Essen. Klar wie nie hatten Arbeitgeber und Gewerkschaften vor den Rechtspopulisten gewarnt. Was Unternehmer NRW und IG Metall jetzt zum Ergebnis sagen.
Sie hatten am lautesten vor einem Rechtsruck in Europa gewarnt, entsprechend schockiert äußern sich Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften zum Erfolg der AfD bei der EU-Wahl in Deutschland. Ganz gegen ihre Gewohnheit hatten Unternehmen und Funktionäre mal indirekt, in NRW aber auch ganz offen die AfD als „nicht wählbar“ gebrandmarkt, weil deren Europafeindlichkeit der deutschen Wirtschaft schade. Auf sie gehört hat offensichtlich kaum jemand.
Der „Zuwachs an rechtspopulistischen Abgeordneten“ sei „ein besorgniserregendes Signal“, findet der Industrieverband BDI, die Maschinenbaufunktionäre sehen darin „ein alarmierendes Zeichen“, der Mittelstandsverbund ein „Warnsignal für alle Demokratinnen und Demokraten“. Aus der Finanzwelt und den Banken werden Sorgen laut, Europas Rechtsruck werde den Euro schwächen und könne eine neue Schuldenkrise in der EU heraufbeschwören - weil in den Staaten der Druck auf die abgestraften Regierenden steige, Geld unters von ihnen enttäuschte Wahlvolk zu bringen.
NRW-Wirtschaft ist abhängig vom EU-Binnenmarkt
Warum die großen Verbände in der AfD sowie den Le Pens und Wilders dieses Kontinents, sprich den Rechtsnationalisten die größte Gefahr sehen? Weil die deutsche Wirtschaft und insbesondere die Industrie abhängig sind vom freien Binnenmarkt Europas. Eine Abschaffung dieser EU, wie sie Rechtsaußen Björn Höcke offen und die AfD in ihrem Wahlprogramm indirekt fordert, käme einer Abschaffung des deutschen Wohlstands gleich, betonen die Unternehmerverbände immer wieder.
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Das gilt für NRW noch mehr als für ganz Deutschland, denn aus der NRW-Industrie gehen 60 Prozent aller Exporte in EU-Länder, bundesweit sind es 50 Prozent. Nicht China, nicht Amerika sind die größten Märkte für Made in Germany, sondern das ist mit großem Abstand das vereinte Europa. Deswegen hatten NRW-Arbeitgeberpräsident Arndt Kirchhoff und IG-Metall-Landeschef Knut Giesler im Doppelinterview mit unserer Redaktion davor gewarnt, die AfD zu wählen.
Giesler nennt es nach der Wahl gegenüber unserer Redaktion „erschreckend und eine Gefahr, wenn in Deutschland und Europa die populistischen und rechtsextremen Parteien, die weniger oder gar kein Europa wollen, einen solchen Zulauf erhalten“. Vor diesem Hintergrund gebe es unter den demokratischen Parteien auch keine Gewinner. „Es sollten sich vielmehr alle Fragen, was sie falsch gemacht haben, dass es so weit kommen konnte“, fordert der NRW-Bezirksleiter der IG Metall.
IG-Metall-Chef Giesler kritisiert vergiftete Debattenkultur
Dabei gehe es nicht nur um die Fragen von falscher oder richtiger politischer Themensetzung, um parteitaktische Spielchen statt schneller Problemlösung oder das Festhalten an Ideologie wie der Schuldenbremse. „Es geht auch um die Frage, welchen Beitrag die demokratischen Parteien zur Verrohung und Vergiftung der Debattenkultur leisten. All das ist ein Nährboden für diesen gefährlichen Rechtsruck“, so Giesler.
Arbeitgeberpräsident Kirchhoff zieht „ein gemischtes Fazit“, er begrüßt die gestiegene Wahlbeteiligung und dass „die weit überwiegende Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland proeuropäische Parteien gewählt hat“. Trotzdem sei der Zuwachs an den politischen Rändern besorgniserregend. Zwar seien „die extremen und europafeindlichen Parteien weit von einer Mehrheit“ im Europaparlament entfernt. Allerdings werde die Mehrheitsfindung erneut kompliziert.
Arbeitgeberpräsident Kirchhoff: ,Weiter so‘ darf es bei der Ampel nicht geben
Die EU müsse ihren „Kurs von Überregulierung, einseitigen Verboten und wirtschaftspolitisch nicht zu Ende gedachter Klimapolitik nach diesem Wahlausgang“ dringend korrigieren. Dies dürfe bei den anstehenden Personaldebatten auf keinen Fall in den Hintergrund rücken. Das deutsche Votum sieht Kirchhoff als „eindeutiges Signal an die Ampel in Berlin, jetzt endlich den dringend erforderlichen wirtschafts- und sozialpolitischen Kurswechsel herbeizuführen. Ein ,Weiter so‘ darf es nach diesem Wahlergebnis nicht geben“. Es müsse darüber hinaus nachdenklich stimmen, dass „die bürgerliche Mitte nicht von den hohen Stimmenverlusten von SPD und Grünen profitieren konnte“.
Vor der Europawahl hatten sich auch 30 Unternehmen mit insgesamt 1,7 Millionen Beschäftigten zusammengetan, um gemeinsam auf die fatalen Folgen von Populismus, Extremismus und Rassismus für den Wirtschaftsstandort Deutschland aufmerksam zu machen. Dax-Konzern wie die Deutsche Bank und Siemens forderten dazu auf, keine antieuropäischen Parteien zu wählen, ohne die AfD beim Namen zu nennen.
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Auch das Wirtschaftsbündnis Initiativkreis Ruhr mit seinen 70 Mitgliedunternehmen hatte eine Pro-Europa-Kampagne ins Leben gerufen. Moderator und Vonovia-Chef Rolf Buch warnte im WAZ-Podcast „Die Wirtschaftsreporter“, ein Austritt Deutschlands aus der EU wäre der „Exitus“ für die Unternehmen im Revier.
Die großen Ruhrgebietskonzerne hatten sich bereits zu Jahresbeginn klar positioniert, als zwischen Duisburg und Dortmund Hunderttausende gegen Rechtsextremismus auf die Straße gegangen waren, nachdem die „Remigrations“-Pläne rechtsextremer Kräfte bekannt geworden waren. „Die AfD gefährdet unsere Wirtschaft“, sagte Evonik-Chef Kullmann seinerzeit und warf der Partei „geistige Brandstiftung“ vor, die mit ihrem Abschottungskurs Hunderttausende Arbeitsplätze in Deutschland gefährde. Ähnlich äußerten sich die Vorstandsvorsitzenden von Vonovia, Eon, RWE, Thyssenkrupp und Uniper.