Hamburg. In den Elbvororten gibt es massive Proteste gegen den Umbau der „schönsten Straße der Welt“. Was hinter dem Aufruhr steckt.

Im Zusammenhang mit dem umfangreichen Umbau der Elbchaussee, die vor allem für Radfahrer deutlich attraktiver und sicherer werden soll, schlagen engagierte Anwohnerinnen und Anwohner in den HamburgerElbvororten jetzt Alarm. Die Gruppe um die Architektin Gabriele Krug-Brayshaw kritisiert, dass vor Ort „ohne jede Notwendigkeit“ laufend wertvolle historische Bausubstanz zerstört und durch „Billigmaterialien“ ersetzt werde.

Im Bereich der Nienstedtener Kirche und beim Hotel Louis C. Jacob seien laut Krug-Brayshaw und ihren Mitstreitenden uralte Kantsteine herausgerissen und abtransportiert worden. Kopfsteinpflaster-Überfahrten habe man teilweise geteert und durch „willkürlichen Materialmix“ ruiniert.

Elbchaussee: Historische Bordsteine ausgebaut – Anwohner empört

Außenstehenden mögen die Vorhaltungen wie übertriebenes Genörgel einiger Privilegierter vorkommen, die etwas gegen Radfahrer haben. Doch die Gruppe, die sich auch im Nienstedtener Bürgerverein engagiert, hatte dem Abendblatt Fotos geschickt, die nachdenklich machen.

Meterhoch stapeln sich auf der Fahrbahn ausgebaute historische Bordsteine („Borde“) aus behauenem Granit. Sie stammen in Teilen noch aus der Zeit, als die Straße als Verkehrsweg angelegt wurde, und auf historischen Postkarten – die Elbchaussee war noch ein Kiesweg – ist diese sogenannte Hamburger Kante deutlich zu erkennen. Damals begann die Entwicklung der Elbchaussee zu einer der schönsten Straßen der Welt.

„Materialmix“ an der Elbchaussee: Grauer Beton und heller Granit treffen auf Backstein

Schon länger wird eine „Verschandelung“ der Elbchaussee kritisiert, doch dabei war es vor allem um die Bebauung auf den flankierenden Grundstücken gegangen. Beim Ortstermin wird dann auch Nicht-Anwohnern schnell klar, worum es diesmal geht. Auf dem Abschnitt zwischen dem Hotel Louis C. Jacob und dem Nienstedtener Friedhof wechseln sich bei Fußwegen und Überfahrten zig Materialien in munterer Folge ab. Betonplatten sind teils mit verbliebenen alten Granitsteinen eingefasst, teils mit brandneuen Granitborden.

Die ausgegrabenen historischen Bordsteinkanten stapelten sich tagelang meterhoch am Straßenrand – dann wurden sie abtransportiert.
Die ausgegrabenen historischen Bordsteinkanten stapelten sich tagelang meterhoch am Straßenrand – dann wurden sie abtransportiert. © Krug-Brayshaw

Die ehemals rot-braun schimmernden Überfahrten, die zu den mauergefassten Grundstücken und den alten Backsteinen – zum Beispiel der Nienstedtener Hochzeitskirche – gepasst hatten, leuchten nun in auffälligem Hellgrau, bei einigen wurden die Fugen zudem übergeteert.

Anwohner in Nienstedten: An der Elbchaussee herrscht jetzt „Kraut und Rüben“

„Es sieht hier jetzt aus wie Kraut und Rüben“, fasst Gabriele Krug-Brayshaw den Eindruck zusammen. Schuld an alldem sei die Planung für die Umgestaltung der (einstigen) Prachtmeile zur Fahrradstraße. „Bei den Umbauarbeiten wurde das System des ,Kopenhagener Radwegs‘ gewählt“, heißt es in einem vorbereiteten Schreiben der Gruppe.

„Dabei wurde offensichtlich auch das Materialkonzept – ohne Rücksicht auf die besondere kulturelle und landschaftliche Bedeutung der Hamburger Elbchaussee – übernommen.“ Der übergreifende Zusammenhang des historisch landschaftlichen Straßenraumes Elbchaussee sei dadurch „zerschnitten und zerstört“ worden.

Statt des dunklen Granits leuchtet die Fahrbahnbegrenzung bei der Nienstedtener Kirche künftig in Hellgrau.
Statt des dunklen Granits leuchtet die Fahrbahnbegrenzung bei der Nienstedtener Kirche künftig in Hellgrau. © Krug-Brayshaw

Initiative befürchtet: „Das Flair der Elbchaussee wird zerstört“

Die, die sich hier versammelt haben, engagieren sich seit Jahren im Nienstedtener Bürgerverein, leisten Kommunalarbeit, wie es sich die Politik immer wünscht. Doch nun sind alle enttäuscht und wütend – so wütend wie wohl noch nie. „Man kann es doch nicht fassen“, sagt Karin Ladiges, deren Familie seit Jahrhunderten in Nienstedten ansässig ist. „Im Handumdrehen wird hier vernichtet, was über viele Jahre funktioniert hat, schön anzusehen war und zur Umgebung passte.“

