Hamburg. Matteo Ferrantino führt das Restaurant Bianc in der HafenCity. Er spricht über seine Heimat – und seine Lieblingslokale in Hamburg.

Also in ganz seltenen Fällen, quasi in absoluten Ausnahmen, kann es durchaus mal hilfreich sein, nicht auf die eigenen Eltern zu hören. Wie das Beispiel von Matteo Ferrantino eindrucksvoll zeigt. Dessen Mama hätte es nämlich gern gehabt, dass ihr Junge nach der Schule Elektriker wird. Weil es einfach immer gut ist, einen in der Familie zu haben. Das gilt für exzellente Köche natürlich auch, doch für diesen Beruf hatten sich ja schon die beiden älteren Brüder entschieden, die beide erfolgreich in Italien Restaurants führen.

Matteo hätte seiner Mama also gern den Gefallen getan, er begann ihr zuliebe sogar die Ausbildung zum Elektriker. „Aber dann war die Leidenschaft zu groß, die Passion zu stark. Ich bin einfach als Koch geboren, ich musste abbrechen“, sagt er und lacht. Und so landete Matteo Ferrantino eben doch dort, wo er sich schon als Vierjähriger, damals in der örtlichen Pizzeria der Verwandtschaft, am liebsten aufhielt: am Herd. Und zwar nicht, um irgendwas zu reparieren, sondern um etwas Besonderes zu kreieren.

Ferrantino eröffnete 2017 Restaurant in Hamburg

Dass es den 42-Jährigen, aufgewachsen in einer typisch süd­italienischen Großfamilie mit drei Brüdern und zwei Schwestern im malerischen Örtchen Mattinata in Apulien, einmal in den hohen Norden Deutschlands verschlagen würde, war jetzt nicht unbedingt vorhersehbar. Sein großes Talent in der Küche dagegen schon. Bereits als Neunjähriger ließ er sich in der bereits erwähnten Ristorante der Familia auf Getränkekisten heben, um die Arbeitsfläche zu erreichen und dort dann den Pizzen einen letzten, feinen Geschmacksschliff zu geben. „Gutes Essen hat in meiner Familie immer eine große Rolle gespielt.

Meine Mama und alle meine Geschwister kochen sehr gut und sehr gern“, sagt der Spitzenkoch, der sein Restaurant Bianc – benannt nach den typisch weißen Häusern seines Heimatstädtchens – im November 2017 in der HafenCity eröffnete und sich dort, in nahezu direkter Nachbarschaft zu Drei-Sterne-Star Kevin Fehling, binnen zwei Jahren gleich zwei Michelin-Sterne erkochte.

Natürlich träume er von einem dritten Michelin-Stern

Kenner der Kulinarik, die mitunter ja gern über Geschmack streiten, sind sich verdächtig einig, dass da wohl in naher Zukunft noch ein dritter Stern über dem Bianc leuchten dürfte … „Klar, natürlich ist das ein Traum. Mein Motto: Touch the sky with your hands, also greif nach den Sternen“, sagt Matteo Ferrantino und lacht wieder. Überhaupt ist er einer, der gern und viel lacht, der herrlich wild gestikuliert und lebhaft erzählt - mal auf Deutsch mit charmantem italienischen Akzent, mal auf Englisch. „Aber das Wichtigste“, sagt er und wird kurz ernst, „sind für mich nicht die Auszeichnungen, sondern dass ich meinen Gästen die pure Emotion rüberbringen darf. Jeden Abend aufs Neue.“

„Emotion“ heißt passenderweise auch sein wechselndes Menü in acht Gängen (190 Euro) mit neun außergewöhnlichen Amuse Bouches, darunter aktuell Entenleber mit Mango und La­kritz, Gambastortilla und Grüner Apfel Sangria. Und auch bei den Hauptgängen, zum Beispiel Zweierlei vom Iberico mit Chorizo und Zwiebel, schimmern die Sterne des Südens, der Einfluss des mediterranen Kochens und auch Kochtechniken wie die Texturas des legendären spanischen Spitzenkochs Ferran Adrià, einem Mitbegründer der Molekularküche, durch.

„Ich lebe meine Liebe zum Mittelmeer, zu meiner Heimat Italien. Das spiegelt sich in den Menüs“, sagt Matteo Ferrantino. Auf der elterlichen Olivenplantage – der große, knorrige Baum mitten im Gastraum des Bianc stammt übrigens daher – muss er zwecks Inspiration nicht sitzen, auch bei grauem Himmel und hoher Luftfeuchtigkeit in Hamburg kämen ihm immer ausreichend Einfälle für neue Kreationen, erzählt er.

