Essen. Eine Mehrheit hat kein Verständnis mehr für die Lokführer-Streiks. Warum sie damit recht hat und was Weselsky wirklich treibt.
Gewerkschaften haben überall dort besondere Durchschlagskraft, wo der größte Teil der Belegschaft Mitglied ist - also streiken kann. Ganze Betriebe lahmzulegen, ist nie schön, aber der ureigene Sinn von Streiks, mithin das legitime Mittel in Tarifauseinandersetzungen. Das gilt auch dann, wenn kleine Gewerkschaften das ganze Land lahmlegen können, weil ihre Mitglieder die Züge durchs Land fahren - oder eben nicht. Weil sie aber auch völlig unbeteiligte Menschen mit ihren Streiks treffen, müssen die Lokführer vor diesen ihre Streiks umso besser rechtfertigen können. Und das können sie diesmal nicht. Nach anfänglich breiter Zustimmung ist spätestens jetzt die Stimmung im Land gekippt. Eine Mehrheit hat kein Verständnis mehr für den Lokführerstreik - und die Mehrheit hat recht.
Denn von dem Stillstand in den Verhandlungen und den „verhärteten Fronten“, die im Nachrichtenjargon so gern bemüht werden, kann inhaltlich keine Rede mehr sein. Obwohl seit Wochen gar keine Verhandlung mehr stattgefunden hat, legte die Bahn ein neues Angebot vor, mit dem sie den Lokführern entgegenkommt. Das unzureichend zu nennen und abzulehnen, gehört noch zur üblichen Tariffolklore. Doch genau jetzt den bisher längsten Streik zu beginnen anstatt über das neue Angebot zu verhandeln, widerspricht allen Gepflogenheiten, die Gewerkschaften und Arbeitgeber in Jahrzehnten guter deutscher Tariftradition miteinander entwickelt haben.
Für Außenstehende wichtig zu verstehen ist, dass den Lokführern diesmal die Reduzierung der Arbeitszeit wichtiger ist als das Lohnplus. Das hat die Bahn anfangs unterschätzt, auf ihre ordentliche Lohnofferte verwiesen, eine Arbeitszeitverkürzung aber rundheraus abgelehnt. Aus ihrer Sicht auf den ersten Blick verständlich, weil sie ohnehin schon zu wenig Personal hat. Doch die Lokführer wollen nicht per se weniger arbeiten, sondern ein verlässliches Schichtsystem haben. Dass sie aktuell ständig Extraschichten fahren, oft sechs Tage die Woche, und dabei wegen der vielen Verspätungen noch etliche Überstunden sammeln, die sie aufgrund der Personalnot nicht abbauen können, rechtfertigt ihre Forderung allemal. Und ihr Argument, dass eben diese Arbeitsbedingungen viele Menschen davon abhalten, bei der Bahn zu arbeiten, zieht absolut.
Nur hat die Bahn das spät, aber immerhin nun erkannt und ein entsprechendes Angebot vorgelegt. Eine Stunde pro Woche weniger bei vollem Lohnausgleich ist natürlich nicht das, was Weselsky fordert, aber in diesem Punkt immerhin ein Drittel. Ausgehend von dem Erfahrungswert, dass starke Gewerkschaften wie die IG Metall oder eben die GDL ihre Forderungen in der Regel in etwa zur Hälfte oder etwas mehr durchsetzen, ist das Angebot der Bahn so weit von einem möglichen Kompromiss nicht entfernt. Kurzum: Zeit, sich an den Verhandlungstisch zu setzen.
Weselsky will sich zum Abschied Denkmal setzen
Dass Weselsky die harte Schiene fährt, ist nur mit seinem Wunsch nach einem perfekten Abgang zu erklären: Er will sich in seiner letzten Tarifrunde als Lokführerführer ganz offensichtlich ein Denkmal setzen. Dafür wählt er allerdings jene Betonkopfmethode, mit der zuletzt der frühere IG-Metall-Chef Jürgen Peters vor rund 20 Jahren einen am Ende gar nicht so rühmlichen Abgang eingeleitet hat, als er mit dem Kampf für die 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland scheiterte.
Nun also können Millionen Menschen den Rest der Woche und darüber hinaus zusehen, wie sie zur Arbeit kommen. Menschen, deren Gewerkschaften nicht annähernd so mächtig sind wie die GDL, Menschen aus dem Einzelhandel, der Gastronomie und dem Reinigungsgewerbe, die von Tarifabschlüssen wie denen der Lokführer nur träumen können. Und deren Arbeitgebern es im Zweifel egal ist, warum sie zu spät zur Arbeit kommen - und ihnen das vom Lohn abziehen. Sie alle lässt Weselsky für seinen Egotrip im Regen stehen. Nicht nur sie werden froh sein, wenn er endlich abtritt.