Duisburg. In Duisburg kochen die Emotionen der Stahlarbeiter hoch: Vorstände sollen gehen. Nun wirft die Aufsichtsratsspitze Gabriel und Wetzel hin.

Wer muss gehen? Wer will gehen? Wer kommt? Keine drei Wochen ist die letzte, folgenschwere Aufsichtsratssitzung von Thyssenkrupp Steel (TKS) her, an diesem Donnerstag (29. August) stand bereits die nächste an. Und sie wurde noch emotionaler: Drei der fünf TKS-Vorstände müssen gehen: Vorstandschef Bernhard Osburg, Personalvorstand Markus Grolms und Heike Denecke-Arnold. Zugleich legten vier Aufsichtsratsmitglieder ihre Ämter nieder, darunter auch Chefkontrolleur Sigmar Gabriel.

Gegen Konzernchef Miguel López und dessen Pläne protestieren draußen Hunderte Beschäftigte, die bereits in den vergangenen Tagen und Wochen Werkstore blockierten und Mahnwachen abhielten, lautstark demonstrierten. Wir verfolgen den Tag vor der TKS-Zentrale für Sie und berichten live.

Alles zur Entwicklung der vergangenen Tage:

Damit beenden wir unsere Liveticker und bedanken und bei Ihnen und Euch für das Interesse.

Erste politische Reaktionen

18:49 Uhr Knut Giesler, NRW-Chef der IG Metall, wirft der Konzernführung in Essen vor, sie habe „diesen Konzern in ein noch nie dagewesenes Chaos geführt. Das ist völlig verantwortungslos gegenüber allen Beschäftigten von Thyssenkrupp und besonders gegenüber den Kolleginnen und Kollegen im Stahlbereich. Jetzt ist es höchste Zeit wieder zur Vernunft zu kommen und der Verantwortung gegenüber den Beschäftigten gerecht zu werden.“

18:39 Uhr Jochen Ott, SPD-Fraktionschef im Landtag, erklärt: „Siegfried Russwurm muss als BDI-Präsident sofort zurücktreten. Es ist ein Skandal, dass der BDI-Präsident die Soziale Marktwirtschaft in Deutschland versenkt, das Ruhrgebiet anzündet und das Wirtschaftsmodell Deutschland von der Kapitalseite aus rücksichtslos angreift. Auch López‘ Verhalten ist unterirdisch.“

18:34 Uhr Der grüne Bundestagsabgeordnete Felix Banaczak aus Duisburg äußert sich „fassungslos“. Er wirft López „eine Aneinanderreihung menschlicher Unanständigkeiten und sachlichen wie strategischen Irrsinns“ vor. Der Rauswurf der drei Vorstände sei „der Gipfel der Verantwortungslosigkeit“.

18:25 Uhr Zum Abschied wünscht Gabriel den Beschäftigten von TKS, „dass Ihr so gute Vorstände bekommt, wie Ihr gehabt habt. Und dass Ihr bessere Eigentümer bekommt, als Ihr jetzt habt“. Damit ist die Pressekonferenz beendet.

18:23 Uhr Auf eine Frage zum Investor Daniel Kretinsky, der 20 Prozent hält und laut Plan auf 50 Prozent aufstocken soll, sagt Gabriel, natürlich sei Kretinsky nicht glücklich über das, was hier passiere. Wetzel äußert Zweifel daran, ob er in einem Unternehmen ohne Plan investiert bleiben wolle.

18:20 Uhr Die Frage, ob López anwesend gewesen sei, verneint Gabriel und sagt: „Jeder macht sich so klein, wie er kann.“

18:15 Uhr Sigmar Gabriel rechnet schonungslos mit López ab:  Er habe „eine beispiellose Kampagne gegen den Vorstand der Thyssenkrupp Steel Europe“ geführt. Damit habe er nicht nur das Unternehmen beschädigt, sondern auch einen „schweren Vertrauensbruch“ begangen, weil man sich vor drei Wochen im Aufsichtsrat in seiner Anwesenheit auf das weitere Vorgehen verständigt habe. Der Vorstand dagegen habe sich „gegen nicht vertretbare Einflüsse auf seine Arbeit gewehrt“.