Fassungslos ist auch Anita Schlotterbeck-Montgomery. „Es ist schrecklich, wie das Flair der Elbchaussee zerstört wird“, sagt sie, „Nach dem Umbau wird man die Straße nicht wiedererkennen.“

Alte Überfahrten aus Kopfsteinpflaster werden an der Elbchaussee „aufgebrochen“

Über Wochen seien Bordsteine und altes Kopfsteinpflaster „bergeweise“ am Straßenrand aufgehäuft worden, berichten die Anwohner, tadellose Überfahrten seien mit Baggern mühsam aufgebrochen worden, um dort neues Material zu verbauen. „Hier werden vollendete Tatsachen geschaffen“, schimpft Peter Schlickenrieder, „und das Ganze ist auch noch eine unglaubliche Geldverschwendung.“

Und Nikolaus Niemeyer fragt: „Warum wird völlig Intaktes herausgerissen und durch Neues ersetzt? Soll das nun das viel gepriesene nachhaltige Bauen sein? Wer denkt denn an das viele CO2, das für all das freigesetzt wird?“ Die Gruppe ist auch sicher, dass sich Teile der neuen Bauelemente als deutlich weniger stabil erweisen werden als die alten Steine – entsprechend seien „Dauerreparaturen“ schon jetzt vorprogrammiert.

Anwohner kritisieren einen eigentümlichen „Materialmix“ überall an der Elbchaussee.
Anwohner kritisieren einen eigentümlichen „Materialmix“ überall an der Elbchaussee. © Krug-Brayshaw

Architektin verweist auf Verpflichtung für Landschaftsschutz

Den Anwohnern geht es nicht (nur) um Ästhetik, Kosten und Historie, sondern auch um die Rechtslage. Gabriele Krug-Brayshaw hat ein umfangreiches Exposé angelegt, in dem sie darstellt, dass bei den Entwürfen und Ausführungen für die Umsetzung des Radwegekonzepts an der Elbchaussee, wie sie schreibt, „die maßgebenden Gesetze der Bebauungspläne, die Verordnungen des Landschaftsschutzes und andere Untersuchungen und Empfehlungen für die Straßenraumgestaltung“ nicht eingehalten würden.

Dazu listet sie zahlreiche Vorschriften auf, die allesamt den besonderen Schutz der betroffenen Gegend herausstellen.

Elbchaussee-Umbau: Initiative kritisiert Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen

„Bauliche Eingriffe in einen Straßenraum, wie den der weit über die Grenzen Hamburgs hinaus berühmten Elbchaussee“, unterliegen laut Krug-Brayshaw gar nicht „dem technisch und funktional üblichen Regelwerk des Straßenbaus, sondern den Vorgaben der Straßenraumgestaltung“. Und dabei spielten Landschafts-, Ensemble- und Denkmalschutz eine ganz erhebliche Rolle.

Das ist klare Kritik an der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen (BSW), die nach Meinung der Protestierenden ihren Verpflichtungen nicht nachkomme. Statt sich um die historisch wertvolle Bausubstanz zu kümmern, werde dem Ausbau der Fahrradstraße Vorrang gegeben – „um jeden Preis“.

Behörde spricht von „punktueller“ Erneuerung des historischen Bordsteins

André Stark, Sprecher der BSW, verweist auf den Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG), der für die Baumaßnahmen an der Elbchaussee zuständig sei. „Der LSBG hat zugesichert, dass er grundsätzlich die Granitbausteine aus dem Bestand wiederverwendet, sofern das technisch möglich ist“, sagt Stark.

Nur im Bedarfsfall würden historische Borde „punktuell“ durch neue Granitborde ersetzt. Mit Rücksicht auf die Barrierefreiheit sei es zudem notwendig, an Bushaltestellen Betonstein einzusetzen, da es für diesen Anwendungsbereich keine adäquates Produkt aus Granit gebe.

Elbchaussee-Umbau: Behörde hält Veränderungen für „vertretbar“

„In der Abwägung hält die Stadtentwicklungsbehörde die dadurch bedingten stadtgestalterischen Beeinträchtigungen für vertretbar“, stellt Stark klar. An einigen wenigen Stellen seien kürzlich Betonleistensteine eingesetzt worden, allerdings prüfe der LSBG derzeit, ob „in diesen wenigen Fällen“ die Betonleistensteine nicht besser durch Granitsteine ersetzt werden sollten. Bleibt die Frage, was aus den alten Bord- und Pflastersteinen wurde, die den Straßenraum so lange geprägt hatten.

Verkehrsbehörde: Nicht alle alten Bordsteine können erhalten werden

Das fällt nun wiederum in den Zuständigkeitsbereich der Behörde für Mobilität und Verkehrswende (BVM), kurz: Verkehrsbehörde. „In den Planungen wurde die Wiederverwendung vorhandenen Materials vorgesehen, so weit es die technischen Regelwerke bezüglich Verkehrssicherheit und Barrierefreiheit zulassen“, sagt Sprecherin Rika Bootz.

