Hamburg. Im wunderschönen Gastgarten des Landhauses Flottbek empfiehlt Gerd Rindchen “sich unter lauschigen Linden labernd zu laben“.

Den Hamburgern ist aus einer mannigfaltigen Reihe von Gründen zu wünschen, dass der September und der Oktober noch ein paar goldene Abende bescheren, an denen man gerne draußen verweilen mag. Einer der wesentlichsten: Dann bietet sich vielleicht die Gelegenheit, im wunderschönen Gastgarten des Restaurants Hygge im Landhaus Flottbek einzukehren.

Zwar ist das Lokal auch innen ultragemütlich mit dunklem Holz, possierlichen Schaffellen, bequemem Gestühl, blank gescheuerten Holztischen und lodernden Kaminfeuern eingerichtet und bietet damit alle Voraussetzungen, auch die programmiert ungemütlichen Herbst-, Winter- und Frühlingsabende hier zu verbringen – aber unter lauschigen Linden labernd sich laben und sich an ausgewählt gutem Speis und Trank erfreuen, hat natürlich noch mal eine ganz andere Qualität.

Restaurant Hygge im Landhaus Flottbek ist ein stimmiges Konzept

Mit dem Hygge ist Landhaus-Patron Nils Carstensen ein stimmiges Gastronomieprojekt geglückt, das gute und verlässliche Qualitäten mit einem Preis­gefüge vermählt, das nur partiell an das unmittelbare soziale Umfeld angepasst ist, will heißen: Man lebt hier vorzüglich zu relativ moderaten Preisen. Küchenchef Thomas Nerlich arbeitet liebend gern mit regionalen Produkten und versteht es mit seinem Team häufig, diesen eine besondere Note mitzugeben.

Coq au vin im Restaurant Hygge.
Coq au vin im Restaurant Hygge. © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez

Dies zeigt sich im vorgeschlagenen Menü gaumenfällig an der Karotte vom Gut Haidehof (12 Euro), die durch die Paarung mit Mandelcreme, Koriander und einem raffinierten, geschmackssatten Würzsud eine für das brave Wurzelgemüse bis dato ungeahnte Komplexität erfährt.

Ochsenherztomate: viel Flüssigkeit mit überschaubarem Geschmack

Bei der Essenz von der Ochsenherztomate aus der Hygge-Farm mit Basilikum und Erbsen (12 Euro) hätte man bei allem Stolz auf die Produkte eigenen Gärtnerns jedoch vielleicht lieber auf aromatischere Tomaten, beispielsweise die famose Vierländer Platte, zurückgreifen sollen, denn so paart sich wenig essenziell viel Flüssigkeit mit überschaubarer Geschmacksintensität.

Tipp: Stattdessen zur feinen Zucchiniblüte mit glaciertem Kalbsbries und Erbse (14 Euro) greifen, sich im Hauptgang mit einem sehr stimmigen Wachtelcrépinette mit Trüffeljus, Leberpaté, Sommergemüse, Brioche und Sommertrüffel (28 Euro) vergnügen und das Ganze mit einer schönen Schokoladentarte mit Sommerbeeren und Hibiskus-Lavendelsorbet (14 Euro) ausklingen lassen. Kostet als Viergangmenü 60 Euro.

Freunde üppiger Hauptgerichte werden auch glücklich

Gerd Rindchen besucht für das Hamburger Abendblatt Restaurants in der Stadt und schreibt darüber.
Gerd Rindchen besucht für das Hamburger Abendblatt Restaurants in der Stadt und schreibt darüber. © Bertold Fabricius

Aber auch à la carte kann man sich echt nette kleine Menüs basteln. Vorweg vielleicht satte 50 gr. Heide-Forellenkaviar von AKI mit Guacamole und Kartoffelchips (16 Euro), gern nun die edle ­Ikishime Gelbflossen-Makrele mit mexikanischer Minigurke, Basilikum und feinem Limettensud einschieben (16 Euro) und dann vielleicht zum wohl überraschendsten Preis-Genuss-Tipp der Karte greifen: einer wirklich sehr ansehn­lichen, aus hochwertigem, magerem, super gewürztem Fleisch bereitetem Wildschweinbratwurst mit Heidelbeersenf und einem knackigen, frischen Bohnensalat aus Wachsbohnen, weißen und grünen Bohnen. Die Wurst kostet nur schlanke 9 Euro, da bleibt noch Geld übrig für die Leasingrate für den Maybach.

Freunde üppiger klassischer Hauptgerichte werden aber auch glücklich mit der geschmorten Ruppiner Lammschulter mit Zwiebeln und Zuckererbsen (27 Euro), dem gegrillten Wildschweinkarree mit Holunderbeerenjus, Mangold und Selleriepüree (32 Euro), dem legendären Ossobuco mit Focaccia und Tagliatelle (28 Euro) oder dem Isländer Rotbarsch mit geschmolzenen Tomaten, köstlichen kleinen Calamaretti und (eine Seltenheit!) und wirklich geglücktem Safranrisotto (27 Euro).

Eine echte Freude ist hier der Verzehr von Flaschenweinen, die im Gegensatz zu den höherpreisigen Offenen, die unter dem lästigen 0,15-Liter-Format für den hohlen Zahn leiden, super-sorgfältig ausgesucht und sehr fair kalkuliert sind.

Allerlei tolle, bezahlbare Geheimtipps auf der Weinkarte

Verantwortlich dafür ist mit Lennart Wenk nicht nur einer der kompetentesten, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit der netteste Sommelier auf Gottes weitem Erdenrund, der allerlei tolle, bezahlbare Geheimtipps parat hält. So kostet ein Fläschchen beschwingt-würziger 2020er Grüner Veltliner „Steinfeder“ vom Wachauer Mega-Kultwinzer Emmerich Knoll 39 Euro, einer der größten Weißweine Österreichs, der komplexe 2018er Zierfandler „Spiegel“ von Reinisch (unschlagbar zum Safranrisotto) ist für 52 Euro zu haben, der 2015er Spätburgunder „Buntsandstein“ vom fränkischen Pinot-Magier Benedikt Baltes schlägt mit 46 Euro zu Buche, ein herzhafter 2017er Montecucco Sangiovese (die Region liegt 2 km Luftlinie vom doppelt so teuren Brunellogebiet weg) ist für 42 Euro der perfekte Osso-Buco-Begleiter, und ein schöner 2016er Rioja Crianza, wunderbar zu Lamm und Steak, treibt einen mit 36 Euro auch nicht spornstreichs in den Ruin.

Auch der durchweg überaus freundliche und zugewandte Service trägt zum Gelingen eines Hygge-Abends maßgeblich bei. Einziges Problem: Das haben die genuss-affinen Elbvorortler schon lange kapiert. Ergo: Um einen der begehrten Tische zu ergattern, sollte man möglichst längere Zeit vorher reservieren. Und natürlich: Per Sharingauto an- und per Kraftdroschke (vulgo: Taxi) wieder abreisen – dann hat man auch was von der guten Weinkarte.