Hamburg. Jüngst wurde Dietmar Schünicke mit großem Konzert überrascht. Danach vergrößerte sich der Ehemaligen-Chor „schlagartig“. Ein Porträt.
Als gelungene Überraschung kann man das Konzert definitiv bezeichnen: Mehr als 700 ehemalige und aktuelle Schülerinnen und Schüler von Dietmar Schünicke versammelten sich am 9. Mai am Christianeum in Othmarschen, um dem ehemaligen Chorleiter zum 80. Geburtstag ein Ständchen der besonderen Art zu singen.
Sogar aus Australien und den USA reisten einige von ihnen an. Das Abendblatt hat Dietmar Schünicke nun besucht. Was ist das für ein Lehrer, dessen Schülerinnen und Schüler sich auch nach so langer Zeit so ins Zeug für ihn legen? Wie hat er sie geprägt?
Hamburger Chorleiter-Legende Dietmar Schünicke war 38 Jahre am Christianeum tätig
Die Tür öffnet ein Mann, der Lebenserfahrung und -freude ausstrahlt. Sein Handschlag ist fest. Das Einfamilienhaus ist heimelig eingerichtet, an den Wänden stehen Regale voller CDs, Partituren und Bücher. Nimmt man im Wohnzimmer Platz, hat man den perfekten Ausblick auf das Herzstück des Zimmers: einen schwarz-glänzenden Flügel der Marke Steinway & Sons.
Schünicke blickt auf eine lange musikalische Karriere zurück. Beruflich wie auch privat. Mit sicherer Gewandtheit spricht der 80-Jährige über bekannte und unbekannte Komponisten und ihre Werke – schließlich hat er sein Wissen 38 Jahre lang am Christianeum weitergegeben.
Schünicke – 1944 in der Altmark (Sachsen-Anhalt) geboren – war sieben oder acht Jahre alt, als er zum ersten Mal Klavierunterricht bekam. „Das war relativ spät. Wer pianistisch wirklich was leisten will, muss meist schon mit drei oder vier Jahren anfangen“, sagt er.
Ans Christianeum in Hamburg kam Dietmar Schünicke 1970
Der Grundstein für die musikalische Karriere war trotzdem gelegt. Sein Klavierlehrer war gleichzeitig Organist in der Kirche. „Das hat mir imponiert. Ich dachte, wenn ich mein Abi habe, mache ich das auch“, sagt Schünicke. Gesagt, getan. Als er mit elf Jahren nach Hamburg kam, ging es sofort in den Schulchor und den Kirchenchor. Nach dem Abitur folgte dann das Studium zum Schulmusiker und anschließend zum Kirchenmusiker.
Es folgten Anstellungen als Kirchenmusiker in Pinneberg und Rellingen. Ans Christianeum kam er 1970 – in dem Jahr, in dem er seine Frau heiratete. „Ich hatte dann zwei volle Stellen, das ging auf Dauer natürlich nicht gut“, sagt er. Seine Frau und er wollten eine Familie gründen, also entschied er sich für die Schule.
Hamburger Chorleiter-Legende: „Ich konnte auch mal poltern“
„Den Chor zu gründen, das war gar nicht so leicht“, erzählt Schünicke. Mit der 68er-Bewegung sei das Chorwesen von den Schülern als Teil des Establishments abgestempelt worden. Wie er das trotzdem geschafft hat? „Zuerst einmal mussten die Mädchen vorsingen“, so Schünicke. Das sei Vorgabe der Schulleitung gewesen. Dieser Zwang wurde zwar nach zwei Monaten abgeschafft, die meisten wollten aber bleiben. Er habe ihnen dann gesagt: „Jetzt müsst ihr aber ein paar Jungs anschleppen.“ Der Rest ist Geschichte.
Das Geheimnis seines Erfolgs? Eine ehemalige Schülerin sagte bei dem Geburtstagskonzert im Mai, dass Schünicke „eine Leichtigkeit im Rampenlicht“ habe, die „andere leuchten lässt“. Darauf angesprochen, reagiert er bescheiden. Authentizität sei das Stichwort. „Man muss authentisch sein. Ich glaube auch, das geschafft zu haben. Schließlich konnte ich auch mal poltern, auch mal laut werden. Das gehört zur Authentizität dazu.“
Und der Erfolg gibt ihm recht. Vor allem die jahrgangsübergreifenden Strukturen hätten positive Auswirkungen gehabt. Bei den älteren Schülerinnen und Schülern habe ein „Wir waren da auch mal“-Denken eingesetzt. Und Rituale hätten sich etabliert. „Bei der jährlichen Schulfahrt an den Brahmsee lernen alle neuen Schüler verschiedene Volkstänze“, so Schünicke. „Bei jedem Ehemaligen-Treffen werden die wieder rausgeholt. Außenstehende belächeln das vielleicht, aber wir stehen darüber.“
Christianeum in Hamburg: Schülerchor reiste auch nach China und Schweden
Der Schülerchor ist über die Jahre viel herumgekommen – zum Beispiel nach China, Schweden und Russland. Besonders in Erinnerung geblieben ist Schünicke die Kinderoper „Brundibár“, die der Chor auch im ehemaligen KZ Theresienstadt aufgeführt hat.
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„Das ist sehr schwerer Stoff. Aber grade im Chor konnten die Kinder langsam an das Thema herangeführt werden. Das ist lebendiger Geschichtsunterricht“, sagt er. „Es flossen auch viele Tränen, aber wie Kinder so sind, haben einige schon eine halbe Stunde später draußen Kriegen gespielt.“
Christianeum: Ehemaligen-Chor hat sich nach Überraschungskonzert vergrößert
Oft genug ging es auch lustig daher: Bei einer Fahrt nach Riga haben die Schülerinnen und Schüler in einer Schulaula „Dinner for One“ aufgeführt. Schünicke übernahm die Ehrenrolle des Tiger-Vorlegers: „Nun ja, man wird zwar ein paarmal getreten, aber so lang ist das Stück ja nicht“, sagt er und schmunzelt.
Obwohl Schünicke seit 2008 im Ruhestand ist, leitet er noch immer den Alumni-Chor des Christianeums. Neben den Frühjahrskonzerten geht auch dieser noch öfter auf Konzertreisen, etwa nach Rom. Jetzt gibt es wieder Zuwachs: „Der Ehemaligen-Chor hat sich nach dem Überraschungskonzert schlagartig um 20 bis 25 Leute vergrößert“, sagt Schünicke.