Hamburg. Das abgesackte Uferbauwerk ist schon seit fünf Jahren gesperrt. Einige Mauern sind so alt, dass es dazu keine Bauunterlagen mehr gibt.
Das Bild kennen alle Vorbeikommenden schon lange: Ein Teil der Promenade an der Straße Neumühlen ist wasserseitig abgesperrt, der Durchgang nur an einigen Stellen möglich. Die mittlerweile an große Umwege gewöhnten Passanten berichten, dass die Baustelle „wandere“, also immer mal wieder die Position wechsele. Mal seien es ein paar Meter mehr in Richtung Osten, mal scheine es im Westen Neues zu geben. Und dann ist doch wieder alles beim Alten. Wirklich gebaut, da sind sich alle einig, wird hier zurzeit so gut wie gar nicht, und an etlichen Tagen sind weit und breit auch keine Arbeiter zu sehen.
Schon vor rund einem Jahr berichtete das Abendblatt ausführlich über die Misere vor Ort. Auch damals tat sich hinter der Absperrung zwischen Fischereihafen und Övelgönne wenig, nachdem zuvor ein großer Teil der Kaimauer abgesackt und gesichert worden war. Das hatte sich bereits im Jahr 2017 ereignet, was im Klartext bedeutet: Die Sperrung, eine sogenannte Notsicherungsmaßnahme, gibt es seit mittlerweile fast fünf Jahren. Nachdem das Unglück geschehen war, schien es zunächst zumindest einen relativ konkreten Zeitplan zu geben. Vier Jahre sollten die Arbeiten dauern, und von 15 bis 20 Millionen Kosten war die Rede – Stand im Jahr 2018.
Kaimauer-Desaster von Neumühlen: Arbeiten teurer als gedacht
Im vergangenen Sommer verkündete Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) dann im Abendblatt, dass doch umfangreichere Sanierungsarbeiten als zunächst gedacht nötig seien – das hätten die gründlichen Voruntersuchungen an der alten Kaimauer gezeigt. Es könne nicht um kurzfristige Erfolge gehen, sondern die Sanierung müsse langfristig gedacht werden.
Entsprechend sei es sinnvoll, die Sanierung umfassend und weitsichtig durchzuführen, so der Senator „anstatt krampfhaft an Zeit- und Kostenplan festzuhalten“. Das hörte sich damals aus gutem Grund etwas gereizt an: 2021 waren die Kosten offiziell schon auf rund 30 Millionen Euro für Instandsetzungsarbeiten angewachsen – also mehr als zehn Millionen Euro mehr als 2018 kommuniziert. Die Begründung dafür: Bei den 2018 genannten Kosten hatte es sich „um Nettoangaben auf Basis der damaligen Erkenntnisse“ gehandelt, die Summe 30 Millionen beziehe sich dagegen auf die Bruttogesamtkosten.
Ukraine-Krieg verzögert Bauarbeiten
Heute ist klar: Mit 30 Millionen Euro wären Stadt beziehungsweise Steuerzahler inzwischen noch gut bedient. Bei der Sanierungsplanung hakt und hapert es inzwischen an allen Ecken und Enden, und mittlerweile kann und will sich die Finanzbehörde gar nicht mehr auf konkrete Zahlen festlegen lassen. Wie konnte es so weit kommen?
Die Ausschreibung für die Baumaßnahmen vor Ort wurde im vergangenen November 2021 bekannt gemacht, die Angebote gingen kurz vor Weihnachten ein. Ziel war es, den Auftrag für die Bauleistungen im Januar dieses Jahres zu vergeben. Wie die Finanzbehörde mitteilt, wurden die angelaufenen Planungen dann durch den Ukraine-Krieg beeinträchtigt, der nicht zuletzt große logistische Probleme verursacht.
Lieferengpässe erschweren Planung
„Momentan sehen sich die Bieter im laufenden Vergabeverfahren nicht in der Lage, belastbare Angebote abzugeben“, sagt Behördensprecherin Kerstin Wilmes. „Dies gilt hinsichtlich der Preise für Bau- und Betriebsstoffe und auch für die Ausführungstermine.“ Die Verfügbarkeit der Baumaterialien sei nicht gegeben, insbesondere die der benötigten 2200 Tonnen Stahlspundwände und -rohre.
