Hamburg. Aktivisten wollen historische Fassade wieder herstellen. Früheres Theater soll geöffnet und weltbekanntes Musical aufgeführt werden.

Der Seiteneingang liegt etwas versteckt hinter grünem Buschwerk. Eine verbeulte Stahltür ohne Klinke – nur wer klingelt, kommt hinein. Die Luft im Inneren ist modrig und feucht. Bunte Graffiti, Plakate und Aufkleber bedecken die hohen Wände. Doch wer sich weiter über die abgewetzten Dielen und in die dahinterliegende „Vokü“ – die sogenannte Volxküche – wagt, dem bietet sich plötzlich ein ganz anderes Bild: Steril-weiße Wände, kupferfarbene Lampen und liebevoll zusammengepuzzelte Mosaikbilder. Der Raum ist lichtdurchflutet, durch den neuen Eingang zum Schulterblatt dringt der Lärm der Straße. Was man sieht, will nicht zum üblichen Bild der Roten Flora passen.

Überhaupt reibt man sich in diesen Tagen verwundert die Augen, wenn plötzlich Journalisten aller Couleur in die Rote Flora eingeladen werden. Scheuten die Betreiber bislang das öffentliche Interesse eher und ließen Medienanfragen, wenn überhaupt, erst nach wochenlanger Beratung zu, so kommen nun ungewohnte Töne aus dem seit mehr als 25 Jahren von Linksautonomen besetzten Gebäude: „Hereinspaziert, voilà“, heißt es auf einmal in einer Pressemitteilung.

„Wir wollen uns wieder mehr zum Stadtteil hin öffnen“, erklärt die Rote Flora, die meist nur als Kollektiv spricht. So soll die verbarrikadierte Trutzburg in Zukunft zu einem offenen Stadtteilzentrum für alle werden, in dem neben Konzerten auch kleinere Lesungen, Ausstellungen und andere Veranstaltungen stattfinden können. Den Anfang machten die Besetzer mit einer Ausstellungseröffnung am vergangenen Wochenende. Unter dem Titel „Der Bau – alles nur Fassade?“ werden bis Mitte Juli anhand noch nie veröffentlichter Zeichnungen, Bilder und Baupläne sowohl die Zeit des ehemaligen Varieté-Theaters vor der Besetzung als auch die vergangenen Jahrzehnte des Protests und Widerstands dokumentiert.

Bei der Gelegenheit sollen Besucher auch die Möglichkeit haben, die neuen Räume des umgebauten Gebäudeteils zu besichtigen. Neben einer neuen WC-Anlage, einem weiteren Treppenhaus und einem kleinen Tagungsraum ist dank der rund 5000 Arbeitsstunden ehrenamtlicher Helfer in den vergangenen Monaten auch eine neue „Vokü“ entstanden, die als offenes Stadtteilcafé genutzt werden soll.

50 Handwerker sollen die Fassade ehrenamtlich neu streichen

„Jeder soll hier reinkommen und sein Bier trinken können“, sagt eine Aktivistin – jedenfalls, solange er sich an die Regeln hält. Denn „gewalttätiges, sexistisches, homophobes, faschistisches, rassistisches, antisemitisches Verhalten“ wird hier nach wie vor nicht geduldet. Auch am Fotoverbot im Inneren wolle man weiterhin festhalten. Dass künftig Touristen mit Selfiesticks durch die Flora pilgern könnten, ist für viele der Besetzer nach wie vor eine absolute Horrorvorstellung.

„Natürlich gibt es Bedenken, diese Öffnung nach außen birgt auch ein gewisses Risiko“, sagt die Aktivistin weiter. Innerhalb der Flora-Gemeinschaft habe man diesen Schritt immer wieder sehr kontrovers diskutiert. „Aber wir haben uns entschlossen, mit Aktionen wie unserer Ausstellung auf das Projekt Rote Flora insgesamt und die kommende Sommerbaustelle aufmerksam zu machen.“

Denn nicht nur im Inneren tut sich etwas, das Bild der Roten Flora soll sich auch außen in den kommenden Monaten deutlich verändern. Die schmutzig-gelbe Frontseite mit den vielen Graffiti, die jahrzehntelang das Bild des Schanzenviertels prägte, dürfte jedenfalls bald der Vergangenheit angehören. So werden von Mitte Juli an rund 50 Wandergesellen aus der ganzen Bundesrepublik erwartet, die den gesamten Flora-Bau in ehrenamtlicher Arbeit einmal komplett sandstrahlen, putzen und neu streichen werden. Voraussichtlich bis zum Herbst soll die Instandsetzung der Außenfassade dann abgeschlossen sein – vorausgesetzt, es kommen genug Spenden zusammen, um die anfallenden Material- und Verpflegungskosten zu finanzieren.

Eine solche Sanierung war innerhalb der Flora-Gemeinschaft bereits seit längerer Zeit vorgesehen. Doch nach der Ankündigung des ehemaligen Eigentümers Klausmartin Kretschmer, das Gebäude räumen zu lassen und stattdessen ein modernes Kulturzen­trum zu bauen, wurde die Idee wieder verworfen. Nachdem die Lawaetz-Stiftung als Treuhänderin der Stadt Hamburg die Immobilie im vergangenen November erwarb und aus Sicht der Besetzer eine „Räumung nicht unmittelbar bevorsteht“, soll das Gebäude nun fit für die kommenden Jahrzehnte gemacht werden.

Die historischen Dreiecksgiebel des Gebäudes werden wieder hergestellt

Auch wenn die neue Farbgestaltung noch nicht ausdiskutiert ist – klar ist jetzt schon, dass die historische Gründerzeitfassade der Flora wieder stärker in den Mittelpunkt gerückt werden soll. So sollen unter anderem die ursprünglichen Dreiecksgiebel, die bis in die 1970er-Jahre das Gebäude zierten, wieder hergestellt werden. „Die Flora bleibt weiterhin bunt und radikal“, heißt es aus dem autonomen Kulturzentrum. „Eine Überraschung wird es aber in jedem Fall geben.“

Damit die Überraschung am Ende auch gelingt, wird der Hamburger Künstler Christoph Faulhaber das gesamte Gebäude bis Ende August mit einer gigantischen Schaufassade, die die historische Straßenansicht von vor 100 Jahren abbildet, verkleiden. Die rund 700 Quadratmeter große Abbildung soll bereits am kommenden Montag installiert werden. Und als wäre das noch nicht genug, will der 42-Jährige am 15. August gemeinsam mit Studierenden der Hochschule für Musik und Theater mit dem „Phantom der Oper“ ausgerechnet das Musical in dem Gebäude inszenieren, das in den 1980er-Jahren den Anstoß für die Proteste gab und zum Gründungsmoment der Roten Flora wurde. Mehr als 25 Jahre später scheint sich so einiges zu verändern.