40 Restaurants, Cafés und Bars aus fast aller Herren Länder drängen sich auf den 727 Metern der Langen Reihe in St. Georg, die sich mit neuen Geschäften immer mehr zu einer Genussmeile entwickelt
Die Lange Reihe verwirrt erst mal. Ein Kellner, der mit südländischem Charme eine italienische Schnulze so schön mitsingt, will unbedingt „Willi“ genannt werden, wechselt dann von „Allora!“ zum „Sach ma ...!“ in richtig kantigen Hamburger Slang. Die junge Frau, die mit einer kunstvoll geflochtenen Frisur beim Portugiesen am Tresen steht, hat einen griechischen Namen und behauptet lachend: „Ich bin eine Hamburger Deern!“ Und im Café Gnosa, das nie Reservierungen annimmt, stehen auf einigen Tischen „Reserviert“-Schilder. Wie geht das?
Die Lange Reihe ist nun eine Genussmeile
Es geht in der Langen Reihe. Vieles geht. Und viele gehen hin. Über ein Pflaster, das sich mit neuen gastronomischen Angeboten und trendigen Erfindungen immer mehr zu einer Genussmeile entwickelt. Man genießt nicht nur Kulinarisches in gut 40 Restaurants, Cafés und Bars, sondern auch die Atmosphäre der schmalen, bunt geschmückten Gehwege, auf denen sich Cafétische, Bänke, Touristen, Flaneure und Plakatständer drängen.
Vom Hauptbahnhof zur Alster geht die Lange Reihe über amtliche nachgemessene 727 Meter, doch „der Laufsteg“ ist noch kürzer. Er liegt zwischen dem Restaurant Casa di Roma und der Ecke, wo das Café Gnosa steht. „Das ist der Boulevard der Eitelkeiten“, sagt Andreas Giercke, Anwohner, und einer der Inhaber von Uhren Becker. Warum der Laufsteg so heißt, wird klar, wenn man sieht, wie dicht sich das Publikum drängt: Auf einer Länge von nur 180 Schritten stehen 211 Stühle an den Cafétischen. Das sei wie Kino oder auf Sylt, und immer mehr Autofahrer würden fünfmal hoch und runter fahren, um sich zu zeigen. Manche sitzen stundenlang hier, so lange, bis der Laufsteg längst im Schatten liegt – aber die Sonnenbrille immer noch getragen wird.
Vor dem Gnosa, wo es legendär guten Kuchen gibt, baumelt eine bunte Lampenkette, und die Regenbogenflagge flattert über den Tischen; drinnen gediegener Art-Deco-Charme. Selbstbewusst und stolz ist das Gnosa geworden. „Wir sind ein schwul-lesbisches Kaffeehaus mit gemischtem Publikum“, sagt Mitinhaber Bernard Wissing, während es am Nachmittag in goldener Oktobersonne vor dem Gnosa brummt. Alles habe sich entspannt, auch die Schwulenszene. „Wir sind hier nicht steif“, sagt Bernard Wissing. Und erklärt die Schilder: Die reservierten Tische seien „Family and Friends“ vorbehalten. Also Stammgästen. Grund: Weil die Lange Reihe zur Touristenattraktion geworden ist, würden diese dorthin drängen, und man könne nicht alle Tische für Touristen reservieren.
Birne-Sahne-Torte, das Stück für 3,20 Euro, sei am beliebtesten. Alles immer tagesfrisch aus der Konditorei im Keller. Seit 26 Jahren gibt es das Gnosa mit seinen 80 Plätzen. Das Geheimnis?
„Wir sind alt und gepflegt und an einem guten Ort.“ Und die Torte werde serviert, denn: hinstellen könne jeder. Wie das? „Die Kuchenspitze wird auf halb acht stehend zum Gast hin gestellt.“
Früher Straßenstrich, heute Promi-Pflaster
Mehr als 300 Jahre alt ist die Straße, die ihren Namen von einer „langen Reihe“ von Gärten hat, die auf einer Straßenseite lagen. Denn nur die andere Seite war bebaut. Immer wieder wandelte sie sich. Prostitution und Schmuddel-Image breiteten sich aus; noch in den 90er-Jahren warnten Anwohner, die Straße sei nichts für zartbesaitete Gemüter. Heute wohnen viele Promis dort. Die Lange Reihe ist chic. Für eine Zweieinhalbzimmer-Wohnung werden 400.000 Euro verlangt. Eppendorfersierung fürchten manche. Doch das wird nicht so schnell passieren, denn das immer noch sehr nahe Rotlicht am Hansaplatz wird den bunten Multikulti- und Kiez-Charakter sichern.
Einen bunten und völlig neuen Tupfer brachte die Tee-Bar und Tee-Boutique t.lovers mit 100 Teesorten und 300 anderen Produkten, wie Süßigkeiten. Hell und mit reduziertem Design mitten im „Laufsteg“ gelegen soll das „Startup“-Geschäft der Inhaber Silke und Martin Sasse ein „junges, hippes Publikum“ ansprechen. 3,70 Euro kostet eine „Matcha Latte“ die es auch „togo“ gibt. Matcha ist ein vermahlener Grüntee, und während Silke das Getränk anrührt, kommt Sängerin Ina Müller vorbei. Die Sasses zählten vor der Eröffnung „den Lauf“ der Langen Reihe. „Wir wollten wissen, wie viele Gäste ein Restaurant besuchen“, sagt Silke Sasse. Auf hundert seien sie gekommen. Was wohl sehr vorsichtig gezählt war.
