Duisburg. Neue Prognose des Weltstahlverbands fällt für 2024 düster aus. Warum die Krise in China das vielleicht noch größere Problem für Deutschland wird.

Die schlechten Nachrichten für Thyssenkrupp und die heimischen Stahlhersteller reißen nicht ab: Die Stahlkrise nimmt in Europa und insbesondere in Deutschland nach jüngsten Daten noch dramatischere Züge an als bisher befürchtet. Der Weltstahlverband (Worldsteel) hat seine Prognose für das laufende Jahr deutlich nach unten korrigiert: Er rechnet nun mit einem Rückgang der Stahlnachfrage in Deutschland um sieben Prozent, nachdem er im Frühjahr noch ein leichtes Plus vorhergesagt hatte, wie er am Dienstag mitteilte.

„Der erwartete Rückgang des Marktvolumens um weitere sieben Prozent auf nur noch 26 Millionen Tonnen ist ein absoluter Tiefpunkt“, sagte Martin Theuringer, Vorsitzender des Worldsteel-Wirtschaftsausschusses und Geschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Das liege „sogar noch fast zehn Prozent unter dem Niveau der globalen Finanzkrise“ der Jahre 2008/09, so der Chefökonom des Branchenverbands.

Thyssenkrupp-Stahlchef: Marktlage hat sich noch nochmal verschlechtert

Über die weitere Eintrübung der Konjunktur hatte bereits der neue Thyssenkrupp-Stahlchef Dennis Grimm im Interview mit unserer Redaktion geklagt. „Die aktuelle Marktlage hat sich in den vergangenen Monaten nochmal verschlechtert, und eine Erholung ist leider nicht in Sicht“, sagte er. Mit Blick auf die akute Krise von Volkswagen und der gesamten deutschen Autoindustrie, die zu den größten Kunden der deutschen Stahlkonzerne zählt, sagte Grimm: „Es wird immer sichtbarer, dass wir vor tiefgreifenden Herausforderungen in der deutschen Industrie stehen. Wir haben sehr hohe Energiekosten, die Nachfrage ist schwach. Die Stahlindustrie leidet zudem unter Billigimporten aus dem Ausland. Das ist eine Mischung, die brisant ist.“

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Und die Sorgen vor Billigimporten aus Fernost dürften noch weiter wachsen, darauf lassen die Prognosen des Weltstahlverbands schließen. Denn die Konjunkturkrise ist ausgerechnet in China am größten, also dort, wo mit Abstand der meiste Stahl weltweit gekocht wird. So rechnet der Verband für das kommende Jahr mit einer leichten Erholung der weltweiten Stahlnachfrage um ein Prozent. In China werde die Nachfrage der Industrie aber auch 2025 und damit das fünfte Jahr nacheinander sinken.

Die Folge: Weil Chinas Stahlindustrie trotzdem weiter enorme Mengen und weit über Bedarf im eigenen Land produziert, dürfte noch mehr Stahl aus der Volksrepublik zu Kampfpreisen auf den Weltmarkt drängen. „Besonders die Wirtschaftskrise in China belastet die globalen Stahlmärkte erheblich“, so die Analyse des Weltstahlverbands. In den vergangenen Jahren produzierte China konstant mehr als eine Milliarde Tonnen Stahl, zum Vergleich: In Deutschland, dem größten Stahlerzeugerland Europas, wurden 2023 nur 35,4 Millionen Tonnen hergestellt.

Stahlnachfrage in Deutschland zieht leicht an, aber auf niedrigem Niveau

Immerhin ist für die Inlandsnachfrage in Deutschland leichte Besserung in Sicht: Für das kommende Jahr sieht die Prognose ein Plus von knapp sechs Prozent. Dies ist nach starken Rückgängen in den drei vergangenen Jahren allerdings nicht viel. Trotz des vorausgesagten Anstiegs bleibe die Nachfrage auch 2025 „außerordentlich niedrig“, es sei „noch keine wirkliche Erholung in Sicht“, sagt Konjunkturexperte Theuringer.

Denn während die Stahlnachfrage weltweit seit 2017, angetrieben vor allem durch Indien, um sieben Prozent gewachsen sei, habe die deutsche Stahlindustrie mehr als ein Drittel (35 Prozent) weniger produziert und damit mehr als doppelt so viel Kapazität verloren wie die europäische Stahlindustrie insgesamt. Deutschland ist deshalb vom sechstgrößten Stahlmarkt der Welt auf Rang neun abgerutscht. Und insbesondere bei Thyssenkrupp wird eine weitere Absenkung der Produktionskapazität geplant.

Standort Deutschland „in besorgniserregender Verfassung“

Theuringer spricht von einer „besorgniserregenden Verfassung des Industriestandorts Deutschland“, die vor allem durch die Krise auf dem Bau sowie im Maschinen- und Anlagenbau geprägt werde. Die Autokrise kommt noch hinzu. „Nahezu alle stahlverarbeitenden Branchen befinden sich gegenwärtig im Rückwärtsgang, der auch 2025 noch nicht beendet“ sein werde, so der Stahlverband. Deutschland habe sich von der Lokomotive Europas zum Bremsklotz entwickelt. Die aktuelle Prognose zeige, „wie dringend es ist, wirtschaftspolitische Maßnahmen auf den Weg zu bringen, um den rasanten Abwärtstrend zu stoppen“, sagt Theuringer mit Blick auf die Bundesregierung und die Landesregierungen.