Hamburg. Vor zwei Jahren kaufte eine Genossenschaft das Gebäude als “Gegenmodell“ der Stadtentwicklung. Kaserne kann besichtigt werden.

Es sind schöne, ungewöhnliche Bilder, die Nobuko Watabiki malt und aus Stoffresten kreiert: großäugige Fantasiegestalten, knallbunte Tiere und Fabelwesen inmitten skurriler Landschaften. Noch ungewöhnlicher aber ist der Ort, an dem die Japanerin ihre Kunst herstellt. Sie arbeitet nämlich dort, wo einst Soldaten exerzierten: in der ehemaligen Viktoria-Kaserne im Herzen von Altona.

Von außen wirkt der von 1878 bis 1883 errichtete Backsteinbau düster, martialisch und auch etwas heruntergekommen. Oben im dritten Stock ist alles ganz anders: Von hellen, frisch renovierten Fluren zweigen schmucke Räume ab, in denen Menschen wie Nobuko Watabiki ihrer kreativen Arbeit nachgehen. „Hier bin ich innerlich angekommen, hier habe ich Ruhe und Inspiration zum Arbeiten“, sagt Watabiki, die vor rund fünf Jahren mithilfe eines Stipendiums nach Hamburg kam. Konzen­triert beugt sie sich über ihre neue Arbeit, eine Meerjungfrau, während unaufhörlich der Schneeregen auf das Oberlicht prasselt.

Platz für künstlerische Entfaltung

Gleich nebenan hat sich Zauberer Manuel Muerte eingerichtet, dessen magische Utensilien und Show-Requisiten sich hinter einem Vorhang wohlgeordnet bis an die Decke stapeln. Muerte, der regelmäßig auf Kampnagel auftritt, lässt einen Stapel Spielkarten durch die Finger flutschen und deutet mit dem Kopf auf eine beeindruckende Koffersammlung. „Ich hab ein Faible für die Dinger, das hängt wohl mit meinem Beruf zusammen. Als Zauberer muss man alles ordentlich verstauen und jederzeit griffbereit haben. Koffer sind dafür ideal.“

Sie lässt sich durch
den hellen Raum
und den Weitblick
über Altona inspirieren:
die Schneiderin
Anne Brüchert in
ihrem Atelier
Sie lässt sich durch den hellen Raum und den Weitblick über Altona inspirieren: die Schneiderin Anne Brüchert in ihrem Atelier © HA | Klaus Bodig

Nobuko Watabiki und Manuel Muerte haben nicht nur Platz für ihre künstlerische Entfaltung. Sie haben auch so etwas wie eine zweite Heimat gefunden. Sie gehören zu den ersten Mietern, die in die alten Gemäuer an der Ecke Zeiseweg / Bodenstedtstraße eingezogen sind. Auch eine Polsterin, diverse Musiker, der Chaos Computer Club und das internationale Bildungszentrum dock europe sind unter anderem mit an Bord – viele weitere werden folgen.

„Wir gehen einen anderen Weg“

Rückblick: Im Jahr 2015 kaufte die Genossenschaft fux eG die denkmalgeschützte ehemalige Kaserne von der Stadt. Rund 180 Interessierte hatten sich damals zusammengeschlossen, um dem Gemäuer neues Leben einzuhauchen. Das Motto: „Kollektive Stadtentwicklung statt Betongold-Logik“. Ziel war und ist es, das reichlich heruntergekommene Gebäude zu sanieren und zu einem gemeinschaftlich betriebenen Ort umzugestalten – geprägt von Kunst, Kultur, Gestaltung, Bildung und Gewerbe.

„Während anderswo öffentlicher Grund und Boden privatisiert wird, gehen wir einen anderen Weg“, erläutert Genossenschaftsvorstand Sascha Essayie. Statt einer weiteren Wohn- oder Büroimmobilie sichere das Projekt einen bezahlbaren Produktions-, Kultur- und Begegnungsort – „auch für kommende Generationen“.

Kern der Genossenschaft bilden zwei Gruppen der „Recht auf Stadt“-Bewegung, die sich schon jahrelang gegen die fortschreitende Gentrifizierung der Gegend engagiert hatten. Die meisten Künstler im Haus waren zuvor in dem Betonklotz „Frappant“ an der Großen Bergstraße untergekommen und firmieren in den Kasernenräumen entsprechend immer noch als „Frappant-Künstler“. Die andere Gruppe bildete früher „Lux & Konsorten“, einen Zusammenschluss Altonaer Gewerbetreibender, die mit Aktionen gegen Verdrängung und steigende Mieten protestiert hatten.

Die ehemalige Viktoria-Kaserne
an der
Bodenstedtstraße.
Unterhalb des
Spruchbands ist ein
neuer Haupteingang
geplant
Die ehemalige Viktoria-Kaserne an der Bodenstedtstraße. Unterhalb des Spruchbands ist ein neuer Haupteingang geplant © HA | Klaus Bodig

1,85 Millionen Euro mussten die Genossen für die Kaserne mit damals rund 8000 Quadratmetern Nutzfläche hinblättern, außerdem beteiligt sich die Stadt mit einer Anschubfinanzierung an der Sanierung. Doch die ist aufwendiger als gedacht, wie Genossenschaftsvorstand Sascha Essayie bei einem Rundgang erläutert. Die gesamte Installation – Strom, Heizung und Wasser – musste erneuert werden, und Teile des Dachbodens wurden zu Ateliers und Büros umgestaltet.

Kosten von sieben Millionen Euro

Die Kosten belaufen sich auf rund sieben Millionen Euro – Geld, das vor allem durch Einlagen der Genossen, Bankdarlehen und Spenden aufgebracht werden soll. Auch wenn die fux eG schon sehr viel erreicht hat: Der Weg zur Fertigstellung ist wohl noch steinig. Im Stadtteil sehen sich die Genossen indes fest verankert. Anfragen gebe es reichlich, mal wolle jemand mitmachen, mal den Fortschritt der Arbeiten angucken. „Es gibt in Altona viele Menschen, die uns unterstützen“, so Essayie.

Mietpreis bei fünf Euro pro Quadratmeter

Zum Konzept gehört auch, dass der Mietpreis bei fünf Euro pro Quadratmeter festgesetzt ist – nicht viel für eine Gegend, die nur wenige Hundert Meter vom Prestigeprojekt Neue Mitte Altona entfernt liegt. Dieses Quartier ist aus dem Fenster von Anne Brücherts Atelier hoch oben in der Kaseren zu sehen – zumindest schon mal die vielen Kräne, die dort stehen. Die selbstständige Schneiderin und Directrice, die auch für zwei Designerinnen arbeitet, hat seit dem vergangenen Sommer ihren festen Platz im Haus. „Die kreative Atmosphäre tut meiner Arbeit gut“, findet die 48-Jährige, die auch Turnbeutel und Schürzen mit dem fux-Logo fertigt, „hier will ich auf jeden Fall bleiben.“

Von sofort an laden die Genossen an jedem ersten Sonntag im Monat um 15 Uhr zu einer Besichtigung der Kaserne inklusive Führung ein. Treffpunkt ist die Fotoausstellung am Zaun, direkt bei der Einfahrt Bodenstedtstraße 16.