Altona. Anwohner im Hamburger Westen klagen über ein nervenaufreibendes Geräusch unbekannter Ursache. Was frühere Fälle gezeigt haben.

Als Hauke Hinz am Mittwochmorgen aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett von einem ungeheuren Brummen belästigt. Ein seltsames Geräusch sei das gewesen, so tief, „dass es vibriert – im Körper“, erzählt der Altonaer. Selbst seine Ohrenstöpsel hätten ihm da keinen ruhigen Schlaf mehr ermöglichen können.

Erst dachte Hinz noch, es handle sich um besonders ungewohnte Geräusche einer Baustelle, doch der Ton blieb – durchgängig, über Stunden hinweg und nicht lokalisierbar. In die gleiche Stille, aus der das Brummen gekommen war, verschwand es urplötzlich. Doch am Donnerstagabend vergangener Woche tauchte es wieder auf, ebenso am Freitagabend und auch am Sonnabend stattete es Altona einen Besuch ab. Seither tritt es immer wieder in unregelmäßigen Abständen auf.

Mysteriöser Brummton: Wilde Spekulationen machen schon die Runde

Hinz, der seit elf Jahren nahe des Mercado wohnt und noch nie mit Brummtönen Bekanntschaft machen musste, postete seine Erfahrung kurzerhand auf der Nachbarschaftsplattform nebenan.de. Vielleicht auch, um sicher zu gehen, dass er sich den anhaltenden tieffrequenten Ton nicht nur einbildet. Nur wenig später gibt es enorme Resonanz aus ganz Altona-Nord und Hinz erhält mehr als 80 Kommentare aus der Nachbarschaft. Sie alle hören das Brummen auch, einige teilen bereits wildeste Verschwörungstheorien.

Im Bezirksamt Altona sind bis Dienstag drei Anfragen von Bürgerinnen und Bürgern zu einem tiefen Brummton eingegangen, berichtet Sprecherin Lea Modrozinski auf Nachfrage. Zwei der Meldungen seien aus dem Kerngebiet Altonas, eine aus Lurup gewesen. „Mit den Bürger*innen wird nun Kontakt aufgenommen und eine Prüfung vor Ort gegebenenfalls mit Lärmmessung angeboten. Die Ermittlungen erfolgen durch den Abschnitt Technischer Umweltschutz“, teilt Modrozinski mit.

Für Gegenmaßnahmen müssen bestimmte Richtwerte überschritten sein

Damit das Amt beispielsweise gegen den Betreiber einer Anlage, die das Brummgeräusch verursacht, vorgehen kann, müssen allerdings bestimmte Lärmrichtwerte für die Brummtöne überschritten sein. Diese liegen in der Regel bei 20 Dezibel. Außerdem müsse „das Merkmal für das Vorhandensein tieffrequenter Geräusche erfüllt sein“, so die Sprecherin.

Handfeste Einschätzungen zum aktuellen Altonaer Brummton kann das Bezirksamt zwar noch nicht geben. Die Ermittlungen ähnlicher Fälle aus vergangenen Jahre hätten allerdings ergeben, dass „unter anderem Heizungsanlagen, Pumpengeräusche, Baustellen oder der Hafen“ verantwortlich für das Geräusch waren, berichtet Modrozinski.

Hamburg wurde in der Vergangenheit schon mehrfach von den tieffrequenten Tönen geplagt

In der Vergangenheit, genauer in den Jahren 2001, 2009 und 2018, hatte es immer wieder Bürger in Altona gegeben, die über anhaltende tieffrequente Töne klagten. Einige Anwohner zogen 2009 eine Radaranlage auf dem Gelände der Führungsakademie der Bundeswehr in Blankenese als Quelle des üblen Tons in Betracht. Die Wehrbereichsverwaltung Nord als zuständige Aufsichtsbehörde teilte jedoch mit, dass auf dem Gelände nicht einmal Radaranlagen installiert seien.

Den Teilchenbeschleuniger „Petra III“ der Desy-Forschungsanlage in Bahrenfeld, der 2009 in Betrieb genommen wurde, vermuteten die Geplagten damals ebenfalls hinter dem Ton. Das Desy wies die Behauptungen jedoch zurück. Auch im aktuellen Fall kam bereits eine Anwohnerin auf die Forschungsanlage zu, wie Desy-Sprecher Thomas Zoufal berichtet.

