteils des Bundesverwaltungsgerichts für Mieterinnen und Mieter auch in Hamburg gewarnt – und will nun die neue Bundesregierung um Abhilfe bitten. Die obersten Verwaltungsrichter in Leipzig hatten in ihrer Entscheidung das häufig ausgeübte Vorkaufsrecht der Kommunen in Gebieten mit sozialer Erhaltungsverordnung in einem Grundsatzurteil als rechtswidrig verworfen. Bisher hatte Hamburg regelmäßig von dem Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht, wenn die Stadt davon ausging, dass ein neuer Eigentümer „erhaltungswidrige Nutzungsabsichten“ plante – also etwa Luxussanierungen, die zu stark steigenden Mieten führen würden.

Ziel der sozialen Erhaltungsverordnungen ist es, die „Gentrifizierung“, also auch die Verdrängung eingesessener Bewohner durch schnell steigende Mieten, zu verhindern. In Hamburg gibt es laut der für die Liegenschaften zuständigen Finanzbehörde 16 solcher geschützten Gebiete mit 316.800 Einwohnern, vor allem im innerstädtischen Bereich. Ein wesentliches Instrument der Erhaltungspolitik hat das Bundesverwaltungsgericht den Städten nun aus der Hand genommen.

Immobilien Hamburg: Gericht erklärt Vorkaufsrecht für rechtswidrig

„Wir müssen befürchten, dass die Ausübung des Vorkaufsrechts im Zusammenhang mit Sozialen Erhaltungsverordnungen aufgrund des Urteils zukünftig nur in wenigen Ausnahmefällen möglich sein wird, etwa wenn die Immobilie leer steht oder stark sanierungsbedürftig ist“, sagte Dressel dem Abendblatt. Der bisherigen „sinnvollen Praxis, die seit fast 20 Jahren sowohl durch gerichtliche Entscheidungen als auch durch rechtswissenschaftliche Literatur als rechtmäßig bestätigt wurde, ist nunmehr bis auf Weiteres die Grundlage entzogen“, sagte der Finanzsenator.

„Auch als Jurist kann ich das Urteil nur bedingt nachvollziehen, bin aber natürlich als Senator daran gebunden.“ Zwar habe das Urteil keine rückwirkenden Auswirkungen auf bereits getätigte Vorkäufe. Um das Pro­blem für künftige Fälle zu lösen, fordern Dressel und die Bürgerschaftsfraktionen von SPD und Grünen nun aber eine Änderung des Baugesetzbuches. „Die entsprechenden Vorarbeiten für Initiativen auf Bundesebene haben in den Behörden bereits begonnen“, sagte Dressel. Einen Antrag zum Thema wollen die Regierungsfraktionen in die nächste Bürgerschaftssitzung am 1. Dezember einbringen.

„Wir wollen, dass sich alle Menschen das Leben in Hamburg leisten können. Deshalb müssen wir Verdrängungseffekten mit aller Macht entgegentreten“, sagte die stadtentwicklungspolitische Sprecherin der SPD-Bürgerschaftsfraktion Martina Koeppen. Der Gesetzgeber müsse jetzt unbedingt für Klarheit sorgen und das Baugesetzbuch zügig anpassen.

Käufer dürfen nicht unter Generalverdacht gestellt werden

Das Bundesverwaltungsgericht hatte in seinem Urteil vom 9. November einer klagenden Immobiliengesellschaft recht gegeben, die gegen den Vorkauf eines Mehrfamilienhauses durch die Stadt Berlin vorgegangen war. Ein solches Vorkaufsrecht dürfe nicht auf Basis der Annahme ausgeübt werden, dass der Käufer künftig beabsichtige, die Mieter aus dem Gebiet zu verdrängen, lautete die Begründung des Leipziger Gerichts. Olaf Duge, wohnungsbaupolitischer Sprecher der Grünen-Bürgerschaftsfraktion, bezeichnete das Urteil als „überraschenden Schlag ins Kontor“.

„Das Urteil ändert allerdings nichts daran, dass ein Vorkaufsrecht der Gemeinde grundsätzlich bestehen kann“, gab Rolf Bosse, Geschäftsführer des Mietervereins zu Hamburg, zu bedenken. „Die Hamburger Bezirke sollten also wie bisher das Verkaufsgeschehen im Blick behalten und die Ausübung des Vorkaufs sowie den Abschluss von Abwendungsvereinbarungen prüfen und anwenden.“ Neben der rot-grünen Koalition will auch die Linksfraktion einen Antrag, der den Senat zu einer Bundesratsinitiative zur Änderung des Baugesetzbuches auffordert, in die nächste Bürgerschaftssitzung einbringen.

„Tür für Spekulation mit Wohnungen sperrangelweit aufgerissen“

Anders als Rot-Grün plädiert die Fraktion darin für eine sofortige Änderung des Baugesetzbuches. „Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist eine Katastrophe für alle Mieterinnen und Mieter“, sagte die wohnungsbaupolitische Sprecherin der Linksfraktion Heike Sudmann. „Damit wird die Tür für Spekulation mit Wohnungen und für Umwandlung in Eigentumswohnungen sperrangelweit aufgerissen.“

Die stadtentwicklungspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, Anke Frieling, hält dagegen: „Dirigistische Eingriffe des Staates werden uns bei Erhalt und Schaffung von günstigem Wohnraum nicht weiterhelfen. Es ist gut, dass Gerichte diese Eingriffe stoppen – so wie ja auch in Berlin mit dem Mietendeckel.“

„Pauschale Verdächtigungen reichen nicht aus“

Die stellvertretende FDP-Landesvorsitzende Katarina Blume erklärt: „Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist eine Ohrfeige für den Senat. Ich begrüße, dass der Senat nun nicht mehr zulasten von Immobilienkäufern mit Steuergeldern auf dem Immobilienmarkt spekulieren darf.“ Es sei höchst bedenklich, wenn bei einem Verkauf einer Immobilie Spekulationen über mögliche Absichten des Käufers vorgenommen werden und diese zur Grundlage einer faktischen Enteignung würden.

Der Grundeigentümer-Verband Hamburg hält das Urteil ebenfalls für „vollkommen richtig“. Es stelle sicher, dass künftig im Einzelfall konkret geprüft werden muss, was der Käufer mit dem Grundstück vorhat, bevor das Vorkaufsrecht ausgeübt werden darf. „Pauschale Verdächtigungen reichen nicht aus“, sagte der Vorsitzende Torsten Flomm.

Hamburg nutzt Vorkaufsrecht seit 2018

Andreas Breitner, Direktor des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen, sieht im Vorkaufsrecht hingegen ein für Hamburg unverzichtbares Instrument zur Sicherung des bezahlbaren Wohnens: „Gerade in besonders angesagten Stadtvierteln sichert es eine gemischte Stadtgesellschaft und den sozialen Frieden in den Quartieren.“

Die Stadt Hamburg nutzt das Vorkaufsrecht im Rahmen der Sozialen Erhaltungsverordnung seit 2018 und hat seitdem laut Finanzbehörde 32 Objekte mit 375 Wohnungen für insgesamt rund 105 Millionen Euro gekauft. Bei drei weiteren Objekten sind die Verfahren noch nicht abgeschlossen. Fünf Immobilien mit insgesamt 94 Wohnungen gehen demnächst noch in den Bestand der Stadt über.