Hamburg. Genussexperte Gerd Rindchen nimmt das Restaurant Jellyfish unter die Lupe: Aufwendig zelebrierte und in Szene gesetzte Fischküche.
Der handelsübliche, normal verdienende Städter hat gemeinhin seine ein, zwei preiswerten Stammlokale (gern griechischer Herkunft oder mit italienischer Küche sowie internationaler Herkunft) und ansonsten ein paar „Once in a livetime“–Restaurants, wo man nach verstohlenem Blick auf den Kontostand mal hingeht, um es als besonderes Erlebnis zu zelebrieren.
Zu letzterer Kategorie zählt das Jellyfish. Das kleine Etablissement in der Weidenallee ist für deutsche Verhältnisse recht kostspielig (in New York, London, Paris oder Kopenhagen würde man das anders sehen) und bietet eine vorwiegend meeresfrüchtebasierte, sehr aufwendig zelebrierte und stilsicher in Szene gesetzte Frischeküche, die kennenzulernen sich durchaus lohnt. Vorgeschlagen werden in der Karte ein Drei-, Fünf- und Acht-Gänge-Menü (90/125/179 Euro), man kann aber alle Gänge einzeln bestellen oder sein Menü nach Gusto kombinieren.
Die Portionsgrößen sind so austariert, dass das große Menü für den neugierigen Genießer problemlos vertilgbar ist. Wie es sich für eine solch ambitionierte Küche ziemt, wird man vor dem eigentlichen Menüstart erst mal mit hausgebackenem Brot, kreativen Aufstrichen und Pasten (hier dann zuschlagen, wenn man eines der „kleinen“ Menüs bestellt hat, sonst eher zurückhalten!) und kunstvoll zelebrierten Grüßen aus der Küche verwöhnt.
Fisch- und Meeresfrüchte im Jellyfish in Hamburg
Dazu passt ein schönes Glas Champagner De Saint-Gall (0,1 l stolze 16,50 Euro). Wer in die Vollen geht und das große Menü ordert, wird aktuell zu Beginn mit einer Gazpacho „Andaluz“ (22 Euro) mit Tomate, Basilikum und Feta eingestimmt, bevor mit dem gebackenen Seeteufel mit Kopfsalat, Senf und Jalapeño (26 Euro) schon eines der Highlights naht.
Hochelegant kommt dann ein Stücklein confierten Bretonischen Hummers (40 Euro) des Weges, wohlig gebettet in Fenchel, Yuzu, Buttermilch und Brunnenkresse. Als rustikaler Kontrast naht sodann eine geflämmte Makrele mit Karotte, Koriander und pikanter Escabeche (29 Euro). Der gelungene, à point auf der Haut gebratene Adlerfisch (42 Euro) mit Salzkräutern, Topinambur und Meerrettich leitet dann über zum Geflügelgang: aromatisch gegrillte Wachtel mit Pflaume, Kaffee und Blumenkohl (40 Euro).
Danach bilden erfrischende Piña colada mit Ananas, Kokos und Rum (18 Euro) und die Zwetschge „Opera“ mit Albino-Schokolade, Honig und Rosmarin (22 Euro) den Ausklang – fast jedenfalls, denn zum genialen Espresso (2,50 Euro), einer der besten Hamburgs, den man sich hier unbedingt gönnen sollte, gibt es noch ein paar aparte kleine Petits Fours. Jeder Gang für sich ist ein komplexes, in sich stimmiges Gesamtkunstwerk. Die Auswahl offener Weine ist klein – so finden sich nur zwei weiße Gewächse, die aber von einer der aktuell spannendsten und besten jungen Winzerinnen Deutschlands stammen: Laura Webers Riesling „S“ und Grauburgunder „S“ aus der Große-Gewächs-Lage Monzinger Frühlingsplätzchen an der Nahe.
Flaschenweine sind etwas moderater kalkuliert
Beide exzellent, aber mit 9,50 Euro pro 0,1 l (!) auch durchaus ambitioniert ausgepreist. Mein Onkel Otto, der in Pirmasens-Hengsberg, dem Dorf meiner Väter, die Weinstube Zur Waldesruh betrieb, riet mir in meiner Zeit als junger Wirt immer „Schenke nie zu ,katholisch‘ ein – das sind die Wirte, die bei jedem Schoppen niederknien, damit sie ja nicht versehentlich über den Eichstrich kommen“.
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Nach dieser Logik ist das junge, professionell agierende Serviceteam sehr katholisch, und die aus Schwaben stammenden Betreiber achten auch bei der gut abgestimmten Weinbegleitung (für drei Gänge 45, fünf Gänge 75, acht Gänge 120 Euro) akribisch darauf, die Wareneinsätze im Griff zu behalten.
Besser weg kommt man hier mit Flaschenweinen, die etwas moderater kalkuliert sind: Da bekommt man die beiden großartigen Frühlingsplätzchen für 50 statt der 71,25 Euro, wenn man sie glasweise bestellen würde. Insgesamt ist die Weinkarte kundig und ambitioniert zusammengestellt und bietet etliche spannende, unorthodoxe Entdeckungen.
Insgesamt ist die Weinkarte kundig und ambitioniert zusammengestellt
Ein löblicher Trend anderer Spitzengastronomen, der in den letzten Jahren zu beobachten ist, nämlich höherpreisige Weine degressiv zu kalkulieren und in der Relation günstiger anzubieten, geht am Jellyfish vorbei: Deutsche Große Gewächse oder französische Klassiker zum Seafood à la Sancerre oder Pouilly-Fumé werden dadurch recht kostspielig.
Wer angesichts des Preisgefüges opulent eingedeckte Tische, flauschige Teppiche und güldene Geschmeide erwartet, wird überrascht sein: Das Jellyfish inszeniert sich mit kleinen, blank gescheuerten Holztischen und reduziertem, industriellem Interieur so ein bisschen shabby-chic-mäßig und versucht anscheinend, einen Hauch trendiges Brooklyn in die Weidenallee zu bringen. Kostenbewusste Genießer sollten sich Donnerstag bis Sonntag merken: Dann gibt es die unbestreitbar große Kochkunst des Hauses sehr preiswert auf der mittäglichen Bistrokarte zu entdecken. Die Weinpreise bleiben gleich.