Hamburg. Kaum Privatsphäre, wenig Licht: Im Albertiweg entstehen Wohnungen wenige Meter neben Nachbarhäusern. Wie konnte das passieren?
Die Mieterinnen, die in dieser Geschichte zu Wort kommen und dem Abendblatt ihre Wohnungstüren geöffnet haben, möchten ihre Namen nicht in der Zeitung lesen. Sie fürchten „Konsequenzen“, ohne diese genau benennen zu können.
Vor allem sind es zwei Punkte, so viel ist klar, die ihnen Sorge bereiten. Zum einen möchten sie ihren Vermieter nicht „anschwärzen“, der ja letztlich nur von seinem Recht Gebrauch gemacht habe, zum anderen wollen sie nicht als quengelnde Elbvorortlerinnen rüberkommen, die sich nur deshalb gegen Wohnungsbau stellen, weil sich ihre privilegierte Wohnsituation verschlechtert. Nicht meckern, Zähne zusammenbeißen, weitermachen – so handhaben sie es seit Jahren. Dabei ist die Lage am einst so idyllischen Albertiweg für einige alles andere als erfreulich.
Die Junisonne scheint, doch in der Wohnung von Elisabeth E. (alle Namen geändert) ist davon nicht viel zu sehen. Wohn- und Esszimmer gehen zwar nach Süden hinaus, aber der Lichteinfall erinnert eher an einen verregneten Herbstnachmittag. Der Blick aus den Fenstern – ein Schock. Eines ist halb, das andere komplett von einem wuchtigen Neubau verdeckt, der in nur sechs Metern Entfernung hochgezogen wird. Auf der sandigen, zerfahrenen Fläche dazwischen – einst der Garten – rumpeln Baumaschinen, das monotone Geräusch ist überall zu hören.
Wohnungsbau Hamburg: "Nachverdichtung vom Feinsten"
Von „Nachverdichtung vom Feinsten“ spricht man hier inzwischen – Galgenhumor in Othmarschen. „Seit vier Jahren geht das jetzt so“, sagt Frau E. und holt Fotos von früher. Sie zeigen eine schöne, gepflegte Grünanlage mit vielen Büschen und kleinen Bäumen – Idylle pur. Nichts ist davon geblieben. „Mir wurde schon gesagt, ich solle mich doch nicht beklagen“, sagt die ältere Dame, „schließlich sei das hier ja eine sehr grüne Gegend mit vielen Parks. Da könnte ich dann ja jederzeit hingehen.“ Besucherinnen und Besucher, die erstmals hier vorbeikommen, stellen ihr immer wieder dieselbe Fragen, sagt E.: Wie konnte es so weit kommen?
Rückblick. Im Jahr 2012 schien das Aus der Häuserzeile Albertiweg 3 bis 15 – insgesamt 7 Häuser mit 42 Wohnungen – nur noch eine Frage der Zeit. Die in die Jahre gekommenen Gebäude, die zu einem Ensemble doppelgeschossiger Backsteinbauten der Architekten Friedrich Richard Ostermeyer und Paul Suhr aus den 1950er-Jahren gehören, sollten abgerissen werden. Auch der Antrag der Eigentümerfamilie für einen Neubaukomplex lag bereits vor. Doch eine Mieterinitiative machte dagegen mobil – und zwar erfolgreich. Kurzerhand beschloss die Bezirksversammlung mehrheitlich die Aufstellung einer Erhaltungssatzung für die Häuserzeile. Daraufhin stellte das Bezirksamt die Abriss- und Bauanträge zurück, sodass die alten Häuser Bestandsschutz erhielten und offiziell stehen bleiben konnten.