18:11 Uhr Wetzel betont, es sei keineswegs López allein, der all dies zu verantworten habe, sondern auch AG-Chefkontrolleur Russwurm und Ursula Gather, die Chefin der Krupp-Stiftung. Sie sei „die Auftraggeberin“ dafür gewesen, was López getan habe.

18:09 Uhr Der Essener Konzern habe mit seinem Verhalten „kein einziges Problem gelöst“, sagte Wetzel, „aber mit der Abberufung des Vorstands 50 neue Probleme geschaffen“.

18:06 Uhr Wetzel erläutert, dass mit López keine Einigung möglich gewesen sei. Der Konzernchef habe „nur noch alle hier für doof und unfähig gehalten“, sagt Wetzel, dieses Niveau sei „unter aller Würde“ gewesen. Er wünsche den Beschäftigten alles Gute. Sie könnten „nichts dafür, dass sie von solchen Leuten regiert werden“, sagt er hörbar angefasst.

Mehrere Rücktritte im Aufsichtsrat

17:59 Uhr Das war‘s noch nicht mit den Rücktritten am heutigen Donnerstag. Auch Detlef Wetzel bestätigt seinen Rücktritt. Darüber hinaus verlassen auch Elke Eller und der „neutrale Mann“ im Aufsichtsrat, Wilfried Schäffer, den Aufsichtsrat. Damit schmeißen also drei Vorstände und vier Aufsichtsratsmitglieder hin. Das ist eine tiefe Zäsur für TKS.

17:57 Uhr Gabriel bestätigt auch den Abgang der drei Vorstandsmitglieder Osburg, Grolms und Denecke-Arnold. Er kritisiert, wie Konzernchef López mit ihnen und insbesondere Osburg umgegangen sei. Deshalb verstehe er, dass sie sich „dieser öffentlichen Demütigung nicht weiter aussetzen“ wollten. Sie hätten „hervorragende Arbeit“ geleistet, betont Gabriel.

17:54 Uhr Eine Zusammenarbeit mit dem Konzernaufsichtsratsvorsitzenden und Konzernchef López sei ihm nicht mehr möglich.

Aufsichtsrat: Sigmar Gabriel tritt zurück

17:49 Uhr Sigmar Gabriel tritt als Aufsichtsratsvorsitzender zurück!

17:47 Uhr Die Stahlkocher zünden Leuchtfeuer und lassen Glocken Leuten. Die Stimmung hier ist sehr aufgeheizt.

17:44 Uhr Die Aufsichtsräte kommen raus, Vizechef und früherer IG-Metall-Vorsitzende Detlef Wetzel ballt die Faust. Die Leute rufen „López raus!“.

17:29 Uhr Die wartenden Journalisten in der Pressekonferenz bekommen jetzt von draußen Musik zu hören, und zwar, ernsthaft: „Eye of the Tiger“, den Rocky-Titelsong von Survivor. Wer zu den Überlebenden im Unternehmen gehört, sollen wir gleich erfahren.

17:14 Uhr Es dauert weitere zehn Minuten heißt es jetzt. Wie inzwischen aus dem Bundeswirtschaftsministerium verlautet, hatten vor der Sitzung der Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) darum gebeten, die Sitzung um vier Wochen zu verschieben. Damit sollte die Möglichkeit für weitere Gespräche eröffnet werden.

Die Blicke auf die Uhren häufen sich, die Spannung ist greifbar, nachdem durchsickert, dass der Aufsichtsrat seine Sitzung beendet hat.
Die Blicke auf die Uhren häufen sich, die Spannung ist greifbar, nachdem durchsickert, dass der Aufsichtsrat seine Sitzung beendet hat. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

17:00 Uhr Die von Sigmar Gabriel einberufene Pressekonferenz des Stahl-Aufsichtsrats verzögert sich um rund 20 Minuten. Eine Marathonsitzung wie beim letzten Mal werde es aber nicht geben, heißt es.

16:46 Uhr Die für 17 Uhr anberaumte Pressekonferenz naht. Draußen harren noch rund 200 Beschäftigte aus, um die Ergebnisse des Aufsichtsrats zu erfahren.

15:51 Uhr Seit Stunden sind Hunderte Beschäftigte hier, viele auch von anderen Standorten angereist, etwa aus Bochum. Nun ist es ein quälendes Warten darauf, was im Aufsichtsrat passiert. Bisher dringt nichts nach draußen.