Hinzu kommt, dass der Einsatz der benötigten Großgeräte, zum Beispiel der Hubinsel für die Arbeiten von der Wasserseite wegen der Lieferengpässe nicht genau terminiert werden kann. Ein düsteres Szenario droht, das sich im Amtsdeutsch so liest: „Aufgrund der Abhängigkeiten der Liefertermine und der Einsatzplanung der kostenintensiven Hubinseln besteht (…) ein erhebliches Kostenrisiko, dass die mit großem Vorlauf zu planenden Geräteeinsätze aufgrund fehlenden Materials nicht möglich sind und die Hubinsel stillsteht.“
Finanzsenator im Gespräch mit Bietern
Andreas Dressel zum Abendblatt: „Die Lieferengpässe durch die Corona-Pandemie werden aktuell noch erheblich verstärkt durch den Krieg in der Ukraine. Dies gilt gleichermaßen für die Privatwirtschaft wie für die öffentliche Hand. Lieferverzug, Preissteigerungen und Engpässe bei der Warenverfügbarkeit wirken sich auch auf aktuelle Bauprojekte der Stadt aus.“
Zwar sei man bei allen aktuellen Projekten in intensivem Austausch mit den ausführenden Unternehmen, doch letztlich hätten die aktuellen Entwicklungen deutliche Auswirkungen auf Bauzeit und Kosten vieler Bauprojekte der Stadt, so der Finanzsenator. Bei der Kaimauer Neumühlen werde derzeit im Dialog mit den Bietern versucht, „eine pragmatische Lösung zu finden, um trotz der Unsicherheiten am Markt eine für alle Parteien wirtschaftlich tragbare Vergabe der Bauleistungen zu ermöglichen“.
Sicherung zeigt größeren Schaden als erwartet
Engpässe und mangelnde Planungsperspektive sind schlimm genug – aber vermutlich noch nicht das Schlimmste an der ganzen Sache. Denn schon bei der bloßen Sicherung der abgesackten Mauer (die ja noch lange nicht der Sanierung entspricht) hatte sich gezeigt, dass die entsprechenden Arbeiten viel komplexer und damit auch langwieriger und teurer wurden als zunächst gedacht. Unter anderem mussten die Unebenheiten im Wasser („Übertiefen“) vor der Kaimauer mit Wasserbausteinen aufgefüllt werden, außerdem galt es, eine Unterwasserböschung zusätzlich zur weiteren Stabilisierung herzustellen.
Aufwendige Gutachten mussten erstellt und ausgewertet, die Planung entsprechend angepasst werden. Das von der Landseite gegen die Wand drückende Wasser wurde mithilfe von Drainagen und zusätzlichen Öffnungen in der Mauer aufwendig abgeleitet, und: Für die geplanten Arbeiten musste bis Ende 2021 eigens eine Zugangsbrücke zur vorgelagerten Schlepperstation verlegt werden.
Kaimauer in Hamburg marode: Kosten in Milliardenhöhe?
Das alles für einen Abschnitt, der rund 235 Meter lang ist. Parallel wurde die marode Uferwand am Hans-Leip-Ufer im Zuge einer monatelanger Sperrung sehr aufwendig für rund 1,8 Millionen Euro saniert, nachdem es dort zuvor ebenfalls Notsicherungsmaßnahmen gegeben hatte. Das machte zusätzliche 85 Meter Kaimauer.
Diese Arbeiten sind zweifellos nötig, und sie wurden und werden sicherlich auch nach bestem Wissen ausgeführt. Aber: In der Relation zur gesamten Länge der Kaimauern sind sie letztlich nur Flickwerk. Die Hafenbehörde Hamburg Port Authority (HPA) verwaltet rund 40 Kilometer dieser Mauern. Einige sind so alt, dass es dazu keine Bauunterlagen mehr gibt, viele wurden, das hatte sich im Zuge einer Bestandsaufnahme gezeigt, in den vergangenen Jahrzehnten auch nicht regelmäßig gewartet. Und die Wellen von den ständig größer werdenden Schiffen drücken immer unerbittlicher dagegen.
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Wie berichtet, wurde das Ergebnis der Bauwerksprüfung im Bereich Mittlerer Hafen/Steinwerder HPA-intern als „alarmierend“ eingestuft. Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse werden etliche anstehende Sanierungen damit im Kern sicherlich keine bloßen Ausbesserungen, sondern Neubauten sein. Und das wird teuer. Insider schätzen die Kosten auf mehr als zwei Milliarden Euro.