Restaurants in Hamburg: Wo Ferrantino gern isst

„Ideen habe ich wirklich immer. Meistens übrigens, wenn ich gar nicht darüber nachdenke“, so der Starkoch, der privat gern mal in Tim Mälzers Bullerei isst oder im Nikkei Nine im Vier Jahreszeiten. Zu Hause tischt er übrigens am liebsten Pasta Pomodoro mit Parmesan, Basilikum und Büffelmozzarella auf. „Das ist mein Leibgericht. Für mich Soul Food, der Geschmack von Heimat.“

Aus der Heimat zog es ihn mit 18 Jahren fort, er ging zunächst nach Mallorca, kochte in einem Ausflugslokal – bis er auf Roland Trettl traf, mittlerweile auch durchs Fernsehen bekannt, wo er von „The Taste“ über „Kitchen Impossible“ bis „First Dates – ein Tisch für zwei“ überall mitmischte. Trettl holte Matteo Ferrantino in sein Spitzenlokal Ca’s Puers­ nach Sóller, nahm ihn später mit in den legendären Hangar-7 nach Salzburg, wo Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann den Stil prägte.

„Ich durfte mit vielen fantastischen Köchen zusammenarbeiten. Von allen habe ich gelernt, aber Witzigmann ist meine größte Inspiration“, sagt Matteo Ferrantino, der von Österreich aus nach Portugal wechselte, wo er in der Villa Joya an der Algarve, das regelmäßig unter die 50 besten Restaurants der Welt gewählt wird, zehn Jahre lang Seite an Seite als Küchenchef mit Dieter Koschina arbeitete.

Restaurant-Stammgast aus Hamburg wurde Förderer

Eine Zeit, die sein Schicksal positiv beeinflussen sollte: Nicht nur, dass er dort seine heutige Ehefrau Christina kennenlernte, eine Österreicherin, die dort ebenfalls als Köchin angestellt war und mittlerweile im ­Bianc seine „rechte Hand und bessere Hälfte“ ist. Nein, er lernte auch einen Stammgast aus Hamburg kennen, der ihn irgendwann fragte, was er sich eigentlich so wünsche. „Erst habe ich gesagt: nichts! Ich bin zufrieden – und das stimmte ja auch“, sagt Matteo Ferrantino. Als der Gast weiter insistierte, dass es doch irgendetwas geben müsse, gab er zu: „Na ja, mein Traum ist schon ein eigenes Restaurant.“

Den Wunsch könne er erfüllen, sagte der Stammgast, der erst Investor wurde, dann enger, väterlicher Freund und später sogar Trauzeuge auf Christinas und Matteos Hochzeit. So kam Matteo Ferrantino 2016 zum ersten Mal nach Hamburg, besichtigte eine frei stehende Etage in einem Neubau in der HafenCity, zwischen dem Luxuskino Astor Film Lounge und den Hochhäusern der Kaffeegroßhändler.

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„Ich habe es gesehen und geliebt“, sagt Matteo Ferrantino. Das viele Glas, der Park in der Nähe, „ein Ort der Entspannung“ sei das. Und ein Stück Italien an der Elbe. Denn Ferrantino ließ fast alle Materialien aus seiner Heimat bringen: die Steinfliesen, das Parkett aus Olivenholz, die Deckenbalken aus Pinie. Das erzählt der Spitzenkoch auch voller Stolz und Leidenschaft seinen Gästen. Selbstverständlich begrüßt er – jungenhaft, quirlig, charmant – jeden Genießer auf den insgesamt 36 Plätzen an den 14 runden Tischen, die in der Regel drei Monate im Voraus reserviert werden müssen.

Und wer ganz lieb fragt, dem verrät der Zwei-Sterne-Koch auch das Rezept seines herrlich knusprig-saftigen Focaccia, das schon seine Mama mit viel Liebe und noch mehr Olivenöl so gebacken hat, und das der Sohn gern mit sahniger Büffelbutter serviert. „Meinem internationalen Team aus elf Köchen und mir persönlich geht es immer um starken Geschmack, der Erinnerungen hervorruft.“ Auch bei den Gästen wird das so sein: Wer einmal im Bianc war, erinnert sich an einen Abend in Apulien. Mitten in der HafenCity.