St. Pauli. Die Bullerei besticht mit guten Produkten und Wohlfühl-Atmosphäre. Und wenn man dann noch Tim Mälzer mal in echt sehen kann ...
Das elBulli an der spanischen Costa Brava hat einen, das Noma in Kopenhagen ebenso und auch die Hamburger Bullerei: einen Eintrag im Internet-Lexikon Wikipedia. Dann ist man wohl im Gastro-Olymp angekommen. Die beiden ausländischen Lokale sind allerdings derzeit geschlossen, aber der Betrieb von Tim Mälzer und Patrick Rüther ist quicklebendig.
Seit Juli 2009 ist die Bullerei mit Restaurant und Bistro Deli in einer denkmalgeschützten Viehmarkthalle des ehemaligen Schlachthofs im Schanzenviertel ansässig. „Wir wollten nicht unbedingt in die Schanze, aber wir wollten ein Gebäude mit Geschichte und keinen austauschbaren Neubau-Legostein“, sagt Tim Mälzer. Der 46-Jährige lernte Koch in Hamburg, arbeitete zwei Jahre in London und war dort Kollege von Jamie Oliver. Zurück an der Elbe kochte er in den Betrieben von Christian Rach. 2002 übernahm er das Weiße Haus in Övelgönne, ein Jahr später stand er zum ersten Mal im Fernsehen am Herd. Heute betreibt der gebürtige Elmshorner mehrere Restaurants in Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt und Wien, schreibt Kochbücher, berät eine Zeitschrift, testet Lebensmittel fürs Fernsehen und ist Hauptakteur in der Sendung „Kitchen Impossible“.
Ein Jurist ist Mälzers Geschäftspartner
In Patrick Rüther hat der Koch einen idealen Geschäftspartner gefunden. Der Hamburger ist eigentlich Volljurist und hat beim Masterstudium in Kapstadt seine endgültige Liebe zu Genuss und Gastronomie entdeckt. „Natürlich habe ich während des Studiums in Kneipen gejobbt“, sagt der 44-Jährige.
Zurück in der Hansestadt eröffnete er mit dem Hamburg-City-Beach-Club den ersten in der Stadt, war im Weißen Haus zu Gast und freundete sich mit Mälzer an. „Und dann haben wir zusammen eine Location gesucht“, sagt Rüther. „Ich wollte ein Lieblingsrestaurant ohne Hemmschwelle, Tim eine Pizzeria ohne Pizza.“ Also einen Ort zum Wohlfühlen und Nach-Hause-Kommen mit leckerem Essen für den alltäglichen Genuss und Menschen als Gastgeber-Personal, mit denen man auch befreundet sein möchte.
Alle vier Tage gibt es ein neues Überraschungsmenü
Und so betreiben die beiden Inhaber die Bullerei: keine Trendgastronomie, aber doch Beispiel für viele andere Unternehmer, eine atmosphärische Mischung zwischen Eisenstein und Fischereihafenrestaurant, knapp 180 Plätze im Deli und der Bullerei, mehr als 100 Mitarbeiter, viele schöne Blumen im Windfang am Eingang. „Bei uns stimmen die Räumlichkeit, die Lage, die Produkte, die Kreativität bei den Speisen, das Team“, sagt Mälzer.
Bilder der Bullerei-Familie hängen an der Wand mit dem Fenster zur Küche. Diese ist in einem Raum im Raum untergebracht, dabei, mittendrin und doch für sich. Der Speisesaal ist groß. Unverputzte Wände, sichtbare Rohre unter der Decke, dunkle Fliesen auf dem Fußboden. Die Fenster haben Sprossen, die Holztische sind eingedeckt mit Gläsern und Besteck. Gesessen wird auf Holzstühlen, Sesseln oder gepolsterten Bänken. Der Laden ist familientauglich, im Gang zu den Toiletten stehen mehrere Kinderstühle.
Die Gäste kommen von nah und fern
An einer Wand hängt ein Werk des Offenburger Künstlers Stefan Strumbel mit großer blinkender Uhr, Hirschgeweih, gekreuzten Piratenknochen und Gewehren sowie der Leuchtschrift „What the fuck ist Heimat?“. Tja.
Die Gäste kommen aus nah und fern, darunter viele Touristen, die Mälzer mal in echt sehen möchten. Und viele Besucher sind Wiederholungstäter. „Die kennen sich, treffen sich hier in verschiedenen Konstellationen und wollen einen schönen Abend haben“, sagt Patrick Rüther. Für Stammgäste liegen mit Namen versehene Servietten bereit.
Und dann essen sie gern den Vorspeisen-Klassiker „Auf’n Tisch für 2“ mit Büffelmozzarella, Beef Tatar, Oliven, luftgetrockneter Salami, Kaviar von der Heideforelle und einer kleinen Überraschung, in diesem Fall Schweinebauch mit Apfel. Alles lecker präsentiert und lecker im Mund nach dem Mälzer-Motto: „Wir wollen die Leute begeistern, nicht erziehen.“
In der Bullerei ist der Name Programm
Das klappt auch mit Zander Ike-Jime, der mit Fenchel, Kaktusfeige und Reis serviert wird. Ike-Jime ist eine japanische Art, den Fisch schonend und respektvoll mit einem gezielten Stich ins Gehirn zu töten. Und natürlich kommen die Gäste auch, um in der Bullerei Fleisch zu essen. Der Name ist Programm. Im Trockenschrank reift zum Beispiel Hochrippe von der Hallig Hooge oder Filet von Rindern aus dem Allgäu. Die Lieferanten sind alle auf der Speisekarte verzeichnet.
Die wechselt etwa alle zwei Monate, das Überraschungsmenü in drei oder vier Gängen wird alle vier Tage neu zusammengestellt und ist ein Renner. Natürlich gibt es Saisonales wie jetzt Grünkohl oder Steckrüben. Und selbstverständlich gibt es auch Tagesempfehlungen wie Hühnerfrikassee oder Königsberger Klopse.
Auf der Weinkarte stehen etwa 100 Positionen
Auf der Weinkarte sind rund 100 Positionen verzeichnet, davon sechsmal Sake. Die Preise beginnen bei sechs Euro für 0,15 Liter offen im Glas und 28 Euro für eine Flasche.
Tim Mälzer isst alles gern und besonders Schmorgerichte und noch lieber Kartoffeln mit Sauce. „Ich brauche keine Geschmackssatelliten auf dem Teller, ich mag es pur.“ Zusammen mit Patrick Rüther macht er sich viele Gedanken darüber, wie Essen wahrgenommen wird. „Wir servieren Senfeier in einer Dose und Fleisch auf dem Holzbrett. Lebensmittel haben etwas sehr Emotionales.“
In der Bullerei stimmt das Konzept. Und das kann man der ganzen Welt dann auch ruhig in einem Wikipedia-Eintrag mitteilen.
Bullerei, Lagerstraße 34b, Tel. 33 44 21 10
HVV bis Sternschanze, Parken in der Umgebung, Vorspeisen ab 6,90 Euro, Hauptgerichte ab 19,90 Euro, Desserts ab 2,50 Euro
So läuft die Auswahl: Grundlage für diese Reihe ist die Liste im Internetportal unter www.restaurant-ranglisten.de. Sie wertet die wichtigsten Restaurantführer und deren Bewertungen aus und rechnet sie in ein Punktesystem um. Aus den 100 Restaurants, die für Hamburg am besten bewertet wurden, stellt das Hamburger Abendblatt jede Woche eines vor.