Pflastersteine auf der einen, hellgraue Gehwegplatten auf der anderen Seite vor dem Hotel Louis C. Jacob – laut Anwohnern sieht es an der umgebauten Elbchaussee jetzt aus wie „Kraut und Rüben“.
Pflastersteine auf der einen, hellgraue Gehwegplatten auf der anderen Seite vor dem Hotel Louis C. Jacob – laut Anwohnern sieht es an der umgebauten Elbchaussee jetzt aus wie „Kraut und Rüben“. © Krug-Brayshaw

„Viele der alten Bordsteine konnten dementsprechend bereichsweise wieder verbaut werden“, sagt sie, aber ein Teil „des ausgebauten Materials“ habe nicht den aktuellen Ansprüchen für den öffentlichen Raum entsprochen und habe deshalb nicht wiederverwendet werden können.

Alte Elbchaussee-Steine werden zum Teil zu Straßenbau-Material

„Diese Bordsteine wurden entsprechend entsorgt“, so Bootz. Aus den alten, nicht wiederverwendbaren Bordsteinen würden neue Straßenbaustoffe hergestellt. „Das können beispielsweise Kleinpflaster oder auch mineralische Tragschichten sein.“

Im Vordergrund für die Grundinstandsetzung der Elbchaussee stehe eben auch die Sicherheit auf der Straße für Bürgerinnen und Bürger, so Boots, darunter Fußgänger und Radfahrer. „Um deren Sicherheit auf der neuen Straßenanlage zu gewährleisten, ist es zwingend erforderlich, nur schadfreies Material für den Neuaufbau zu verwenden.“

Elbchaussee-Umbau: Initiative weist Behörden-Begründung zurück

Die protestierenden Nienstedtener reagieren fassungslos auf diese Begründung. „Das glaubt doch kein Mensch, dass die Radlerinnen und Radler nicht mit den alten Bordsteinen klargekommen wären“, sagt Gabriele Krug-Brayshaw, „und für die Fußgänger war doch bisher auch immer alles in Ordnung.“

Einige glauben sogar, dass der neue Materialmix letztlich eine größere Gefahrenquelle darstelle als die alten Zustände – aber das wird die Zukunft zeigen. Am Bauabschnitt zwischen Blankenese und Othmarschen ist vieles jetzt bereits umgebaut – und es spricht aktuell wenig dafür, dass sich noch etwas ändern wird.

Protestierende fordern Rückbau und den Wiedereinbau historischer Steine

Doch die Gruppe will nicht aufgeben, sondern kämpfen. Sie hat einen Forderungskatalog zusammengestellt, der es in sich hat. Für den noch nicht fertiggestellten Teilbereich des ersten Bauabschnitts von der Nienstedtener Hasselmannstraße bis nach Dockenhuden fordern die Protestierenden die „(Wieder-)Verwendung von ortstypischen, naturräumlichen Details und Baumaterialien für die Straßenraumgestaltung“.

Für den fast fertiggestellten Straßenraum im Bereich des Hotels Jacob verlangt sie „den Rückbau der Straßenbegrenzungskanten und den Einbau der historischen ortstypischen Materialien“.

Gruppe warnt: Auch der Rest der Elbchaussee „steht auf der Kippe“

Doch damit nicht genug. Unter dem Motto „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt“ lenken die Nienstedtener den Blick „aller Hamburgerinnen und Hamburger“ auf den anstehenden zweiten Bauabschnitt des Elbchaussee-Umbaus von der Parkstraße bis Altona. „Es steht die Verunstaltung weiterer historischer und landschaftlicher Details des hier insbesondere von zahlreichen Parks und Denkmalschutz-Ensembles begleiteten Straßenraumes an“, warnt Gabriele Krug-Brayshaw.

Um ihrer Warnung mehr Nachdruck zu verleihen, hat die Architektin auf diesem Abschnitt zahlreiche historische Zufahrten zu den denkmalgeschützten Villenensembles fotografiert, die den besonderen Charme der Elbchaussee ausmachen. „Das steht jetzt alles auf der Kippe“, sagt sie und schlägt mit dem Handrücken auf die Fotos.

Elbchaussee: Protestierende verlangen Überarbeitung der gesamten Planung

Sie und ihre Mitstreitenden fordern für den zweiten Bauabschnitt eine Überarbeitung des gesamten Planungskonzeptes „entsprechend den Vorgaben der Landschaftsschutzverordnung, des Denkmal- und Ensembleschutzes“. Im Übrigen müssten alle betroffenen Anwohnerinnen und Anwohner „wachsam bleiben und nötigenfalls Krach schlagen“.

„Man sollte jetzt alles dafür tun, dass die Elbchaussee so weit wie möglich die schöne Straße bleibt, die sie noch ist“, warnt Victoria Voncampe aus Nienstedten. Und Gabriele Krug-Brayshaw zitiert den Architekten und Stadtplaner Gustav Oelsner, der einst sagte: „Wir wollen die Elbchaussee schützen. Wir wollen sie nicht mumifizieren. Aber wir müssen die Schönheiten des Straßenzugs bewahren und uns bemühen, noch neue zu schaffen.“