Vor einem Jahr hat das Abendblatt im Rahmen der Serie zwölf Hamburger Geschäftsinhaber porträtiert. Miriam Opresnik hakte nun nach.
Spielzeug Kinderpost (Wellingsbüttel)
Heike Post, 64, ist alleine im Laden. Ihre Schwiegertochter Simone hat inzwischen einen Bürojob angenommen und arbeitet nicht mehr mit im Spielzeuggeschäft – und wird die Kinderpost auch nicht wie geplant übernehmen. Das vergangene Jahr war hart für Ulrike Post. Die Umsätze in ihren beiden Läden in Poppenbüttel und Wellingsbüttel sind zurückgegangen, die Konkurrenz aus dem benachbarten Alstertal-Einkaufszentrum wird immer größer. Und trotzdem: Heike Post will weiterkämpfen. Im nächsten Jahr wird sie 65. „Das heißt aber nicht, dass ich in Rente gehe“, stellt sie klar. Und zumachen will sie erst recht nicht. „Ich mache weiter, bis ich einen Nachfolger finde.“ Egal, wann das ist.
Feinkosthaus Ahrend (Blankenese)
Olaf Mertens, 47, meldet sich abends. Lange, nachdem das Feinkosthaus Ahrend in Blankenese geschlossen hat. Lange nach Feierabend. Es gibt viel zu tun. Er hat inzwischen mehr Kunden, macht mehr Umsatz. Der Grund: Die Menschen legten wieder mehr Wert auf Qualität und seien aus moralisch-ethischen Gründen bereit, mehr Geld für Lebensmittel auszugeben. „Ein niedriger Preis als Kriterium beim Kauf von Lebensmitteln scheint an Bedeutung zu verlieren“, so Mertens. Er musste sogar zusätzliches Personal einstellen, hat inzwischen 17 Mitarbeiter. Manchmal denkt er über ein zweites Geschäft nach oder ein kleines Bistro mit seinen hausgemachten Spezialitäten. Aber er hat Angst, dann nicht mehr so für seine Kunden da sein zu können. Und das will er nicht.
Optiker Maizak (Harburg)
Manchmal gibt es einfach keine passenden Worte. Worte, um über den Tod eines Menschen zu schreiben. Den Tod von Michael Maizak. Vor drei Monaten ist der Optikermeister plötzlich gestorben. Mit 61 Jahren. Seit dem Tod ihres Mannes führt Marion Maizak, 59, das Geschäft in Harburg. Das Geschäft, das ihr Schwiegervater vor mehr als einem halben Jahrhundert aufgebaut hat. Im Januar 2016 steht das Firmenjubiläum an: 55 Jahre. „Mein Mann hat sich gewünscht, dass ich weitermache“, sagt Marion Maizak. Es ist mehr als ein Geschäft, mehr als ein Familienunternehmen. Es ist ein Lebenswerk. Und dafür fühlt sie sich verantwortlich. Für die fünf Mitarbeiter und deren Arbeitsplätze. Und für die Kunden. Die Kunden, die täglich nach Michael Maizak fragen, geschockt über seinen plötzlichen Tod sind. Die seit Jahren von ihm betreut wurden und sich nicht vorstellen können, zu einem anderen Optiker zu gehen. Für Michael Maizak waren sie das Wichtigste an seinem Job. Die Kunden, nicht die Umsätze. Das soll sich nicht ändern. Auch nach seinem Tod nicht. Oder gerade jetzt nicht.
Modeboutique Marose (Altona)
Sie haben es geschafft: Birgit Rohde, 58, und Sam Bomboma, 35, haben das verflixte siebte Jahr überstanden. Nicht als Paar, sondern als Geschäftsinhaber. Nachdem sie im vergangenen Jahr mit ihrer Modeboutique ums Überleben gekämpft haben, läuft das Geschäft im achten Jahr jetzt besser. Woran es liegt? Vielleicht an Ikea, vielleicht an ihren zahlreichen Verkaufsaktionen und Veranstaltungen. Trotzdem behalten beide weiterhin ihre Nebenjobs. Sicher ist sicher. Am meisten freuen sie sich über den Erfolg des Kissenprojektes zugunsten der Theresa-Bomboma-Stiftung in Lomé, benannt nach Sams verstorbener Mutter. Seit die Firma „fashionforhome“ Partner geworden ist und die Kissen online vertreibt, wurden rund 500 Exemplare verkauft. Für jedes verkaufte Kissen kann ein Kind für einen Monat in die Schule gehen oder eine junge Frau bekommt einen Monat eine Ausbildung zur Schneiderin finanziert.