15:02 Uhr Von Aktionärsvertretern bekommt Thyssenkrupp-Chef López Rückendeckung. Zu dem von ihm eingeschlagenen Weg „gibt es aus Aktionärssicht keine Alternative“, urteilt Marc Tüngler, der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). López und Siegfried Russwurm als Aufsichtsratsvorsitzender müssten jetzt all die angestauten „Probleme aufräumen, die ihre Vorgänger im Amte ihnen unerledigt hinterlassen haben“, so Tüngler. „Dabei gilt es auch zu verhindern, dass Thyssenkrupp immer stärker und weiter von den Problemen der Thyssenkrupp Steel infiziert wird. Insofern geht es dann nicht mehr nur um die Zukunft von Thyssenkrupp Steel, sondern auch um die Zukunft der Thyssenkrupp AG.“

Auch frühere Arbeitnehmervertreter sind gekommen, hier Willi Segerath, langjähriger Konzernbetriebsratschef.
Auch frühere Arbeitnehmervertreter sind gekommen, hier Willi Segerath, langjähriger Konzernbetriebsratschef. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

14:14 Uhr Auch Willi Segerath, der langjährige Vorsitzende von Gesamt- und Konzernbetriebsrat ist da. „Es geht um die industrielle Wertschöpfung. Wir brauchen jetzt Manager, die nicht nur auf den neoliberalen Finanzmarkt, sondern auch auf ihre soziale Verantwortung schauen“, sagt der 71-Jährige. „Russwurm und López haben die Montan-Mitbestimmung gecrasht”, sagt Segerath, „aber sie ist kein Auslaufmodell. Wir brauchen aber eine Diskussion über die Mitbestimmung in börsennotierten Unternehmen.“

14:11 Uhr Es dürfe keine „Angstkultur“ bei TKSE geben, sagt Jens Burnicki, der Sekretär des Betriebsrats Hamborn/Beeckerwerth. Es gibt hier tolle Spezialisten. Wir fürchten, dass die aktuellen Vorgänge dazu führen, dass wir als Arbeitgeber nicht mehr attraktiv sind.“

14:09 Uhr Viele junge Beschäftigte stehen vor dem Tor. „Die Unsicherheit bei uns ist groß“, sagt Luca Domnick. Der 23-jährige Industriemechaniker ist seit vier Jahren im Unternehmen. „Ich würde gern in einigen Jahren eine Familie gründen“, sagt er, „wir sollten nicht um den Verlust unserer Jobs fürchten müssen.“

13:52 Uhr Vor Tor 1 wird auch an die Verantwortung der Eigentümer appelliert, den Stahlkonzern nicht im Chaos versinken zu lassen. Im Visier haben sie vor allem Ursula Gather, die Chefin der Krupp-Stiftung als größter Einzelaktionärin. Sie wird auf der Mahnwache aufgefordert, „Verantwortung für den Stahl“ zu übernehmen: „Stiftung heißt nicht stiften gehen.“

13.45 Uhr Würde nicht nur der Vorstand, sondern auch der Aufsichtsrat seine jetzigen Spitzen verlieren, droht ein massives Vakuum in der TKS-Führung. Die Beschäftigten sind extrem gespannt, was sich in gut einer Stunde im Aufsichtsrat tut. Gabriel und Wetzel haben für 17 Uhr zu einer Pressekonferenz geladen.

Aufsichtsratsvorsitzender Sigmar Gabriel (vorne Mitte) und Stellvertreter Detlef Wetzel vor der letzten Aufsichtsratssitzung vor drei Wochen. Gerüchte gehen um, beide könnten heute hinschmeißen.
Aufsichtsratsvorsitzender Sigmar Gabriel (vorne Mitte) und Stellvertreter Detlef Wetzel vor der letzten Aufsichtsratssitzung vor drei Wochen. Gerüchte gehen um, beide könnten heute hinschmeißen. © DPA Images | Bernd Thissen

13:35 Uhr Die Nachrichten überschlagen sich, nun droht Thyssenkrupp Steel Europe eine Führungskrise auf breitester Front. Denn auch im Aufsichtsrat wirft mindestens einer, der diesen über Jahre geprägt hat, wohl hin: Detlef Wetzel, früherer IG-Metall-Chef und Aufsichtsratsvize bei TKS, will heute offenbar seinen Rücktritt erklären. Das bestätigten Unternehmenskreise unserer Redaktion und damit die Gerüchte, die in der Menge unten vor Tor 1 umgehen. Dort wird auch über einen möglichen Rücktritt des früheren SPD-Chefs Sigmar Gabriel als TKS-Chefkontrolleur spekuliert. Das ließ sich für uns bisher jedoch nicht verifizieren.

