Hamburg. Seit April hausen am Nobistor Armutsflüchtlinge aus Osteuropa. Die Polizei muss jeden Tag anrücken.
Unter den Bäumen am Rande der Grünanlage sind ein paar Zelte aufgebaut. Drumherum liegen Decken im Gras, auf einer schläft eine Frau. Eine andere hat einen klapprigen Campingkocher aufgebaut und rührt in einem Topf. Müll liegt auf dem Rasen, über einem Geländer an der Straße hängen Hosen und drei große, wild gemusterte Teppiche. Auf einer Bank und auf dem Rasen sitzen Männer und starren Passanten an.
Im Park zwischen Nobistor und Königstraße hausen erneut Armutsflüchtlinge aus Rumänien und Bulgarien. Rund 25 Personen haben sich dort seit Anfang April niedergelassen. „Die Männer in Transportern, die Frauen in Zelten oder unter freiem Himmel“, sagt Anwohnerin Stephanie R. Als Mutter ist sie entsetzt darüber, dass auch ein zweijähriges Mädchen im Zelt schlafen muss. „Da muss doch das Jugendamt eingreifen.“
Neben der Sorge ist es aber vor allem Ärger, der sie und ihre Nachbarn umtreibt. Obwohl das Camp noch recht klein ist (vor zwei Jahren wurden bei einer Räumung 60 Personen des Platzes verwiesen), klagen sie über Vermüllung, Belästigung durch Musik, lautes Streiten und Bettelei – und darüber, dass die Camp-Bewohner unter den Balkonen ihrer Wohnhäuser ihre Notdurft und andere Dinge verrichteten. „Die Frauen heben ihre Röcke nicht nur zum Pinkeln“, drückt es Stephanie R. aus. Wenn sie durch den Park ginge, würde sie von Frauen bedrängt, die ihr wahrsagen oder Geld von ihr haben wollten. Neulich sei es unter den Camp-Bewohnern zu Handgreiflichkeiten gekommen. Als ein Beil gezückt worden sei, habe ihr Nachbar die Polizei gerufen. Als diese kam, habe keiner der Kontrahenten einen Streit zugeben wollen. Die Polizei wird oft zum Camp am Nobistor gerufen. „Es gibt täglich Beschwerden, und unsere Beamten sind täglich vor Ort“, bestätigt Polizeisprecherin Heike Uhde.
Auch in den umliegenden Geschäften fallen die Männer und Frauen aus Osteuropa unangenehm auf. „Hier ist die Ladendiebstahlsquote seit Anfang April um 100 Prozent gestiegen“, sagt etwa Michael Lund, Filialleiter eines nahen Penny-Marktes. Ähnliches höre er auch von anderen Supermärkten aus der Umgebung. Zehn bis 15 Hausverbote wurden alleine von ihm an Einzelpersonen aus der Gruppe verteilt, schätzt er. Geklaut werde alles. „Grillfleisch in großen Mengen, aber auch Kosmetikartikel und Kondome.“
In der Alimaus gegenüber, einer roten Blockhütte des Hilfsvereins St. Ansgar, bekommen bedürftige Menschen Mahlzeiten, Kleider und persönliche Zuwendung. Auch die Familien aus dem Park tauchen hier auf. „Sie bekommen etwas zu essen wie alle unsere Gäste“, sagt eine Mitarbeiterin. Und dürften selbstverständlich die Toiletten benutzen. Dort allerdings hätten sie schon häufig „das Putzzeug mitgehen lassen“.
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Das Camp am Nobistor sei in diesem Jahr „der erste Vorgang dieser Art“, sagt Sven Hielscher, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU Altona. Aber: „Grünanlagen sind dafür nicht da.“ Tatsächlich ist das Campen im Stadtgebiet wegen der Grün- und Erholungsflächen-Verordnung verboten. Dennoch lassen sich immer wieder osteuropäische Wanderarbeiter hier nieder; nicht nur am Nobistor, auch – wie im vergangenen Jahr – auf St. Pauli im südlichen Teil von Planten un Blomen. „Die Problematik ist immer dieselbe: Es wird nicht nachhaltig genug kontrolliert und geräumt“, so Hielscher. Der Verdrängungsdruck auf die Bewohner illegaler Camps müsse erhöht werden. „Die Stadt hat eine Fürsorgepflicht gegenüber diesen Menschen. Also muss sie dafür sorgen, dass sie in die Flächen ausweichen, die dafür zur Verfügung stehen.“
Als Unterkunft für die osteuropäischen Familien vom Nobistor ständen Container in der Zentralen Erstaufnahme Schnackenburgallee bereit, sagt Andreas Riedel von der SPD Altona, der dem Sozialausschuss vorsteht. „Doch sie möchten da nicht hin. Denn von einem zentralen Standort wie diesem könnten sie besser ihren Geschäften nachgehen.“ Er meint Bettelei und Prostitution. Gegen die immer wieder aus dem Boden sprießenden Armutscamps anzugehen sei für den Bezirk „ein Kampf gegen Windmühlen“, so Riedel.
Noch wird das Camp am Nobistor vom Bezirksamt geduldet. „Unser Ziel ist es, die Menschen mit Information und Beratung dazu zu bewegen, weiterzuziehen“, sagt Sprecher Martin Roehl. So würden die osteuropäischen Familien regelmäßig vom ABB-Service der Großstadt Mission aufgesucht, der eine „aufsuchende Beratung und Begleitung für besonders benachteiligte EU-Bürger“ anbiete.
Wie wenig nachhaltig eine Räumung sein kann, zeigt das Beispiel eines anderen Camps in der Grünanlage. Unter einer Überdachung an der Königstraße haben sich überwiegend deutsche Obdachlose und Drogensüchtige niedergelassen. Vor einem Monat sei geräumt worden, so Roehl. Mittlerweile aber leben dort wieder Menschen. „Die sind aber anders“, sagt Stephanie R. „Die bieten einem manchmal sogar einen Kaffee an.“