Obst und Gemüse Terheyde (St. Pauli)
Sie haben sich ein bisschen neu erfunden, sagt Doris Terheyde, 51. Weil sie jetzt montags geöffnet haben – und mittwochs Ruhetag machen. Weil Montag der bessere Tag ist. Weil die Kühlschränke dann nach dem Wochenende leer sind, die Leute mehr einkaufen. Es war ein schwieriges Jahr für den Einzelhandel, meint Torsten Terheyde, 58. Sie haben Glück gehabt, ihnen geht es gut. Aber nur, weil sie sich ins Zeug legten. Mehr Einsatz zeigten als andere. Aber auch sie würden eine Veränderung merken. Merken, dass die Kunden öfter nach dem Preis fragen, mehr kalkulieren. Sie kaufen trotzdem bei ihm ein. Aber ein bisschen weniger als früher. Manchmal wird Torsten Terheyde gefragt, wie lange er noch arbeiten muss. Dann sagt er, dass er seine Tätigkeit nicht als Arbeit versteht. Sondern als sein Leben. Rentner zu sein – das findet er nicht erstrebenswert.
Fisch Veldhoen (Sasel)
Bettina Veldhoen, 57, hat sich im vergangenen Jahr oft gemeldet. Immer wieder geschrieben, wie es läuft, wie es ihnen geht. Jetzt ist seit ein paar Monaten Funkstille. Ein schlechtes Zeichen? Ja. „Leider“, sagt Bettina Veldhoen. Ihr Mann Klaus ist schwer krank. Wieder. Dabei hatte er sich gerade erholt, die Leukämie überlebt, sogar mit der Arbeit wieder angefangen. Und dann das. Kein Rückfall, sondern eine neue Erkrankung! Ein Adenokarzinom. Die Prognose: Hoffnungslos! Jetzt könne man nur noch palliativ tätig werden, sagt Bettina Veldhoen. Sie ist im Laden. Trotzdem. Oder gerade deswegen. Schließlich muss das Geschäft ja weiterlaufen. Und irgendwie lenkt die Arbeit auch ab. Ihr Sohn Sascha studiert jetzt berufsbegleitend, damit er sie im Laden unterstützen kann. Außerdem haben sie einen neuen Angestellten, der das Fischhaus gerne übernehmen würde. Irgendwann. Doch daran denkt Bettina Veldhoen noch nicht. Im Moment geht es nur um ihren Mann. Sie hofft, dass es schnell geht. Und dass sie dann bei ihm sein kann.
Blumenladen Natürlich (Nienstedten)
Das sind ja Neuigkeiten! Beim letzten Bericht vor 14 Monaten war Sandra Helmrich schwanger – und jetzt ist sie es wieder! In ihrem Blumenladen Natürlich in Nienstedten ist die 39-Jährige trotzdem fast täglich. Manchmal sind es bis zu 40 oder 50 Stunden pro Woche – manchmal aber auch „nur“ 20. Je nachdem, wie sie und ihr Mann die Betreuung ihrer Tochter Martha, 14 Monate, geregelt bekommen. Bereits zwei Monate nach der Geburt von Martha musste sie wieder arbeiten gehen, weil eine Mitarbeiterin im Laden ausgefallen war. Weil sie gebraucht wurde. „Das Jahr war schon schwer“, sagt Sandra Helmrich und erzählt, wie sie hin- und hergerissen gewesen sei. Zwischen ihrem Baby und dem Laden. Zwischen dem Job und der Familie. „Aber schließlich schenkt mir der Beruf auch sehr viel Freude und ich habe auch eine Verantwortung dem Laden gegenüber und den Mitarbeitern, sagt Sandra Helmrich. Elternzeit konnte sie nicht nehmen, das hat ihr Mann gemacht. Baby Nummer zwei kommt im April zur Welt, dann will Sandra Helmrich wieder versuchen kürzerzutreten. Eine zusätzliche Mitarbeiterin hat sie bereits eingestellt. „Die Familie ist und bleibt das Wichtigste!“, sagt sie. Manchmal fragt sie sich, wie es weitergehen soll, wenn sie zwei Kinder hat. Langfristig planen könne man mit Kindern ja eh nicht. Und mit einem Laden noch weniger. Viel Zeit hat sie nicht, darüber nachzudenken. Derzeit steckt sie mitten in den Vorbereitungen für die Adventsausstellung.