13:11 Uhr Rund 500 Stahlkocher haben sich bereits vor dem Tor 1 versammelt. Der Eingang zur Hauptverwaltung ist mit Holzbohlen blockiert. Bretter rennen in Blechtonnen.
Der Betriebsrat macht Stimmung. „Man hat die Vorstände zum Rücktritt gezwungen. Das ist eine Sauerei“, ruft Dirk Riedel, stellvertretender Vorsitzender der Vertrauensleute. Verantwortlich seien Russwurm und Gather: Sie stellen sich vor López.“ Der Betriebsrat gibt sich kampfbereit: „Ein Rheinhausen 2.0 werden wir nicht zulassen.“

12:32 Uhr Es füllt sich vor der TKS-Zentrale: Immer mehr Stahlarbeiter, auch ehemalige, schreiten zur Mahnwache vor Tor 1. Ob sie auch Konzernchef López heute hier begrüßen können, ist fraglich. Wie man hört, will er sich im Aufsichtsrat nur via Bildschirm zuschalten.

Nun steht eine große Menschenmenge vor dem Eingang zur Zentrale der TKS, wo um 15 Uhr der Aufsichtsrat tagt.

Foto : Frank Oppitz / FUNKE Foto Services
Nun steht eine große Menschenmenge vor dem Eingang zur Zentrale der TKS, wo um 15 Uhr der Aufsichtsrat tagt. Foto : Frank Oppitz / FUNKE Foto Services © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

12:30 Uhr Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link hat nach unseren Informationen alle geplanten Termine für diesen Nachmittag abgesagt. Er will zum Stahlwerk im Duisburger Norden, um sich vor Ort die Lage anzuschauen.

12:16 Uhr Auch Personalvorstand Markus Grolms genießt ein hohes Standing in der Belegschaft. Noch vor wenigen Jahren war der Gewerkschafter auch auf der Kapitalseite, insbesondere Ursula Gather, Chefin der Krupp-Stiftung, sehr gut gelitten. Denn er übernahm 2018 als damaliger Vizechef des Konzernaufsichtsrats Verantwortung, als die Rücktritte von Konzernchef Heinrich Hiesinger und Aufsichtsratschef Ulrich Lehner Thyssenkrupp in eine veritable Führungskrise stürzten. Grolms‘ Einsatz, das Chaos in Grenzen zu halten, wurde ihm von allen Seiten hoch angerechnet. Seiner Karriere tat das auch gut: 2020 rückte Grolms in den Stahlvorstand. Nun hat auch er seine Papiere bekommen.

Stahlchef Bernhard Osburg soll das Unternehmen verlassen. Nach unseren Informationen hat er einen Aufhebungsvertrag vorgelegt bekommen.
Stahlchef Bernhard Osburg soll das Unternehmen verlassen. Nach unseren Informationen hat er einen Aufhebungsvertrag vorgelegt bekommen. © DPA Images | Christoph Reichwein

12:09 Uhr Die Stahlkocher wollen sich solidarisch zeigen mit ihrem Vorstandsvorsitzen. Anders als viele seiner Vorgänger ist Osburg in der Belegschaft hoch angesehen, weil er ihnen auch schlechte Nachrichten persönlich überbrachte und ausführlich begründete. Die IG Metall wäre seinen Plan, der ja bereits Tausende Jobs gekostet hätte, mitgegangen.

11:48 Uhr Offenbar machen sich viele Beschäftigte von Thyssenkrupp Steel (TKSE) auf den Weg zum Tor 1. Die Duisburger Verkehrsbetriebe (DVG) melden um 11.30 Uhr, dass für die Straßenbahnlinie 901 die Durchfahrt blockiert ist. Ab den Haltepunkten Beeck-Denkmal und Elsa-Brandström-Straße ist ein Schienenersatzverkehr eingerichtet, der die Demonstration vor der TKSE-Hauptverwaltung umfährt. Dort beginnt um 15 Uhr die Aufsichtsratssitzung.

(mit afp)