Essen. DSV zahlt 14,3 Milliarden Euro für Logistikriesen. Was die Dänen für die Zentrale, Jobs und die Marke versprechen, und was OB Kufen dazu sagt.

In Essen, dem Sitz des Logistikriesen Schenker, war dies zuletzt der Worst Case: Die Deutsche Bahn will ihre begehrte Tochter offenbar an den dänischen Konkurrenten DSV verkaufen - aller Warnungen der Gewerkschaft Verdi und des Betriebsrats zum Trotz. Am Freitag wurde der Vollzug gemeldet: Das Transportunternehmen DSV übernimmt DB Schenker für 14,3 Milliarden Euro.

Das teilten beide Seiten am Freitag mit. Inklusive der erwarteten Zinserträge bis zum Vollzug ergebe sich ein Gesamtverkaufswert in Höhe von 14,8 Milliarden Euro, verkündet die Deutschen Bahn in einer Mitteilung. „Zentrale Funktionen sollen erhalten bleiben, auch am Schenker-Standort in Essen“, heißt es weiter. Die Essener Konzernzentrale hat aktuell 700 Mitarbeiter. Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) bangt trotzdem weiter um viele Arbeitsplätze in der Zentrale am Hauptbahnhof.

Standort Essen bleibt, aber mit wie vielen Beschäftigten?

Was das Bekenntnis zum Standort Essen genau bedeutet, bleibt weiter offen. DSV hatte im Vorfeld erklärt, in Deutschland 1600 bis 1900 Arbeitsplätze abbauen zu wollen, die Hälfte davon in der Verwaltung. Nun soll die Essener Zentrale offenkundig nicht wie befürchtet ganz geschlossen werden. Ohne eine Verkleinerung dürfte das DSV-Ziel des Stellenabbaus aber kaum erreichbar sein. Ob die Funktion als Zentrale erhalten bleibt, ist ebenfalls noch unklar. Der Name Schenker, das ist absehbar, wird verschwinden.

Die Essener Schenker-Zentrale soll als Standort erhalten bleiben, in welcher Funktion und mit wie vielen Arbeitsplätzen, ist aber noch offen.
Die Essener Schenker-Zentrale soll als Standort erhalten bleiben, in welcher Funktion und mit wie vielen Arbeitsplätzen, ist aber noch offen. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Essens OB Kufen sagte unserer Redaktion, er habe den Schenker-Verkaufsprozess „mit großer Sorge verfolgt“, denn betroffen seien „nicht weniger als 700 Arbeitsplätze“. Dass der Käufer DSV angekündigt habe, am Standort Essen festzuhalten, sei „erstmal ein positives Signal, das ich gerne aufgenommen habe“. Auch die von Dänen aufgezeigte Wachstumsperspektive höre sich zunächst gut an. Aber: „Mit Blick auf die Arbeitsplätze in Essen beruhigt bin ich noch nicht“, erklärte Kufen.

Die Gewerkschaft Verdi hatte sich im Vorfeld klar für CVC ausgesprochen, weil sie den Verlust Tausender Stellen und der Verwaltungsstandorte befürchtet. „Die Zentrale wäre dann weg“, hieß es auch in Essener Wirtschaftskreisen dazu. Grund sind die großen Überschneidungen mit DSV: Die Nummer drei unter den weltweiten Allround-Logistikern ist nur unwesentlich größer als Schenker, in der Verwaltung würde es damit wegen der Doppelstrukturen die größten Einsparpotenziale geben.

„Hand in Hand und unter einem Dach werden die Mitarbeiter von DSV und Schenker unsere Stärken bündeln, um einen echten Weltmarktführer in der Branche zu schaffen.“

Jens Lund
CEO von DSV

DSV und Schenker wollen DHL als Nummer eins ablösen

Nun greift DSV mit Schenker die Nummer eins an - DHL. Die Bonner hatten sich gar nicht erst am Bieterprozess für Schenker beteiligt. Mit zuletzt rund 36 Milliarden Euro Umsatz waren sie 2023 mit ihrem globalen Frachtgeschäft zu Lande, zu Wasser und in der Luft der mit Abstand größte Allround-Logistiker, die Reederei-Riesen nicht mitgerechnet.

DSV und Schenker sind die Nummer drei und vier, gemeinsam kamen sie im vergangenen Jahr auf fast 40 Milliarden Euro Umsatz. Entsprechend verkündete DSV-Chef Jens Lund am Freitagmorgen: „Hand in Hand und unter einem Dach werden die Mitarbeiter von DSV und Schenker unsere Stärken bündeln, um einen echten Weltmarktführer in der Branche zu schaffen.“

DSV will rund eine Milliarde Euro in Schenker investieren

Dafür versprechen die Dänen, in den kommenden „drei bis fünf Jahren“ rund eine Milliarde Euro in Schenker zu investieren. Zudem bekannte sich Lund zur deutschen Mitbestimmung und bestehenden Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen. Dazu gehören auch die vereinbarten Sozialzusagen, vor allem der zweijährige Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen. Da der Abschluss der Transaktion erst 2025 erwartet wird, gilt das bis 2027.