CDU stimmte zunächst gegen Erhaltungsverordnung
Zunächst war die Begeisterung vor Ort groß. Die Altmieterinnen und -mieter konnten bleiben, und diejenigen von ihnen, die heute noch dort wohnen, zahlen nach wie vor eine relativ niedrige Miete. „Das alles wurde allgemein beklatscht“, so ein Insider. Doch dann bewahrheitete sich der alte Spruch, wonach das Gute manchmal der Feind des Besseren ist. Denn die Eigentümerfamilie machte geltend, dass die Erhaltungssatzung viel zu spät ergangen sei, und legte Rechtsmittel ein.
Um ein langwieriges, kostenintensives Verfahren zu vermeiden, dessen Ausgang offen war, wurde schließlich der Kompromiss gefunden: Die alten Häuser konnten stehen bleiben und würden saniert werden, die neuen versetzt daneben gebaut. „Die CDU hatte damals zunächst gegen die Erhaltungsverordnung gestimmt, die mit der damaligen Mehrheit beschlossen worden war,“, sagt der heutige Altonaer CDU-Fraktionschef Sven Hielscher.
Aufhebungsangebote und Ersatzwohnungen
Mehrere Abgeordnete der Bezirksversammlung hätten sich mit Mieterinnen und Mietern getroffen und mit ihnen über Aufhebungsangebote und Ersatzwohnungen gesprochen – vergeblich. Als sich dann abzeichnete, dass die Eigentümer den Rechtsweg beschreiten würden, habe schließlich auch die CDU dem versetzen Neubau zugestimmt.
Laut Hielscher sei es damals allein um Schadensbegrenzung gegangen, doch der Politiker sagt heute auch: „Wenn man sich das Ganze jetzt ansieht, muss man sagen, das hätte so nicht laufen dürfen. Das ist ein Beispiel für absolut nicht gelungene Nachverdichtung.“ Denn vor Ort ergab sich damals ein weiteres Problem: Die Grundstücke am Albertiweg grenzen in Richtung Süden an einen aus älteren Bäumen bestehenden Grünstreifen, der die Anlage vom Nachbargrundstück abgrenzt. Diese Bäume, so zeigte sich, mussten laut Baumschutzordnung erhalten bleiben. Dadurch musste der Neubau noch ein Stück weiter nach Norden an den Altbestand heranrücken.
"Eigentümer haben sich nichts vorzuwerfen"
Carsten Jonas von der Immobilienverwaltung Wentzel Dr., die die Häuser am Albertiweg für die Eigentümerfamilie verwaltet, sagt: „Die Eigentümer haben sich nichts vorzuwerfen. Wir haben sozial verträgliche Wohnungswechsel angeboten, sind den Menschen vor Ort damals sehr weit entgegengekommen. Aber wenn wir nicht für die Einhaltung der Bauzusage gekämpft hätten, wäre der wirtschaftliche Schaden immens gewesen.“ Auch wäre die Sanierung des Altbestands fast parallel zum Neubau laut Jonas anders nicht möglich gewesen.
30 neue Wohnungen werden vor Ort gebaut, jede, so steht es im Internet, „hat Zugang entweder zu einer Terrasse, einem Balkon oder einer Dachterrasse.“ Auch die Nähe zu diversen Parks wird betont.
- Wohin mit der neuen Barmstedter Stadtbücherei?
- Land unterstützt Schulsanierung mit 10 Millionen Euro
- Bahn startet Umbau des alten Pinneberger Bahnhofsgebäudes
Besuch bei Marianne S. am Albertiweg, zwei Häuser entfernt. Ihre Wohnung ist noch dunkler als die von Elisabeth E. Die Seniorin deutet auf die Steinwand gegenüber: „Ich werde mir Rollos zulegen müssen, denn sonst habe ich ja überhaupt keine Privatsphäre mehr.“
Ansonsten gehört auch sie zu denjenigen, die aus der Situation „das Beste machen“ wollen. „Ich versuche, mich damit zu arrangieren“, sagt Marianne S. „Die Zeiten, in denen ich mich über all das aufregen konnte, sind vorbei.“