Essen. Drei Handwerkspräsidenten wollen einfacher und nachhaltiger bauen. Vom WC bis zu ganzen Wänden lasse sich vieles wiederverwenden. Woran das hakt.
Es wird viel zu wenig gebaut in NRW und dem Ruhrgebiet: Seit Jahren decken die neu gefertigten Wohnungen nicht ansatzweise den Bedarf, was auch in den Revierstädten die Mieten inzwischen kräftig steigen lässt. Ein Projekt nach dem anderen wurde zuletzt storniert. Das Bauen müsse günstiger und dafür der Wust an Vorschriften gelichtet werden, fordert die Branche schon lange. Dass es auf den Baustellen gleichzeitig auch nachhaltiger und umweltschonender zugehen soll, stand bisher nicht ganz oben auf der Wunschliste der unter Auftragsarmut leidenden Betriebe.
Genau das fordern nun aber die drei für das Ruhrgebiet zuständigen Handwerkspräsidenten – und erklären im Gespräch mit unserer Redaktion, warum nachhaltiges Bauen nicht teurer sein muss; warum das Potenzial für eine Rohstoff-sparende Kreislaufwirtschaft im Wohnungsbau gerade im Ruhrgebiet riesig ist; und wie neue Techniken, etwa mit Fertigmodulen im Lego-Stil, die Bauberufe auch attraktiver für den Nachwuchs machen könnten.
Hund: „Wenn eine Klinkerfassade komplett entsorgt wird, blutet mir das Herz“
Ein Neubau in so dicht besiedelten Regionen wie dem Ruhrgebiet sieht oft so aus: Der Käufer erwirbt ein stark sanierungsbedürftiges und deshalb günstiges Haus, lässt es abreißen und baut sein Wunschhaus. „Wenn eine Klinkerfassade aus den 60er-Jahren komplett entsorgt wird, blutet mir das Herz“, erzählt Hans Hund aus seinem Alltag. Es brauche „mehr Wertschätzung für diese Wertstoffe“, fordert der Präsident der Handwerkskammer Münster, die auch für das nördliche Ruhrgebiet zuständig ist.
Berthold Schröder, Präsident der Handwerkskammer Dortmund, wünscht sich eine andere Herangehensweise: „Reißt jemand ein Haus ab und baut neu, sollten wir gemeinsam fragen, welche Baustoffe aus dem alten Haus sich recyceln lassen, ob das alte Holz auch im neuen Haus wiedergenutzt werden kann, ob nachhaltigere Dämmstoffe und CO₂-neutraler Beton verwendet werden sollen“, nennt der Zimmerermeister ein paar Beispiele. Auch recycelte Baustoffe wie Sand und Kies sollten nicht als Abfall, sondern als Wertstoffe gesehen werden. Damit die Betriebe die neuen Möglichkeiten an ihre Kunden weitertragen könnten, brauche es Schulungen, auch die Ausbildung müsse entsprechend angepasst werden.
Beim Neubau solle bereits bei der Planung darauf geachtet werden, was sich später wiederverwenden lässt. Toiletten, Fliesen, ganze Innenwände ließen sich zurückbauen. Sogar ganze Häuser ließen sich inzwischen nach dem Lego-Prinzip mit Bausteinen fertigen, die man auch wieder abbauen und an anderer Stelle neu zusammensetzen kann. Die ersten Betriebe im Ruhrgebiet machten das bereits, erklärt Andreas Ehlert, Präsident der Handwerkskammer Düsseldorf, die auch das westliche Ruhrgebiet abdeckt.
Handwerkspräsident Schröder: Alte, überzogene Vorschriften bremsen Recyclingbeton
Das Potenzial, Rohstoffe zu sparen und wiederzuverwenden, sei riesig, betont Schröder, denn: „Auf dem Bau werden 50 Prozent aller Primärrohstoffe aus dem Boden verbraucht.“ Doch auch die Entwicklung und Verwendung von Recycling-Baustoffen würden durch „einen Wust an Regularien ausgebremst“, sagt Schröder. Selbst Beton könne man inzwischen gut recyceln, doch in der Praxis verhinderten das oft die alten, überzogenen Vorschriften, die an die neuen Möglichkeiten dringend angepasst werden müssten. Stattdessen landeten aktuell die meisten recyclingfähigen Materialien auf der Deponie statt in neuen Häusern.
Auch in Bestandshäusern sieht Ehlert viel Potenzial, Baustoffe zu sparen: „Das Handwerk ist der Hauptansprechpartner, wenn es darum geht, etwas zu reparieren, anstatt es gleich neu anzuschaffen oder zu bauen“, betont er. Zurzeit liege der Umsatzanteil für reine Reparaturen im Handwerk bei sechs Prozent, der Anteil wachse langsam, aber stetig. Seinem Kollegen Hans Hund liegt es deshalb am Herzen, das Handwerk des Restaurierens zu pflegen und auch in der Ausbildung mehr zu fördern.
