Hamburg. Sozialdienst soll beim schwer misshandelten Säugling Deljo Gewichtsverlust und blaue Flecken festgestellt, aber nicht gehandelt haben.
Nachdem der damals neun Monate alte Deljo im November mit einem mutmaßlich durch seine Eltern ausgelösten schweren Schütteltrauma ins Krankenhaus eingeliefert wurde, sieht es nun danach aus, als habe das Jugendamt bereits zuvor Hinweise darauf gehabt, dass das Kind krank sein könnte. Nach Abendblatt-Informationen besuchte der Allgemeine Soziale Dienst die Familie wenige Tage, bevor die Mutter das Baby in die Notaufnahme brachte, zu Hause. Dabei soll festgestellt worden sein, dass Deljo innerhalb weniger Wochen mehrere Hundert Gramm Gewicht verloren hatte. Zudem soll das Baby krank gewesen sein und blaue Flecken im Gesicht gehabt haben. Warum nicht bereits in diesem Moment etwas unternommen wurde, ist unklar. Als Deljo schließlich ins Altonaer Kinderkrankenhaus kam, leiteten Ärzte sofort eine Notoperation ein.
Jugendhilfeinspektion kümmert sich auch um den Fall Tayler
Das zuständige Bezirksamt Altona will sich zu den Hinweisen auf Anfrage nicht äußern. Sprecher Martin Roehl beruft sich auf den Sozialdatenschutz. Allerdings wird nun die Jugendhilfeinspektion klären, ob es Versäumnisse der Behörden im Umgang mit der Familie gegeben haben könnte.
Halid und Elvira A., Deljos Eltern, standen nach Abendblatt-Informationen bereits seit Mitte 2014 in Kontakt mit dem ASD. Dabei soll es vornehmlich um schlechte Zähne und den Gesundheitszustand der vier älteren Kinder gegangen sein und deren unregelmäßige Kita-Besuche sowie den Zustand der Wohnung. „Die Jugendhilfeinspektion wird sich mit Deljo beschäftigen“, bestätigte Roehl. Das werde aber erst geschehen, wenn der Fall Tayler abgeschlossen sei, der – mutmaßlich von seiner Mutter oder dem Stiefvater – so schwer misshandelt wurde, dass er starb.
Deljo und seine Geschwister sind nun woanders untergebracht
Dann muss auch die Frage geklärt werden, warum Deljo, der nach seiner Geburt mehrere Monate bei Pflegeeltern untergebracht war, überhaupt in die Familie zurückgebracht wurde. Weil der Junge zu früh geboren war, benötigte er medizinische Betreuung und Spezialnahrung. Nach Abendblatt-Informationen soll es damit Probleme gegeben haben, weil Halid und Elvira A. Analphabeten sein sollen und mit der Versorgung überfordert gewesen waren. Deshalb wurde der Junge zunächst aus der Familie genommen. Ende September kam er zurück, der ASD soll die Familiensituation zuvor als verbessert bewertet haben.
Inzwischen lebt der Junge wieder bei einer Pflegefamilie. Auch seine Geschwister wurden aus der Familie genommen. Nach Informationen des Abendblatts sollen die Eltern weder Kontakt zu ihnen haben noch ihren Aufenthaltsort kennen. Grund dafür ist wohl, dass die stadtweit verzweigte Großfamilie bei den Behörden als schwierig bekannt ist und sich Deljos Vater bereits bei einer Anhörung aggressiv verhalten haben soll.
Auch der Senat beruft sich in der Antwort auf eine schriftliche Kleine Anfrage des CDU-Abgeordneten Philipp Heißner zu großen Teilen auf den Sozialdatenschutz. Die Anfrage thematisiert auch den Fakt, dass der Fall erst am 13. Januar durch Polizei und Staatsanwaltschaft bekannt wurde. Der Senat erklärt diesen Umstand damit, dass eine aktive Pressearbeit zu einem früheren Zeitpunkt die Ermittlungen gefährdet hätte.
Ermittlungen der Staatsanwaltschaft haben keine neuen Ergebnisse gebracht
Die Familie war offenbar nicht nur wegen der Kinder mit den Behörden in Kontakt. Halid und Elvira A., die in Hamburg geboren wurden, aber keinen deutschen Pass haben, wurden 2014 von der Ausländerbehörde zur Ausreise aufgefordert. Während der Vater nach Informationen des Abendblatts einen Pass aus Montenegro besitzt, hat die Mutter offenbar gar keinen. Das erschwert zwar die Abschiebung, zuletzt soll jedoch die Risikoschwangerschaft mit Deljo der Grund dafür gewesen sein, dass die Eltern bleiben konnten. Zurzeit sind beide in Deutschland geduldet, weil das Strafverfahren wegen der Misshandlung Deljos gegen sie läuft. Auch mit der Polizei standen die Eltern in Kontakt: Halid A. wegen diverser kleinerer Delikte, Elvira A. wurde nach Angaben des Senats mehrfach wegen Diebstahls zu Geldstrafen verurteilt, zuletzt sei gegen die damals 25-Jährige am 18. Juni 2015 eine Freiheitsstrafe von fünf Monaten auf Bewährung verhängt worden.
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu der Misshandlung haben indes noch kein neues Ergebnis gebracht. Ähnlich wie bei Tayler, dem im Dezember nach einem Schütteltrauma verstorbenen Säugling, richtet sich der Verdacht gegen Mutter und Vater beziehungsweise Lebensgefährten. In beiden Fällen ist es den Ermittlern bislang nicht gelungen, einen Tatverdacht gegen eine Person zu erhärten. Offenbar hilft im Fall Deljo auch das rechtsmedizinische Gutachten nicht.
Im Fall Tayler wird Gutachten für Ende des Monats erwartet
Im Fall Tayler dagegen kann möglicherweise das Gutachten noch Aufklärung zum genauen Misshandlungszeitpunkt und damit zum Tatverdächtigen bringen. Es wird für Ende des Monats erwartet. Möglicherweise könnten sogar beide straffrei ausgehen. Eine weitere Parallele zwischen den Fällen ist die Tatsache, dass der ASD offenbar in beiden Familien wenige Tage vor der Einlieferung ins Krankenhaus zu Besuch war und jeweils blaue Flecken an den Kindern feststellte – die Mitarbeiter jedoch nichts unternahmen.