„Zu 99 Prozent sind wir das nicht, die den Ton hervorrufen, weil die Teilchenbeschleunigung eine sehr leise Angelegenheit ist – quasi lautlos“, sagt Zoufal. Dennoch habe das Desy auf die Anfrage der Bewohnerin hin eine Arbeitsgruppe einberufen. Sie überprüft nun die Kühlung und Stromversorgung auf mögliche Geräuschentwicklungen. Zoufal selbst denkt, eine größere Baustelle oder Pumpe sei eher als Verursacher in Betracht zu ziehen.

„Der Körper spürt: Da draußen ist etwas“, beschreibt ein Betroffener

„Wie ein Vibrieren im Raum“, so beschreibt Hinz seine auditive Erfahrung. „Der Körper spürt: Da draußen ist etwas“, er sei sofort in Alarmbereitschaft versetzt, sagt Hinz. Weniger laut als belastend sei der Ton, er mache hellwach „und in meiner sozialen Arbeit gibt es ganz andere Sachen, die mich nicht schlafen lassen könnten, das können Sie mir glauben“, sagt Hinz.

„Psychoterror“ und „Folter“ sind Worte, die er für das ominöse Brummen nutzt. Dass sich einige nebenan.de-Nutzer Sorgen um eine „unterschwellige Bewusstseinsbeeinflussung“ böser Mächte sorgen, könne Hinz da beinahe verstehen, erzählt er halbscherzend. „Das ist so ein ekliges Geräusch, dass ich schon nach zwei Tagen das Gefühl hatte, ich muss umziehen – und dazu muss man sagen, dass ich für nur 500 Euro kalt auf 50 Quadratmetern in Altona wohne“, so Hinz.

Am Freitagabend war das Brummen besonders laut

Am Freitagabend wurde es im schließlich zu bunt – das heißt in diesem Fall zu laut – und Hinz nahm die Ermittlungen selbst in die Hand. Er versuchte, dem Geräusch zu folgen, es zu lokalisieren. „Am Altonaer Bahnhof war es besonders laut, da gab es so etwas wie ein Echo. Aber auch am Hafen wurde das Geräusch immer lauter“, berichtet er.

An jenem Abend sei das Brummen außergewöhnlich stark gewesen: „Das war so ein bisschen wie in einem Horrorfilm, dass es die ganze Gegend ,überspielt’ hat.“ Durch ganz Altona habe es gedröhnt. Was Hinz besonders spannend findet: Das Geräusch kann offenbar wandern. Denn nachdem es am Sonntag aus Hinz’ Nachbarschaft verschwunden war, meldete sich bei nebenan.de eine Frau aus der Susannenstraße, deutlich weiter nordöstlich in der Sternschanze, dass sie es nun höre.

Mysteriöser Brummton; Das Phänomen gibt es seit etwa 30 Jahren

Das „Brummtonphänomen“, wie es meist bezeichnet wird, ist keine Hamburgensie. Vor etwas mehr als 30 Jahren trat es erstmals in den USA auf. Im betroffenen Ort Taos/New Mexico hörten zwar nur rund zwei Prozent der Einwohner den Ton, jedoch begann und endete das Geräusch für sie alle jeweils zur selben Zeit. Womöglich haben sie also ein besonders sensibles Gehör.

Ungefähr seit der Jahrtausendwende häufen sich auch in Deutschland die Beschwerden. Betroffene beschreiben die Geräusche oft als einem laufenden Fahrzeugmotor oder einem an der Wand vibrierenden Kühlschrank ähnlich. Teils leiden die Betroffenen seit Jahren tagaus, tagein unter dem Geräusch, das ihnen Schlaf und Lebensfreude entzieht.

In vielen Fällen lässt sich die Tonquelle nicht ausmachen. Ärzte wiederum können nicht einwandfrei nachweisen, dass das Geräusch lediglich im Kopf der Geplagten entsteht. Nicht verwunderlich also, dass neben Kraftwerken, Funkmasten und elektrischen Feldern auch immer wieder Ufos, amerikanische Spionage oder chinesische Psychospielchen in Verschwörungstheorien rund um das Brummen eine Rolle spielen.