Hamburg. Nach dem Brand droht dem Hamburger Kult-Nachtclub Golden Pudel das Aus. Die Geschichte einer bundesweiten Ikone der Gegenkultur.
Wo die Legende noch vor Tagen in voller Lautstärke lebte, haben sie einen großen Bauzaun gezogen. Ein Schild daran klappert im Wind: „Betreten verboten – Bau- und Brandsanierung“. Drinnen wird versucht zu retten, was geht. Holzlatten stützen den Dachstuhl, der weiter einzustürzen droht. Spanplatten kleben da, wo das Feuer einfach Löcher in die Wände riss. Vor dem Haus liegen Blumen. „Wir sind schockiert“, sagen manche Passanten, Unterstützer, es steht auch auf einem Schild an der „Hasenschaukel“, St. Pauli trägt Trauer.
Die Brandermittler der Polizei prüfen kleinste Beweisfragmente, um zu klären, warum der Golden Pudel Club am Fischmarkt so zugerichtet wurde. Mit großer Sicherheit wurde das Feuer im Mutterschiff der Hamburger Subkultur am frühen Sonntagmorgen absichtlich gelegt. „Der Brand entstand in einem Schuppen auf der Terrasse, in dem es keine Elektrik gibt“, sagt Polizeisprecher Andreas Schöpflin. „Auch aufgrund der Gegebenheiten muss es eine schwere Brandstiftung von außen gegeben haben.“ Zuerst verschmorten Stühle in dem Anbau, der offenbar als Lager genutzt wurde, bevor das Feuer auf das Dach des Nachtclubs übergriff.
Brand in Hamburger Kultclub Golden Pudel
"Kein Tatverdacht" gegen Flaschensammler
Noch in der Tatnacht vernahmen die Beamten einen Schwarzafrikaner. Er sammelt am Tage Pfand und schläft nachts auf der Terrasse des „Pudel“ unter mehreren Planen, wie mehrere andere Obdachlose. Er habe eine Kerze dort stehengelassen und den Brand verursacht, sagte der Mann zunächst. Später nahm er die Aussage zurück. Laut Polizei kann das Feuer nicht an seinem Schlafplatz ausgebrochen sein. „Gegen den Mann gibt es derzeit keinen Tatverdacht“, sagt Schöpflin.
Nach Abendblatt-Informationen beträgt der Schaden an dem Gebäude mindestens 200.000 Euro, grundsätzlich zahlt die Versicherung auch bei einer Brandstiftung. Die Ermittler haben weder Hinweise auf einen möglichen Täterkreis noch auf ein Motiv. In den sozialen Netzwerken wird ebenso über einen möglichen Versicherungsbetrug spekuliert, wie über einen Anschlag von potenziellen Investoren, die den Preis der Immobilie nach unten drücken wollten. Selbst von einem vermeintlich rassistischen Hintergrund der Tat ist die Rede, da auf der Terrasse angeblich auch Mitglieder der Lampedusa-Gruppe nächtigen. „Es bringt nichts, darüber jetzt viel zu reden“, sagte der Künstler und Autor Rocko Schamoni, der den Golden Pudel Club betreibt, dem Abendblatt. „Im Moment sind die Polizei und die Versicherung am Zug, dann wird man sehen.“
Schon unmittelbar nach dem Brand am Sonntag sagte Schamoni, dass der Zeitpunkt „natürlich seltsam“ sei. Am 20. April soll der Golden Pudel Club, längst bundesweit Kult und eine Art Staatstheater der Off-Szene, zwangsversteigert werden. Weil sich Schamoni mit seinem alten Freund, Miteigentümer Wolf Richter, überwarf. Der verheerende Brand am Sonntag ist auch der Tiefpunkt in der Geschichte einer Auseinandersetzung der beiden Männer, welche die stolze Subkultur Hamburgs insgesamt betrifft.
Miteigentümer Richter wollte profitabel arbeiten
Die Vorgeschichte: Die Jugendfreunde Schamoni und Wolf Richter, Bruder des Malers Daniel Richter, tun sich im Jahr 2008 geschäftlich zusammen, als der „Pudel“ schon eine Ikone ist. Seit 1988 zelebrieren ehemalige Punks dort ihre Gegenkultur, allen voran der Sänger und Autor Schorsch Kamerun, der bis heute für den laufenden Betrieb verantwortlich ist. Im Jahr 1994 zieht der Club in das ehemalige Schmugglergefängnis am Hafen mit 269 Quadratmetern – einige Jahre später der Sandkasten für die „Hamburger Schule“, für Bands wie Die Sterne und Tocotronic. Das Herz für die Gegenkultur habe sie zum Kauf getrieben, heißt es kurz nach der Übernahme durch Schamoni und Richter, die – wie auch fast alle Unterstützer – noch immer von dem abgerockten Schuppen mit Spitzgiebel wie von ihrer einzig großen Liebe sprechen.
