Hamburg. An der Bahnhofstraße werden Kunden künftig vergeblich nach dem Schreibwarengeschäft Pilorz suchen. Warum die Inhaber aufhören.
„Wir sagen Tschüss – Räumungsverkauf“, prangt in großen Buchstaben auf dem Schaufenster des Schreibwarengeschäfts Pilorz an der Blankeneser Bahnhofstraße 17. Fast wirkt der leuchtend pinke Aufkleber ein wenig zu fröhlich dafür, dass es hier um das Aus eines beliebten Traditionsgeschäftes in Hamburg-Blankenese geht.
Im Inneren des Ladens deutet schon vieles auf das bevorstehende Ende hin: Die Regale mit Stiften, Karten, Ordnern und Blöcken sind nur noch halb gefüllt – „nachbestellt wird nicht mehr“, sagt Axel Pilorz. Zusammen mit seiner Frau Gabriele hat der Inhaber die Entscheidung getroffen, sein Schreibwarengeschäft zu Mitte Februar hin zu schließen.
Hamburg-Blankenese: Schreibwarengeschäft Pilorz schließt für immer
„Meine Frau und ich sind jetzt im Rentenalter“, sagt Axel Pilorz, „und 40 Jahre lang sechs Tage die Woche im Laden zu stehen, merkt man irgendwann in den Knochen.“ Schon seit einigen Jahren sei das Thema „Schließung“ deshalb immer wieder im Gespräch gewesen und nun endgültig die Zeit gekommen, einen Schritt zurückzutreten.
Mehr als 40 Jahre sind es auch, die Gabriele und Axel Pilorz miteinander verheiratet sind. Die Geschichte des kleinen Fachgeschäfts hingegen fängt noch viel früher an, um genau zu sein vor mehr als 100 Jahren.
Einzelhandel Hamburg: Familie Pilorz hat das Geschäft 1951 übernommen
„Ursprünglich eröffnete Hugo Flemming 1905 mitten in der Hamburger Innenstadt die Firma als Reparaturwerkstatt für Continental Nähmaschinen und Kontorbedarfshandel“, erinnert sich Pilorz zurück und blättert dabei in seinen fein säuberlich abgehefteten Dokumenten der vergangenen Jahrzehnte.
Als dieser Standort im Weltkrieg ausgebombt wurde, sei Flemming nach mehreren Zwischenstationen mit seinem Geschäft 1945 an die Blankeneser Hauptstraße 138 gezogen. „Da hat dann mein Vater angefangen zu arbeiten und die Firma 1951 übernommen“, erzählt der heutige Inhaber. 1957 fand dann der endgültige Umzug an die Blankeneser Bahnhofstraße statt, wo das Geschäft nun 66 Jahre lang sein Zuhause hatte.
Hamburger Ladeninhaber: „Wer will denn schon noch im Einzelhandel arbeiten?“
„Während meines Betriebswirtschaftsstudiums wurde mein Vater krank, also sprang ich ein“, beschreibt Pilorz seinen Werdegang. Aus dem Einspringen wurde eine dauerhafte Übernahme, aus der ursprünglichen Werkstatt- und Handelkombination ein Fachgeschäft für Schreibwaren – bis jetzt.
Denn: Einen Nachfolger für das Geschäft der Pilorz‘ gibt es nicht. „Wer will denn schon noch im Einzelhandel arbeiten?“, fragt der 67-Jährige trocken. Während vor einigen Jahrzehnten noch echte „Goldgräberstimmung“ geherrscht habe, befinde sich die Branche – nicht zuletzt seit Corona – in einer schwierigen Lage.
Blankenese: Kunden sind traurig über Aus des Schreibwarengeschäfts Pilorz
Und auch, wenn die Besitzer nicht aus wirtschaftlichen Gründen schließen: Der Trend, dass viele Kunden und Kundinnen lieber online bestellen, sei auch für sie deutlich spürbar gewesen. „Kleine inhabergeführte Geschäfte werden immer weniger werden“, prophezeit Pilorz. Zu seiner Kundschaft hat das Ehepaar hingegen eine ganz besondere Bindung, die auch beim Termin vor Ort deutlich wird.
Immer wieder betreten Menschen mit ernster Miene das Geschäft und äußern ihre Bestürzung über die Ankündigung am Schaufenster. „Ihr schließt? Das macht mich jetzt richtig traurig. Ich kann das gar nicht fassen“, sagt Stammkundin Susanne Massoon betroffen. Und auch eine weitere Kundin wundert sich beim Hereinkommen über die halb gefüllten Regale und fragt schließlich: „Macht ihr etwa zu? Och nein. Das finde ich richtig doof. Wie kann das denn sein?“
Einzelhandel: Zu ihrer Kundschaft haben die Inhaber eine besondere Bindung
Mit seinen Kunden und Kundinnen hat das Ehepaar Pilorz noch eine Art von Kontakt, die im Handel wohl immer weniger werden wird. Hier kuschelt man kurz den Hund einer Besucherin, fragt nach dem Verlauf des vergangenen Urlaubs und kennt die Familiengeschichten der Leute.
Und das ist es auch, was Axel Pilorz – „neben dem geregelten morgendlichen Aufstehen“ – am meisten vermissen wird. Überzeugt, dass sie das Richtige tun, sind die 66 Jahre alte Gabriele und ihr Mann Axel trotzdem. „Wir wollen noch aktiv sein, wenn wir hier aufhören, damit wir die freie Zeit wirklich genießen können. Auf keinen Fall wollen wir hier mit dem Rollator rausgeschoben werden“, begründet Axel Pilorz den Schritt.
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Das Paar wolle nun erst mal „Haus und Hof auf Vordermann bringen“ und ihm bisher noch verborgen gebliebene Stadtteile in Hamburg erkunden. „Mit dem Fahrrad – und ohne E-Antrieb“, fügt Pilorz hinzu. Und auch der regelmäßigere Besuch bei den Enkelkindern in München ist etwas, auf das sich die beiden Hamburger jetzt freuen.
Hamburg-Blankenese: Besitzer von Schreibwarengeschäft freuen sich auf Rente
„Wir gehen hier mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Noch ist das weinende größer, aber ich merke immer mehr, wie das lachende wächst“, fasst Axel Pilorz seinen Gemütszustand zusammen.
Als sich das Ehepaar beim Besuch des Abendblatts schließlich noch für ein Foto vor das Schaufenster stellt, lächelt es breit. Und da passt dann plötzlich auch das fröhliche pinke Schild mit der Aufschrift „Wir sagen Tschüss“.