Statt viel Geld für neue Garderobe auszugeben, wird bei Swap-Partys getauscht, was das Zeug hält – ein Trend aus den USA gegen die Wegwerfgesellschaft.
Es ist fünf vor acht. Im erbspüreegrünen Häuschen an der Max-Brauer-Allee laufen sich Elektrobeats warm, während im oberen Geschoss hektisch Kleider, Blusen und Mäntel auf Bügel gehängt und Punkte verteilt werden. Anne Meyer, 27, hat rote Flecken in ihrem sommersprossigen Gesicht. Es ist so wie bei einer Party: Man hofft die Gäste kommen nicht ganz so pünktlich, so dass noch Zeit für die Garderobe bleibt. Doch an diesem Abend sind die „Gäste“ überpünktlich. Um Schlag 20 Uhr stehen rund 60 Frauen mit Sporttaschen und Einkaufstüten voller Klamotten vor der Tür des „Lokal“, wo die erste „Swap-Party“ stattfindet – eine neue Kultform des organisierten Tauschens, die aus den USA nach Deutschland geschwappt ist und schon in Berlin, Köln und München begeisterte Anhänger gefunden hat.
Unter swapping (übersetzt aus dem Englischen: tauschen) versteht man das Austauschen hochwertiger Gebrauchtkleidung über Tauschbörsen, unter Freunden oder bei einer Veranstaltung wie dieser. Dass Swappen so populär geworden ist, ist den vielen Promis zu verdanken, die auf Second Hand stehen. Stars wie Partygirl Peaches Geldof, Schauspielerin Reese Witherspoon und Model Naomi Campbell sind begeistert von diesem Trend.
„Es ist die erste Veranstaltung dieser Art“, sagt Anne Meyer. „Über Facebook haben sich allein 80 Leute angemeldet. Ich bin ein bisschen aufgeregt, wie es laufen wird.“ Die Ingenieurin für Bekleidungstechnik arbeitet im Konsumkulturhaus; zusammen mit dem „Kauf dich glücklich“-Shop auf der Schanze hat sie den „Lokal Swap“ organisiert. Das Prinzip ist simpel: Jedes Kleidungsstück, das abgegeben wird, bekommt eine bestimmte Anzahl von Punkten, je nach Artikel, Größe und Qualität. Am Ende bekommt man einen Punkte-Bon, mit dem man nach Herzenslust tauschen kann.
An einem kleinen Tisch begutachten und bewerten die beiden Veranstalterinnen fieberhaft ein Teil nach dem anderen. Die schwarzen Gummistiefel von Hunter gehen sofort mit, der schwarz gepunktete Badeanzug wird dagegen zurückgegeben. Angespannt beäugen die umstehenden Tausch-Kandidatinnen, wie viel ihre Kleider einbringen. Die Wartezeit verkürzen sich die Gäste mit Astra-Knollen und einem Besuch in der Raucher-Lounge. Einige der Frauen wollen sich komplett neu einkleiden, andere nur mal gucken. Eine gute Gelegenheit den Kleiderschrank auszumisten ist es für viele allemal. Manche haben schlichtweg kein Geld für Neues – auch dafür ist ein Swap die ideale Fundgrube. Und es sind auch wahre Schätze darunter, etwa ein Bolerojäckchen aus den 80ern oder eine Vintage-Sonnenbrille.
Darüber hinaus ist Swapping eine Bewegung gegen die schnelllebige Wegwerf- und Konsumgesellschaft. „Beim Tauschen wird kein Geld ausgegeben und kein Müll produziert, man tauscht sein Getragenes und erhält im Gegenzug Kleider mit einer eigenen Geschichte. So kann eine ganz eigene Garderobe entstehen, die sich vom Einheitslook abhebt“, sagt Anne Meyer.