Doch im Binnenverhältnis der neuen Eigentümer ist jede Romantik schnell verflogen, es prallen Welten aufeinander. Auf der einen Seite die Pudel-Familie um Kamerun und Schamoni, die das Club-Gebäude als Teil des Projekts Park Fiction sieht, als einen „nicht kommerziellen, kollektiven Freiraum“. Die zu durchzechten Nächten hinter den Bretterzäunen einlädt, wo jeder Zentimeter bekritzelt ist und die Bässe am Wochenende auf die Bausubstanz einhämmern. Auf der anderen Seite Wolf Richter, der zunächst noch beim Nachtclub mitwirkt, aber bald im zweiten Obergeschoss das „Café Oberstübchen“ eröffnet, so wie ein Restaurant eben funktioniert: mit fester Karte und festen Preisen.
Die Männer streiten zunächst über die Nutzung des Dachgeschosses, später vor Gericht um die Aufteilung der Kosten. Wolf Richter beteilige sich nicht an der Tilgung aufgelaufener Kosten und gemeinsam aufgenommener Kredite, werfen ihm die Kläger vom Golden Pudel Club vor. Der Beschuldigte hält bis zuletzt dagegen: Das Café werfe nicht genug ab und dürfe ja auch nicht kommerziell betrieben werden. Am Ende verliert Richter: Er muss seinen alten Weggefährten ein Mitbestimmungsrecht einräumen und die Erlöse aus dem Cafébetrieb offenlegen.
Die Aktivisten wollen weiterkämpfen
Als auch eine Mediation während des Rechtsstreits scheitert, ist klar, dass die Beziehung der Eigentümer nicht mehr zu retten ist. Er würde jederzeit wieder persönlich mit Richter sprechen, aber nun gehe es eben über Anwälte, sagt Schamoni in Interviews. Richter spricht nicht mit der Presse; aus dem Umfeld der Eigentümer heißt es, die beiden Männer seien in etwa gleich dickköpfig. Aber der Unternehmer Richter ist es, der den Betrieb des Cafés im Obergeschoss im Jahr 2015 einstellt. Die Teilungsversteigerung wird der letzte Ausweg in einem festgefahrenen Konflikt. Diese besondere Art der Zwangsversteigerung findet in der Rechtspraxis häufig Anwendung, wenn sich Eheleute bei einer Scheidung nicht über den Umgang mit gemeinsamen Immobilien einigen können.
Am 20. April können die beiden Eigentümer, aber auch jeder andere Investor nun auf das Gebäude bieten. Der Verkehrswert der Immobilie wurde vor dem Brand auf 510.000 Euro festgelegt. Die Pudel-Betreiber stehen wehrhaft hinter ihrer Idee: „Dieses Haus ist keine Immobilie wie jede andere“, pflegt Schorsch Kamerun zu sagen. „Egal, was passiert, wir werden gemeinsam mit ganz vielen um diesen Ort kämpfen.“ In Netzwerken haben sich in den vergangenen Jahren mehr als 11.000 Nutzer in Gruppen für den Club zusammengefunden, teilen dort jetzt ihre Fassungslosigkeit und stellen Fragen.
Sympathiebekundung aus der Politik
Nicht wenige in der Verwaltung und der Politik drücken ihre Sympathie für das alternative Zentrum am Hafen aus. „Der Pudel ist längst eine Berühmtheit im gesamten Bundesgebiet, auch ein Imageträger und kleiner Tourismusfaktor“, heißt es aus dem Senatsumfeld. Falko Droßmann (SPD), designierter Bezirksamtsleiter Hamburg-Mitte, legt sich fest, dass „nichts anderes als die derzeitige Nutzung denkbar“ ist. „Wir müssen alle sinnvollen Mittel nutzen, dies zu sichern.“
Allerdings ist das zunächst nur eine Meinungsäußerung: Das Grundstück liegt nicht im Bezirk Mitte, planungsrechtlich ist der Bezirk Altona zuständig. Die Rechtslage sieht eine „kulturelle Nutzung“ für die Fläche vor, die den Pudel-Aktivisten jedoch noch keine Sicherheit gibt: Es reiche aus, dass ein Investor zweimal in der Woche ein Pianostück spielen lasse – schon könne eine US-Kaffeehauskette die Immobilie trotz der Klausel regulär übernehmen, hat Rocko Schamoni bereits gespottet.
Die Bieter müssen sich jedoch auf eine bissige Anhängerschaft des Clubs einstellen. „Wir akzeptieren nur eines: Die angestammte Behausung des Hundes mit dem struppigen Fell wird dem Kapitalmarkt entzogen und geht in eine Stiftung über“, heißt es in einem Aufruf bei Facebook. „Leider bedeutet der zu erwartende Widerstand nicht unbedingt, dass Investoren mit ganz anderen Ideen auf ein Gebot verzichten“, glaubt Droßmann. Ob sich das Gebäude instandsetzen lässt, ist noch ungewiss. Bei der Pudel-Gemeinschaft gingen Angebote von Freiwilligen ein, die handwerklich helfen wollen. „Dafür sind wir dankbar“, heißt es. Aber noch müssten die Anhänger abwarten. Und die erste Trauer überwinden.