Duisburg. In Duisburg soll heute über die Zukunft des größten deutschen Stahlkonzerns entschieden werden. Dabei gibt es einige Konflikte.
Wie geht es weiter mit der Stahlsparte von Thyssenkrupp? Bei einer außerordentlichen Sitzung des Aufsichtsrats von Thyssenkrupp Steel soll heute entschieden werden, ob und wie sich das Unternehmen vom Mutterkonzern abnabelt – und was das für die 27.000 Mitarbeiter bedeutet. Es geht um nicht weniger als einen neuen Businessplan für Deutschlands größten Stahlkonzern und damit auch für Duisburg und die Region um viel: Fallen Tausende Arbeitsplätze weg? Wird die Thyssenkrupp-Tochter HKM verkauft?
Die Lage ist verfahren. Eigentlich sollte bereits am Montag vergangener Woche die große Entscheidung fallen, vom „Tag der Wahrheit“ war im Vorfeld die Rede. Doch dann sagte Sigmar Gabriel, Ex-Vizekanzler und Aufsichtsratschef von Thyssenkrupp Steel, die angesetzte Aufsichtsratssitzung kurzfristig ab. Nun tagt das Gremium heute außerordentlich – aber wie die Sache ausgehen könnte, ist selbst für Insider noch völlig unklar.
Klar ist: Thyssenkrupp steckt in der Krise. In der Stahlsparte, in der 27.000 der 100.000 Thyssenkrupp-Beschäftigten arbeiten, ruinieren hohe Energiepreise und günstige Konkurrenz das Geschäft – die Sparte muss radikal auf grünen Stahl umgebaut werden. Konzernchef Miguel Ángel López Borrego will Thyssenkrupp Steel deswegen aus dem Konzern ausgliedern und in ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem tschechischen Geschäftsmann Daniel Kretinsky überführen. Jüngst hat Kretinsky 20 Prozent übernommen, weitere 30 Prozent sollen folgen.
Doch dafür muss die Stahltochter erst einmal vom Mutterkonzern entflechtet werden – und hier steckt der erste Konflikt, der Thyssenkrupp derzeit bewegt. Wird die Stahltochter aus Duisburg vom Essener Konzern getrennt, müssen die Finanzen zwischen beiden Unternehmen neu geregelt werden. Damit die Stahlsparte überlebensfähig ist, braucht sie eine kräftige Finanzspritze der Mutter.
Deal mit Kretinsky: Finanzierungslücke im Milliardenbereich
Doch über die Höhe besteht Uneinigkeit. Drei bis vier Milliarden Euro braucht Thyssenkrupp aus Essen, haben die Stahlleute nach Informationen aus Konzernkreisen errechnet. Die Konzernmutter will aber deutlich weniger bezahlen. Es klafft eine Finanzierungslücke im Milliardenbereich. Ohne eine Einigung könnte der Einstieg von Kretinsky doch noch scheitern – und der ganze Businessplan wackeln.
Doch das ist nur einer der festgefahrenen Konflikte. Konzernchef López hat die Belegschaft der Stahlsparte im Frühjahr maximal gegen sich aufgebracht. Er hatte die beim Stahl traditionell starken Arbeitnehmervertreter nicht in die Verkaufspläne an Kretinsky eingebunden. Und die sehen die Idee durchaus kritisch.
Im Aufsichtsrat von Thyssenkrupp wurde der Deal schließlich gegen die Stimmen der Arbeitnehmervertreter entschieden. Dabei zog der Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm, der auch BDI-Präsident ist, seine sogenannte Doppelstimme, um die Vertreter der Belegschaft im Kontrollgremium des Unternehmens zu überstimmen. Bereits seit Monaten demonstrieren die Stahlkocher gegen die Pläne der Konzernführung, teilweise gingen Tausende Arbeiter auf die Straße.
Bei der Aufsichtsratssitzung könnten vor allem zwei wesentliche Entscheidungen für die Stahlsparte getroffen werden.
Zum einen geht es darum, wie sehr sich Thyssenkrupp Steel selbst verkleinern wird – und wie viele Arbeitsplätze das kosten könnte. Bislang sind die Anlagen im Duisburger Norden auf eine Jahresproduktion von rund 11,5 Millionen Tonnen ausgelegt. Künftig sollen es lediglich neun bis 9,5 Millionen Tonnen sein. Es werde einen „noch nicht bezifferbaren Abbau von Arbeitsplätzen“ geben, hatte das Management schon vor Wochen verkündet, ohne Jobzahlen zu nennen. Insgesamt arbeiten in Duisburg etwa 13.000 Mitarbeiter für Thyssenkrupp Steel.
HKM könnte verkauft werden – ohne Gewinn für Thyssenkrupp
Zum anderen dürfte es um Pläne für einen Verkauf der Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM) gehen, an denen Thyssenkrupp Steel mit 50 Prozent beteiligt ist. Der Hütte im Süden von Duisburg, in der mehr als 3000 Menschen beschäftigt sind, droht die Schließung, sollte sich kein neuer Eigentümer für das Unternehmen finden.
Der zweitgrößte Anteilseigner der HKM ist der niedersächsische Stahlkonzern Salzgitter. Derzeit gebe es Gespräche dazu, wie die Kosten für die Neuaufstellung unter den beteiligten Unternehmen aufgeteilt werden könnten, heißt es in Konzernkreisen. Um betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden, müssen Thyssenkrupp und Salzgitter erhebliche Summen aufbringen.
Verkaufsinteresse wird der Hamburger Beteiligungsgesellschaft CE Capital Partners nachgesagt. Es ist aber fraglich, ob mit einem etwaigen Deal Geld in die Kasse von Thyssenkrupp fließen könnte. Und wie viele Arbeitsplätze dadurch gefährdet würden.
Druck lastet nun vor allem auf López. Vor einem Jahr versprach er die Transformation des Konzerns im „erforderlichen Tempo“ fortzusetzen und er war zuversichtlich, dass „das gemeinsam gelingen“ werde. Von gemeinsam ist López weit weg. Und beim Tempo wird es auch fortschreitend kritisch – so gibt es das Echo der Anleger: Die Aktie von Thyssenkrupp fiel vor wenigen Tagen auf ihren Tiefstand. Sie ist nur noch halb so viel wert wie zum Amtsantritt von López.