Denn allein „Willi“ hat 187 Plätze, die im Casa di Roma häufig (und von Donnerstag bis Sonnabend immer) ausgebucht sind. Willi heißt eigentlich Antonio, arbeitet seit 20 Jahren im Casa und ist auch kein Italiener sondern „Sizilaner!“ wie er sagt. Und sein Chef, der Herr Kumar, stammt aus Indien, und nennt sich in Hamburg Ricky. Dafür stammt das Entrecote nicht aus Frankreich sondern „aus Pommern“. 39,50 kostet das 400-Gramm-Stück. „Trüffel, Hummer, Kaviar haben wir auch immer“, versichert „Willi“ und spornt die Köche mit einem „Allora!“ (italienisch für „na, denn!“) an. „Bis zu zehn Köche arbeiten abends in der Küche“, sagt Ricky Kumar. Er schätzt an der Langen Reihe „die Atmosphäre“. Und meint wohl: Den Herzschlag einer Straße, die viele Menschen anzieht.
Das Publikum: eine gute Mischung
Eine richtig gute Erklärung dazu findet man vor dem portugiesischen Cafe Caravela (Lange Reihe 13). Stefania Kalaitzidès hat griechische Wurzeln, wuchs in Hamburg auf und serviert den Galao (Milchkaffee) und überbackenen Toast (je zwei Euro) einer Frau mit ungewöhnlichem Namen: Keti Kasradze-von Waitz stammt aus Georgien, lebt seit 18 Jahren in Eimsbüttel und arbeitet als Deutschlehrerin am Steindamm. In der Mittagspause kommt sie gern ins Caravela. Im Gegensatz zu Eimsbüttel sei das Publikum dort gemischt. „Die Menschen sind hier locker, offen und gehen aufeinander zu“, sagt sie. „Man findet schneller Kontakt“. Dann blickt die Eimsbüttlerin in den Himmel: „Manche Stadtteile Hamburgs brauchen Sonne. Die Lange Reihe nicht. Hier ist immer Mulitkulti-Kommunikation. Es ist doch so: Die Hälfte des menschlichen Daseins ist die Alltagskommunikation.“ Eben.
Die funktioniert auch, wenn man von ganz weit her kommt. Wie die Nepalesin Shrisana K.C, die an der Langen Reihe Nummer 15-17 im Hee-Yang arbeitet. Da verkehrt Ex-Bürgermeister Ole von Beust, was die Küchenmannschaft (alle aus dem Nepal) mit einem Foto auf dem Tresen dokumentiert. 195 verschiedene Gerichte der asiatischen Küche werden angeboten. Shrisana K.C: „Beliebt sind die Mittagsgerichte, wie zum Beispiel „Gäng Gai“ (Eintopf, scharf), das ist Hühnerfleisch mit rotem Thai Curry und Gemüse in Kokosmilch. Sechs Euro kostet das, und Mittag geht hier netterweise bis 18 Uhr. Danach kosten die Thai-Eintöpfe neun bis 13,50 Euro und werden auch „sehr scharf“ angerichtet.
„Abends gehen die Geschäfte anders“, sagt Sevil Beriket, die im französischen La Famille Croques herstellt und neben afrikanischen auch türkische Wurzeln hat. Der Balsamico-Creme-Croque ist üppig, das Restaurant wieder einer der „guten“ Plätze, wo Alltagskommunikation sich in der Enge von allein ergibt. Abends seien mehr Salate gefragt. Hier dauert der Abend auch mal bis zwei Uhr morgens.
Maulbeeren und Safranfäden
Ganz exotisch und traditionell kann man seinen Tee für 1,90 Euro im persischen Feinkostladen Tamasha bei Mehdi Shafti trinken. Wasserpfeifen stehen in den Regalen; Besonderheiten sind die getrockneten Früchte wie Maulbeeren, die persischen Kekse (100 Gramm 1,50 Euro) und Safranfäden, die Mehdi Shafti unter dem Ladentisch hervorzaubert. 5,99 Euro kostet ein halbes Gramm der roten Fäden. „Zu uns kommen neben Stammkunden viele Touristen“, sagt er.
Eine ganz andere – bonbonbunte – Welt will sich zum Winter verwandeln: Aus Frozen Yogurt soll in der kalten Jahreszeit ein Suppen-Laden werden. Denn die eisigen Yogurts „laufen nur richtig gut ab 20 Grad“, sagt Geschäftsführer Lukas Klövenborn. Noch gibt es sie in drei Größen. Am beliebtesten sei jetzt im (warmen) Oktober die mittlere Größe für 3,90 Euro und die Geschmacksrichtung Naturjoghurt.
Die Lange Reihe wird sich weiter wandeln. Dort, wo 1000 Töpfe war, gibt es jetzt Edeka Niemerszein mit hochwertigen und exklusiven Lebensmitteln wie dem Dry aged Beef (29,90 Euro pro Kilo). Traditionell geht es bei Feinkost Läufer an der Langen Reihe 117 seit 51 Jahren zu. Wie mit den „guten klassischen“ Bonbons wie „Goldmünzen“ oder „Dauerlutscher“. Hier am östlichen Ende der Langen Reihe ist es ruhig. Und hier ein Geheimtipp für alle Autofahrer, die nicht fünfmal den Laufsteg rauf und runter fahren wollen: die Tiefgarage bei Niemerszein.