Verdi hatte im Vorfeld gewarnt, 5300 Arbeitsplätze wären in Gefahr, würden die Bahn und die Bundesregierung den Dänen den Zuschlag geben. Bei einer Übernahme durch den Finanzinvestor CVC hätte die Gewerkschaft nur mit dem Abbau von mehreren Hundert Jobs gerechnet. Zuletzt hatte DSV diese Befürchtungen zu zerstreuen versucht, offenkundig mit Erfolg.

Die Bahn und der Bund wollen Schenker verkaufen. Der Verkauf an DSV ermögliche der Logistiktochter eine Wachstumsperspektive, meint Bahnchef Richard Lutz.
Die Bahn und der Bund wollen Schenker verkaufen. Der Verkauf an DSV ermögliche der Logistiktochter eine Wachstumsperspektive, meint Bahnchef Richard Lutz. © dpa | Lando Hass

Bis zu 1900 Stellen streichen - trotzdem soll Schenker bald Arbeitsplätze haben als heute

DSV ist den Verdi-Zahlen zuletzt mit der Zusage entgegengetreten, in Deutschland maximal 1900 Stellen streichen zu wollen. Mittelfristig werde man durch gemeinsames Wachstum sogar mehr Menschen weltweit und auch in Deutschland beschäftigen als heute. Schenker beschäftigt in Deutschland gut 14.000 Menschen, weltweit sind es rund 72.000.

Ob die Dänen den Schenker-Vorstand mit und um seinen Chef Jochen Thewes weitermachen lässt, ist den Angaben nicht zu entnehmen. „Die letzten Jahre waren die erfolgreichsten in der Geschichte unseres Unternehmens und wir haben bewiesen, dass DB Schenker fit für die Zukunft ist“, wird Thewes in der Bahn-Mitteilung zitiert. Klingt wie eine Bewerbung.

Ob der Schenker-Vorstand im Amt bleibt, ist offen

Der Schenker-Chef betont zunächst einmal, sich auf die Zusammenarbeit mit den Dänen zu freuen. „Unser Ziel ist es, gemeinsam mit DSV die Branche zu verändern und einen wirklich globalen Marktführer mit gemeinsamen europäischen Wurzeln aufzubauen - zum Wohle unserer Mitarbeiter und unserer Kunden.“

Die Bahn und der Bund wollen Schenker verkaufen, um den maroden Staatskonzern zu sanieren. Die Bahn hat 30 Milliarden Euro Schulden und viele Jahre lang zu wenig in ihre Infrastruktur investiert. „Der Verkauf von DB Schenker an DSV markiert die größte Transaktion in der Geschichte der DB und ermöglicht unserer Logistiktochter eine klare Wachstumsperspektive“, sagte Bahnchef Richard Lutz nun. Die Bahn müsse sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren, viel Geld ins Schienennetz investieren und seine Schulden reduzieren.

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Dennoch habe sich der Lenkungsausschuss kaum mit seinem Angebot befasst, beklagte sich jüngst der Private-Equity-Fonds CVC. „Wir sehen uns dazu veranlasst, Ihnen anliegend die Eckpunkte unseres Angebots direkt zukommen zu lassen, da unser vollständiges Angebot unserer Kenntnis nach im zuständigen Lenkungsausschuss weder detailliert vorgestellt noch diskutiert wurde“, schrieben die Manager in einem Brief an den Bahn-Vorstand, aus dem der „Spiegel“ zitierte.

CVC fühlt sich von der Deutschen Bahn gegenüber DSV benachteiligt

Was die Finanzinvestoren herausstellen wollten, war die von ihnen angebotene Option einer Rückbeteiligung für die Deutsche Bahn von 24,9 Prozent. Das erhöhe den Wert der Transaktion auf bis zu 16 Milliarden Euro und sei damit „rund zwei Milliarden Euro höher, als es die beiden Angebote für eine vollständige Übernahme vorsehen“. Überzeugt hat das in Berlin nicht. CVC hätte zudem die Marke Schenker erhalten.

Ob die Vorentscheidung für die Dänen noch einmal infrage gestellt wird, müssen die kommenden Wochen zeigen. Der Aufsichtsrat muss dem Verkauf noch final zustimmen. Im Vorfeld der entscheidenden Sitzung könnte es zu weiteren Protesten der Schenker-Beschäftigten an vielen Standorten in Deutschland und zu Appellen an die Bundesregierung, nicht an DSV zu verkaufen, kommen.

Denn Verdi traut DSV bisher nicht über den Weg. Die Gewerkschaft erinnert stets an die Erfahrungen etwa nach der Übernahme des kleinen Schweizer Konkurrenten Panalpina 2019 durch die Dänen verwiesen: DSV strich mehr als die Hälfte der 300 Stellen in der Baseler Zentrale und schreckte auch nicht vor Kündigungen zurück.