Ehlert sieht Ruhrgebiet als „Pilotregion für experimentelles Bauen“
Die Wachstumschancen im Ruhr-Handwerk seien riesig, denn zwischen Duisburg und Dortmund arbeiten rund 20 Prozent weniger Menschen im Handwerk als im NRW-Landesschnitt, betont Ehlert und sagt: „Dieses Potenzial müssen wir heben.“ Gerade durch den Trend zu nachhaltigerem Bauen entstünden „neue Geschäftsideen und damit neue Chancen für junge Menschen“. Dabei kann Ehlert sich gut vorstellen, das Ruhrgebiet zu einer Pilotregion für experimentelles Bauen zu machen, in der man gezielt neue, einfachere Bauweisen und recycelte Baustoffe ausprobiert.
Hund wirbt um mehr Auszubildende und betont: „Alles, was wir machen, hängt davon ab, ob wir genügend Fachkräfte haben. Doch es kommen zu wenige nach, das kann so nicht weitergehen.“ Dafür sieht Hund auch jeden einzelnen Betrieb in der Pflicht: „Wir müssen an der Willkommenskultur arbeiten, an der Wertschätzung für die jungen Leute. Sie erwarten heute viel mehr als früher, weil sie sich den Job aussuchen können.“ Hund sieht das Handwerk bei der Integration von Migrantinnen und Migranten vorne, „bei uns arbeiten 140 Nationalitäten“.
Handwerkspräsidenten kritisieren einseitige Industriepolitik für Konzerne wie Thyssenkrupp
Doch damit die Handwerkskammern ihre gemeinsame Initiative für eine Kreislaufwirtschaft auf dem Bau zum Fliegen bringen können, müsste der erst einmal aus seinem Auftragsloch herauskommen. „Aufträge, Beschäftigung, Umsätze – alles im roten Bereich. Wir erleben in Deutschland derzeit einen verfestigten Pessimismus, der die Leute davon abhält, ihr Geld auszugeben“, sagt Ehlert und sieht die Bundesregierung in der Pflicht, „eine vernünftige Standortpolitik für alle“ zu machen. Damit meint er, sich in der Krise nicht auf die Rettung von Kreuzfahrtwerften sowie der Auto- und Stahlindustrie zu fokussieren, sondern auch dem Mittelstand und den im Handwerk typischen Kleinstbetrieben zu helfen. Etwa mit niedrigeren Energiekosten. „Wir brauchen keine Energiesubventionen für wenige, sondern eine Entlastung in der Breite“, fordert Ehlert.
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Dass die Rettung der Großen kleineren Betrieben sogar schaden kann, erläutert er am Beispiel von VW. Für den kriselnden Autobauer habe man in der Ampelregierung binnen Stunden ein Subventionsprogramm diskutiert, wenig später wurde von der SPD-Fraktion bereits eine Neuauflage der Abwrackprämie vorgeschlagen. „Wir reparieren Autos. Sie zu verschrotten, würde den Werkstätten schaden und wäre alles andere als nachhaltig.“
Hoffnung auf neuen Gebäudetyp „E“ – Niedersachsen als Vorbild für NRW?
„Die Lage am Bau ist absurd: Obwohl der Bedarf an neuen Wohnungen riesengroß ist, fehlt wegen der hohen Kosten die Nachfrage“, sagt der Dortmunder Kammerpräsident Schröder. „Wir wollen und brauchen gar keine Subventionen, man muss uns einfach nur machen lassen“, sagt er. Dafür müsse Bürokratie, müssten Vorschriften abgebaut und einfachere, günstigere Bauweisen ermöglicht werden.
Ehlert nennt als Vorbild Niedersachsen, das seine Bauordnung bereits entsprechend verändert hat. Auch der vom Bundesbauministerium konzipierte Gebäudetyp „E“ steht für einfacher und günstiger zu bauende Häuser, aber auch für experimentelles Bauen. Dafür sollen Vorschriften wegfallen, die Innovationen verhindern.
Weniger Pflichten für Parkplätze, Aufzüge und Spielpätze, Tiny Houses zum Ab- und Aufbauen
In Niedersachsen heißt das konkret, dass zum Beispiel bei Gebäudeaufstockungen die Pflicht zum Bau weiterer Kfz-Stellplätze entfällt, ebenso für den nachträglichen Einbau von Aufzügen oder den Bau von Kinderspielplätzen. Für kleine Fertighäuser, die „Tiny Houses“, sollen Prüfungen entfallen, wenn sie ab- und an einem anderen Ort wieder aufgebaut werden. Bei allen Punkten geht es darum, die Genehmigungen für Neu- und Umbauten zu beschleunigen und gleichzeitig die Kosten zu senken.