Eins ist klar: Bei der Swap-Premiere wired es in Hamburg nicht bleiben. Ein paar Tage zuvor machte die „Swap in the City“-Tour in Hamburg Stopp. Rund 650 voll bepackte Frauen standen geduldig Schlange vor dem Hühnerposten. Von einer Donna Karan-Jacke über einen Chanel-Schal bis zum H&M-Gürtel – getauscht werden konnte hier alles, statt Punkte gab es für gut erhaltene Kleidungsstücke jeweils eine „Swap“-Münze. Jura-Studentin Nazanin Alici aus Hamm trennte sich zum Beispiel von ihrem Lieblingsleopardenkleid, bevor sie mit Freundinnen das „Paradies für Frauen“ ansteuerte – neben der Kleidertauschbörse konnten sich die Damen auch im Beauty-Salon stylen und massieren lassen. In der Zwischenzeit mussten alle abgegebenen Kleidungsstücke nach Größen sortiert im Swap-Bereich auf Kleiderstangen hängen – bereit für den Ansturm der Besucherinnen.
„Wir haben schon Eintrittskarten und trotzdem warten wir schon eine Stunde“, sagt Annkatrin Berg aus Dulsberg. Doch die Vorfreude ist größer als der Frust, auch wenn ein kleines Häagen-Dasz Eis – das es drinnen kostenlos gibt – die Wartezeit draußen an diesem Sonnensonntag sicher versüßt hätte. Solche Verbesserungsvorschläge sprudeln aus Stefanie Carstens, wie die Kohlensäure aus den Promotion-Redbull-Dosen. „Wenn das Swap-Chaos beginnt, gibt es doch eine Katastrophe, es sind zwar schöne Angebote hier aber viel zu viele Besucherinnen“, sagt die 31-Jährige Boutique-Managerin im Luxuseinzelhandel. So eine Veranstaltung sei was für die Messehallen, setzt sie nach. „Na ja, vielleicht bin ich einfach zu wenig Mädchen“, sagt Stefanie schließlich kopfschüttelnd, als sie vier lachende junge Frauen sieht, die sich gerade mit exotisch duftenden Lotionen die Hände massieren lassen. Veranstalter Harel Shalev erklärt den Reiz von „Swap in the City“ unterdessen so: „Es ist einfach für jeden was dabei, ob bei den Wellness-Behandlungen oder später beim Swapping.“
So wie es Petra Zelle (44) und Tochter Mona (15) aus Neumünster gleichermaßen gefällt. „Bis jetzt war unser Highlight der Friseur“, sagt das blonde Mädchen, zeigt ihren kunstvoll geflochtenen Zopf und strahlt. Um kurz vor sieben steht das Mutter-Tochter-Team dann im Gedränge vor dem Swap-Bereich. Als die Türen endlich geöffnet werden, bietet sich ein wahres Tauschrausch-Bild. Hektisch versucht jede Swapperin möglichst als Erste die vollbeladenen Kleiderständer zu überblicken, greift – ganz Sammlerin – immer wieder zielsicher zu und ächzt zusehends unter der Last des Klamottenbergs, den sie auf ihrem Arm balanciert. Die lauten Beats und Lichteffekte untermalen die „Flohmarkt trifft Disko“-Atmosphäre. Für eine junge Frau ist das zu viel Trubel, sie hat Kreislaufprobleme und muss versorgt werden. Im Gedränge hört man Sätze wie diese: „Die drehen hier ja völlig am Rad, das geht doch gar nicht“ oder „jetzt ist hier schon alles Gute weg“. Tatsächlich fehlen binnen Minuten ausgefallen schöne Kleidungsstücke gänzlich. Die sind längst samt ihrer Begleiterinnen in den Umkleiden verschwunden. Andere ziehen sich direkt zwischen den Kleiderständern um. „Ist doch total entspannt hier, meinen Freund hätte ich so oder so zu Hause gelassen“, sagt eine besonders eifrige Swapperin, die begeistert ist von der Veranstaltung. Männer, so heißt es im Reglement, müssen leider draußen bleiben.
An der Kasse (Münze gegen Kleidungsstück) steht Nazanin, zeigt auf die geswappten Kleider und sagt: „Das ist nur mein Notnagel, schließlich will ich die Münzen ja auch eintauschen, aber wir haben Miss Sixty-Klamotten abgegeben und Billigsachen zurückbekommen“. Doch gelohnt habe sich der Nachmittag dennoch. „Wir hatten einfach einen richtig schönen Mädels-Tag mit allem drum und dran“, sagt Nazanin, hakt ihre Freundinnen ein und geht – eingehüllt in einen Duftmix aus Haarspray, Erdbeerbodylotion und Massageöl- hinaus in die Abendsonne. Infos unter www.swapinthecity.com und www.klamottentausch.net