Möbelladen Lokaldesign (Schanze)
Ein Ende und ein Neuanfang: Das Geschäftsduo von Lokaldesign gibt es nicht mehr. Katharina Roedelius, 34, führt den Laden im Schanzenviertel inzwischen alleine. Ihre Mitgründerin Julia Oertel ist aus dem Projekt ausgestiegen. „Wir haben uns im Guten getrennt“, sagt Katharina Roedelius. Das ist ihr wichtig. „Aber wie es in der Start-up-Welt so ist, gibt es manchmal eben neue Projekte. Und als Unternehmer möchte man sich einfach auch mal verändern.“ Sie selbst hält aber weiterhin an Lokaldesign fest und schafft es inzwischen, die Lücke mit zwei Angestellten zu überbrücken. In diesen Tagen ist Lokaldesign vier Jahre alt geworden und der nächste Schritt steht an: 2016 möchte sich Lokaldesign in Hamburg vergrößern und in mehreren deutschen Städten Pop-up-Stores eröffnen. Aus diesem Grund hat Katharina Roedelius eine Crowdfunding-Aktion im Internet gestartet, um das nötige Geld aufzutreiben. Weitere Infos gibt es unter: www.startnext.com/lokaldesign-braucht-platz
Musik von Merkl (Bergedorf)
Da Capo: Stefan von Merkl, 52, holt tief Luft. Dann legt er los. Presto, geschwind. Er weiß nicht, wie lange er alleine im Laden ist, wie viel Zeit er hat. Also los. Er erzählt, dass der Preisdruck durch das Internet noch weiter zugenommen hat. Dass viele Kunden im Geschäft die gleichen Preise verlangen wie online. Und dass das einfach nicht geht. Und trotzdem, oder gerade deswegen: Die Kundenzahl hat zugenommen, gute Beratung und Qualität würden wieder verstärkt nachgefragt. Stefan von Merkl kommt den Ansprüchen nach: Er hat einen eigenen Raum für elektronische Musikinstrumente und musikalisches Zubehör der Firma Korg eingerichtet, außerdem einen Gitarrenexperten eingestellt. Im kommenden Jahr soll die Gitarrenabteilung komplett neu gemacht werden. Das Sortiment wird erweitert, der Präsentationsraum neu gestaltet. Stefan von Merkl spricht langsamer. Adagio langsam. Er hat alles gesagt. Fine!
Eisenwaren Harms (Hoheluft)
Uwe Kaspereit, 57, ruft vom Auto aus an. Er ist auf dem Weg zu einem Kunden, will eine Badewannenarmatur installieren. Der Service ist ihm wichtig, sehr wichtig. Deswegen läuft sein Geschäft gut. So gut, dass er nicht telefonieren kann, wenn er im Laden ist. Dann ist zu viel los. Zwischen 120 und 140 Kunden kommen pro Tag, manchmal sogar bis zu 180. „Wir profitieren von der hohen Fluktuation in unserem Viertel“, sagt Uwe Kaspereit. Auf diese Weise habe er immer neue Kunden. Weil es so gut läuft, hat er inzwischen eine neue Mitarbeiterin eingestellt, damit seine Frau etwas weniger arbeiten kann. Damit die Familie ein bisschen mehr Zeit füreinander hat. Das Internet macht ihm keine Konkurrenz. „Manchmal fragen die Leute zwar, warum etwas online günstiger als bei uns im Laden ist – aber wenn ich das erkläre, akzeptieren die meisten das“, sagt Uwe Kaspereit. Er weiß, dass er Glück hat, dass die Menschen bei ihm im Einzugsgebiet nicht jeden Cent umdrehen müssen, ein bisschen mehr zahlen können. Und wollen. Für seine Waren. Und diesen besonderen Service.
Asialand Yeoh (Langenhorn)
Seng Leong Yeoh, 58, nimmt sofort ab. Nach dem ersten Klingeln schon. Er steht gerade neben dem Telefon, der Laden ist leer. Trotzdem: Es läuft ganz gut. Die Situation in der Tangstedter Landstraße sei besser als beim letzten Bericht, sagt Herr Yeoh. Die Parkplatzsituation habe sich ein bisschen entspannt, es kämen wieder mehr Kunden. Ein paar neue sind auch dabei. Sie sind durch den Bericht auf ihn aufmerksam geworden – und kommen immer wieder. Trotzdem arbeitet er immer noch alleine und hat keine Angestellten. Er braucht keine Hilfe. Nur die von
Buddha. Der großen Figur in seinem Laden streichelt er immer noch morgens und abends über den Bauch. Das soll Glück bringen, sagt man. Und Herr Yeoh ist sich sicher, dass das stimmt.
Fleischerei Anger (Eimsbüttel)
Uwe Anger kommt gleich zur Sache. Das Geschäft wird am 14. November geschlossen. Für immer. Einen Nachfolger gibt es nicht. „Wollte der Vermieter nicht. Die wollen die Räume anders nutzen“, sagt Uwe Anger. 78 ist er jetzt. Schon vor einem Jahr hat er ans Aufhören gedacht, dann aber noch weitergemacht. Und weiter. Und weiter. Doch jetzt geht es nicht mehr. Seine Frau Edith, 77, ist zum Pflegefall geworden. „Hat sich nach einer Operation nicht mehr erholt“, sagt Uwe Anger. Sie braucht ihn jetzt. Doch bevor er sich um sie kümmern kann, muss er noch den Laden ausräumen. „Kommt alles auf den Müll“, sagt Uwe Anger. Schade drum, vieles sei noch gut erhalten, aber er habe keinen Abnehmer dafür gefunden. Vor mehr als 50 Jahren hat er seine erste Fleischerei übernommen, wie es jetzt weitergeht, weiß er noch nicht. Die Arbeit wird ihm fehlen.