Hamburg. Die Stadt reicht Antrag für Aufnahme in die Unesco-Liste ein. Auch Heinrich Heines Vater liegt auf dem jüdischen Friedhof begraben.

Kenner bezeichnen ihn als „Archiv aus Stein“, er gilt als einzigartiges Zeugnis für die Geschichte des Judentums. Jetzt hat der jüdische Friedhof Altona an der Königstraße die Chance, Unesco-Welterbe zu werden – als zweite Stätte in Hamburg nach dem Kontorhausviertel mit Chilehaus und der Speicherstadt. Der entsprechende Antrag, der im Denkmalschutzamt in Absprache mit der jüdischen Gemeinde und verschiedenen Fachleuten erarbeitet wurde, soll innerhalb der kommenden Wochen fertiggestellt werden. Im Dezember wird er dann über die Kultusministerkonferenz und das Auswärtige Amt beim Unesco-Welterbezen­trum in Paris eingereicht. Mitte 2018 könnte das zuständige Komitee über die Aufnahme in die Welterbe-Liste entscheiden.

Das knapp 1,9 Hektar große Gelände bildet den ältesten jüdischen Friedhof im heutigen Hamburg und zugleich den ältesten portugiesisch-jüdischen Friedhof in Nordeuropa. Wegen seines Alters und seiner einzigartigen Grabkunst wurde er schon 1960 unter Denkmalschutz gestellt.

Grabmale vollständig erhalten

Er besteht aus einem 1611 angelegten jüdisch-portugiesischen (sephardischen) und einem 1616 ergänzten jüdisch-aschkenasischen Teil. Die Sepharden waren die ersten Juden, die sich in Hamburg beziehungsweise Altona niederlassen durften. Als Sepharden bezeichnen sich iberische Juden, die ursprünglich aus Spanien kamen, außerdem die Nachfahren der zwangsgetauften portugiesischen Juden, die im Zuge der Inquisition emigriert waren. Aschkenasen sind mittel-, nord- und osteuropäische Juden und ihre Nachfahren. Von ursprünglich mehr als 8400 Gräbern und Grabmalen sind heute noch etwa 8100 erhalten, davon 1600 jüdisch-sephardische. Auf keinem Friedhof der Welt, so Hamburgs Kulturbehörde, seien die Grabmale so vollständig und authentisch erhalten.

Kulturstaatsrat Carsten Brosda, der die Weltkultur-Pläne am Donnerstag vor Ort vorstellte, bezeichnete den Friedhof als „kulturhistorisches Gedächtnis über Jahrhunderte“. Hamburg beantrage den Weltkultur-Status für den Friedhof, weil man sich in der Stadt seiner globalen Bedeutung bewusst sei. „Der jüdische Friedhof Hamburg-Altona ist ein herausragendes Zeugnis der Historie unserer Stadt und steht in besonderer Weise für die Kultur des sephardischen Judentums“, so Brosda.

Landesrabbiner Shlomo Bistritzky sagte, der Friedhof, der Eigentum der jüdischen Gemeinde ist, sei aufgrund seiner hohen Bedeutung für die jüdische Kultur „schon längst ein Welterbe“. Der Friedhof dokumentiere auch das seltene Nebeneinander von sephardischen und aschkenasischen Begräbnisstätten – und so die ganze Bandbreite der jüdischen Grabmalkunst. Eindringlich dankte Bis­tritzky der Stadt für das Engagement. Gerade die seit Jahren laufenden Restaurierungen der Grabmale seien wichtig, denn, so Bistritzky, „viele Friedhöfe sterben mit der Zeit“.

Denkmalschutzamt geht von erfolgreicher Bewerbung aus

Dr. Agnes Seemann, die Projektleiterin Unesco Welterbe beim Denkmalschutzamt, zeigte sich am Donnerstag zuversichtlich, dass die begehrte Eintragung in die Liste gelingen werde. Die entsprechende Vorarbeit sei erfolgreich verlaufen. Im Zusammenhang mit dem Friedhof ziehen seit Jahren zahlreiche Einrichtungen an einem Strang: Das Denkmalschutzamt verantwortet die Restaurierung der Steine, das Institut für die Geschichte der deutschen Juden erforscht den Friedhof in Zusammenarbeit mit dem Sa­lomon-Ludwig-Steinheim-Institut in Duisburg und die Stiftung Denkmalpflege betreut das Informationszen­trum Eduard-Duckesz-Haus beim Eingang sowie das Besuchs- und Weiterbildungsprogramm. Bei einem Rund-gang durch die Anlage ließ sich Staatsrat Brosda noch einmal vor Ort über den Friedhof informieren.

Die starke Ausstrahlung der vielen Grabsteine erschließt sich Besuchern sofort, auch wenn sie zurzeit stellenweise mit Laub bedeckt sind. Denn die liegenden Grabmale der Sepharden zeichnen sich durch aufwendige Steinmetzkunst und die vielen Schmuckelemente aus. Noch Hunderte Jahre nach der Fertigstellung sind Darstellungen von Mensch- und Tiergestalten deutlich zu erkennen, dazu viele kunstvoll gestaltete Grabinschriften in verschiedenen Sprachen. Am 31. Mai 1611 hatten drei portugiesische Kaufleute dem Grafen Ernst III. von Holstein-Schaumburg ein Stück Land in Altona abgekauft.

Um Christen nicht unnötig zu reizen, sollten die Bestattungen möglichst unauffällig abgehalten werden. So wurde im Kaufvertrag festgehalten, dass die Zeremonie „ohne Singen und Clingen“ über die Bühne zu gehen habe. Auf dem Friedhof setzte man bis zum Ende des 19. Jahrhunderts Mitglieder der beiden jüdischen Gemeinden bei. 1869 wurde er behördlich geschlossen, auf dem sephardischen Teil gab es aber noch bis 1877 Begräbnisse. Frommet Mendelssohn, die Frau des Philosophen Moses Mendelssohn, liegt hier begraben, ebenso wie Samson Heine, der Vater des Dichters Heinrich Heine.