Hamburg. Die Zwischenbilanz der Einzelhändler an der Großen Bergstraße fällt positiv aus, aber die Angst vor einem „Mieten-Monopoly“ bleibt.

Als im Sommer 2014 Ikea in Altona sein erstes Möbelhaus mitten in einer Fußgängerzone eröffnete, waren die Befürworter euphorisch: Endlich würde die Große Bergstraße nach ihrem Niedergang wieder zentrale Einkaufsmeile des Bezirks werden, sagten sie. Kritiker befürchteten indes horrende Mietsteigerungen für die vielen kleinen Läden dort und den Beginn ihrer großen Verdrängung.

Geplant war eine Fotodokumentation über die kleinen Läden

Auch Regine Christiansen war eher kritisch. Die 63 Jahre alte Fotografin kennt den Stadtteil seit Kindheitstagen, lebt dort und wollte zunächst gemeinsam mit der PR-Unternehmerin Vera Stadie, 61, eine Fotodokumentation über die Straße und die Zeit nach der Ikea-Eröffnung erstellen. Sie besuchten die vielen kleinen Läden, fanden Werkstätten und Inhaber, die auch die schweren Jahre durchgehalten hatten und bereits in zweiter oder dritter Generation ansässig sind.

Claus Kröger
Claus Kröger © Regine Christiansen | Regine Christiansen

Krögers Feinkostgeschäft etwa, dessen Ursprünge bereits 1924 gegründet worden waren. Trüffelpralinen, Kakao und spezielle Gewürze findet man dort. Die beiden entdeckten im italienischen Eiscafé „Filippi“ (seit 1956) die wohl beste Cassata der Stadt, wie sie meinen. Sie trafen auf „Birgit und Sam“, sie Deutsche, er aus Togo, die bunte Mode verkaufen, die in einem sozialen Projekt in Togo hergestellt wird. Sie besuchten den kleinen Lebensmittelladen von Bernd Heiser, den alle in Anlehnung an den Begriff „Tante-Emma-Laden“ nur „Tante Bernd“ nennen. Sie lernten den türkischen Schlachter kennen, der im Umland einen eigenen Hof betreibt und mit seinen Produkten hamburgweit bekannt ist. Kurzum: „Wir entdeckten mit der Straße einen Schatz“, sagen beide Autorinnen heute.

Plädoyer für den Erhalt solcher Einkaufsstraßen

Aus der geplanten Dokumentation ist daher ein Buch geworden, in dem viele der Läden beispielhaft für ihre Branchen liebevoll porträtiert werden. „Hoodies, Hirschhornsalz und gute Worte“, so lautet der Titel, der offensichtlich in Altona derzeit auf große Resonanz stößt. Mittlerweile gibt es in einigen der Läden regelmäßig Lesungen, und die beiden Autorinnen bieten sogar Führungen zu und durch die kleinen Perlen an.

Dabei zeigt ihre fotografische und textliche Momentaufnahme ein sehr differenziertes Bild. Ob es nun bergauf oder doch bergab geht mit der Straße, das scheint längst noch nicht entschieden. Aber es ist ein Plädoyer für den Erhalt solcher Einkaufsstraßen, die in den Städten mehr und mehr durch finanzstarke und immer gleiche Filialbetriebe zu einem Einheitsbrei mutieren.

Die kleinen Läden an der Bergstraße

Juniorchef Soner Coban in seinem Geschäft für Schneidereibedarf
Juniorchef Soner Coban in seinem Geschäft für Schneidereibedarf © Regine Christiansen | Regine Christiansen
Birgit Rohde verkauft bunte Mode an der bunten Straße
Birgit Rohde verkauft bunte Mode an der bunten Straße © Regine Christiansen | Regine Christiansen
Claus Kröger (Krögers Feinkost) ist einer der Einzelhändler, die mit ihren kleinen speziellen Läden noch immer die Straße prägen
Claus Kröger (Krögers Feinkost) ist einer der Einzelhändler, die mit ihren kleinen speziellen Läden noch immer die Straße prägen © Regine Christiansen | Regine Christiansen
Thi Oanh Truong malt winzige Blüten auf ein Nagelmodell
Thi Oanh Truong malt winzige Blüten auf ein Nagelmodell © Regine Christiansen | Regine Christiansen
1/4

Ikea brachte Aufschwung aber auch eine Art „Mieten-Monopoly“

Und Ikea? Zunächst sieht es so aus, als habe die Eröffnung tatsächlichen den großen Schub gebracht, nachdem die Schließung von Karstadt 2003 wohl am sichtbarsten den Niedergang darstellte. Allerdings zog der Leerstand auch Ateliers an. Die Künstler im Frappant beispielsweise oder das Kultwerk West. Noch 2009 diskutierten Anwohner in sogenannten Planungswerkstätten über die Zukunft, plädierten für kleinteiliges Gewerbe und alternative Wohnformen in Leerständen, für eine bunte Straße eben.

Die Politik entschied sich jedoch 2010 für Ikea. Und die Ansiedlung brachte tatsächlich den lang ersehnten Aufschwung, jedenfalls für einige: Im Vorwort zu dem Buch zitiert die Handelskammer dazu eine Untersuchung der Uni Osnabrück: 13 neue Geschäfte haben sich demnach in den vergangenen Jahren dort angesiedelt, Einzelhändler und Gastronomen würden mehr Kunden registrieren. Und noch sind von 104 Läden in der Straße 62 von Inhabern geführt. Viele von ihnen werden in dem Buch ebenfalls mit zustimmenden Worten für die Ikea-Ansiedelung zitiert. „Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass ich mich über Ikea nicht freue“, sagt da beispielsweise der Inhaber von „Shirts and more GmbH“.

Aber es gab auch eine andere Seite der Entwicklung. Manche Läden mussten schließen und erlebten eine Art „Mieten-Monopoly“: So sollte die Inhaberin einer Bilderrahmenwerkstatt plötzlich Gebote für eine neue Miethöhe abgeben, andere Interessenten boten sogar Geld für einen Auszug. Auch bei einem beliebten Asia-Shop verwies der Betreiber auf eine höhere Miete, die ihn zur Aufgabe seines Geschäfts bewegt habe. „Oft hängt es am Vermieter, ob kleine Läden eine Chance haben“, sagen die Autorinnen. Vera Stadie und Regine Chistiansen verstehen ihr Buch daher auch als Botschaft an die Politik, diese Vielfalt zu unterstützen.

Aber nicht nur die Politik sei gefordert, wenn man Straßen wie die Große Bergstraße in ihrem Charakter erhalten wolle. „Letztendlich“, sagen beide, „sind wir alle mit unserem Einkaufsverhalten auch selbst dafür verantwortlich.“

Hören und Erleben

 

Führungen: Auf der Internetseite „das-grosse-bergstrassen-buch.jimdo.com“ veröffentlichen die beiden Autorinnen regelmäßig Termine für Lesungen und Führungen.

 

Das Buch selbst bekommt man vor allem in den Läden der Großen Bergstraße. Es hat 83 Seiten, kostet acht Euro und ist als Softcover im DIN-A4-Format erschienen. Insgesamt werden dort 36 unterschiedliche Geschäfte der Straße vorgestellt.

1/2