Altona-Nord. Initiative will es wieder aufbauen und für Pop-up-Cafés nutzen – auf dem Dach des Mercado Ottensen oder von Karstadt Osterstraße?
„Dicke Klamotten und Wanderschuhe anziehen ... Es ist kalt und matschig an der Baustelle.“ Diesen Hinweis wollte der Architekt Flavio Mancuso noch loswerden – doch bei Ankunft am Diebsteich brennt die Sonne (ein wenig), als könne sie den Frühling nicht erwarten. Und das sind nicht die einzigen guten Nachrichten: Der Abriss des Gewächshauses in Altona wurde nach hinten verlegt. So bleibt der Initiative „Botanica Urbana“ nun noch ein bisschen mehr Zeit, um auch das Glasdach abzubauen.
Flavio und Paula haben die Initiative gegründet: Ziel ist es, ein vor dem Abriss stehendes Gewächshaus abzubauen, und es anschließend an einem anderen Ort wieder aufzubauen. „Zirkuläre Architektur – also aus altem Neues erschaffen“, so erklärt es der 32-Jährige. Das circa 400 qm große Gewächshaus ist bereits nicht mehr als solches erkennbar. Die vielen Brombeer-Dornen liegen zerschnitten auf einem Haufen, die Glaswände sind in dafür angefertigten Kisten verstaut. Nur noch der letzte Teil des pyramidenförmigen Glasdachs und das Metallgerüst warten darauf, gerettet zu werden.
Altona: Aus altem Gewächshaus soll grüner Kulturort entstehen
„Das Ziel ist es, ein grünes Dach in Hamburg zu erschaffen – mit einer ökologischen, sozialen und kulturellen Komponente,“ so Flavio. Hinter der vorerst abstrakt erscheinenden Idee steckt ein durchdachtes Projekt. Das alte Gewächshaus soll auf einem Parkhausdach wieder aufgebaut werden, denkbar wäre laut Flavio das Mercado in Altona oder das Karstadt-Gebäude an der Osterstraße.
Der Raum soll der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen: Jeder Mensch soll hier verweilen können, zum Relaxen, Kaffeetrinken oder zum Essen. In einer zur Verfügung gestellten Küche sollen Pop-up-Cafés und Restaurants arbeiten können. Einen festen Besitzer soll es nicht geben. Das zum Kochen verwendete Gemüse soll möglichst aus dem Gewächshaus kommen.
Architekt Flavio Mancuso hatte direkt eine Vision
Flavio ist beim Spazierengehen auf das Gewächshaus aufmerksam geworden. Der 32-Jährige ist Teil des Architekten-Bündnisses „Borneo Archictecture“ und ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Architektur und Landschaft an der Universität Hamburg tätig. Der Bebauungsplan des Grundstücks am Diebsteich war ihm bekannt, auch das Abendblatt berichtete.
„Was können wir hier retten?“ – das sei sein Gedanke gewesen. Vor anderthalb Jahren habe er den Eigentümer des Grundstücks, Tom Cornils, angeschrieben. Viel Zeit verging, dann kam die Rückmeldung im Dezember 2022: Die Materialien vom Gewächshaus können verwendet werden – doch der Abriss werde bereits in zwei Monaten beginnen.
Freiwillige helfen dabei, das Projekt voran zu treiben
Während Flavio anfangs noch zweifelte, war seine 23 Jahre alte Partnerin Paula zuversichtlich: „Ich dachte sofort: Wir schaffen das.“ Die beiden starteten Kampagnen auf ihrem Instagram-Account. Die Idee kam gut an, viele reposteten die Initiative. Anschließend eröffnete das Paar eine Telegram-Gruppe mit anfangs 15 Freunden. „Innerhalb von zwei Tagen waren wir 200 Leute“, so Flavio – seitdem wächst die Gruppe.
Viele Freiwillige wollen helfen, das Gewächshaus abzubauen. Die meiste Arbeit findet am Wochenende statt. „Letzten Sonntag waren wir 30 Leute“, sagt Paula. „Teilweise sind es fast zu viele, weil wir gar nicht so viel Werkzeug haben.“
Kulturelle Treffpunkte sind wichtig für eine Gemeinschaft in der Stadt
Was den beiden sehr wichtig ist: Das Projekt soll nicht in die Hände von Investoren gelangen. „Durch den Verzicht auf Investoren wollen wie zeigen, dass wir als bürgerliche Initiative dazu fähig sind und die Power dazu haben, den Raum in der Stadt wieder zurückzunehmen,“ erklärt Paula.
Sie zeigt sich besorgt über die Entwicklung, dass einige alteingesessene Kultur- und Sozialorte für Hamburgerinnen und Hamburger geschlossen werden – wie beispielsweise der anstehende Abriss der Sternbrücke. „Kapital allein ist nicht alles – wenn viele Mitmenschen mithelfen, kann so ein Projekt zustande kommen,“ so Paula.
Das Projekt braucht Spenden für Transport und Wiederaufbau
Geld benötigt die Initiative trotzdem – etwas zum Transport der Materialien oder den zukünftigen Wiederaufbau. Auf der Spenden-Plattform „gofundme.de“ rufen sie deswegen zu Geldspenden auf: Nach zwei Wochen haben sie bereits über 1200 Euro sammeln können. 10.000 Euro haben sie vorerst als Spendenziel deklariert, doch Flavio geht davon aus, dass sie für den Wiederaufbau sehr viel mehr brauchen werden. Sie wollen sich deshalb für Förderprogramme bewerben und Unternehmen um Sach- und Geldspenden bitten. „Dadurch bleiben wir viel freier, grüner und solidarischer“, findet Paula.
Auch das zuständige Bezirksamt hat die Initiative bereits kontaktiert, um eine Lagermöglichkeit und einen neuen Ort für den Wiederaufbau des Gewächshauses zu finden. Mike Schlink, der Pressesprecher des Bezirksamts Altona, stellt klar, dass eine Bewertung des Projekts noch nicht erfolgt ist: „Das Bezirksamt wird sich zunächst auf Arbeitsebene mit dem Initiator in Verbindung setzen, um Themen wie beispielsweise den Brandschutz zu erörtern.“
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Seit über 30 Jahren gibt es das Gewächshaus bereits
Das vor dem Abriss stehende Gewächshaus wurde 1987 erbaut, die Erzeugnisse dienten damals der angrenzenden Friedhofsgärtnerei. „Ich bin da als kleiner Junge noch umhergelaufen und habe bei den Arbeiten mitgeholfen“, erinnert sich Tom Cornils, der Eigentümer des Grundstücks. Doch nachdem die Energiekosten in den 90er-Jahren zu hoch waren, wurde das Gewächshaus stillgelegt.
Cornils hat das Grundstück 2020 von seinem Vater übernommen. Dort sollen Gewerbe- und Bürogebäude stehen: „Wir rechnen damit, dass im Sommer oder Herbst die Baugenehmigung kommt“, so Cornils. Der Abriss beginnt voraussichtlich noch in der ersten Märzhälfte. Wann und wo das Gewächshaus wieder aufgebaut wird – diese Frage müssen Paula und Flavio noch klären.