Berlin. Die sogenannte Bettkantenentscheidung fällt wieder öfter fürs Bett aus – und eine Gruppe steht besonders im Verdacht, krankzufeiern.
Der Hals kratzt, die Nase läuft. Der Rücken zwickt oder der Kopf schmerzt. Gehe ich heute trotzdem zur Arbeit oder bleibe ich zu Hause? Diese Frage nach dem Aufstehen mit leichten Symptomen beantworten viele Menschen mit einer Krankmeldung. 59 Prozent der Beschäftigten melden sich bei dieser sogenannten Bettkantenentscheidung nach eigenen Angaben krank, obwohl sie eigentlich noch arbeitsfähig wären. Zehn Prozent machen dies „häufig“ so, 23 Prozent „manchmal“, weitere 26 Prozent „selten“.
Jeder Dritte (36 Prozent) sagt dagegen von sich, immer zum Job zu gehen, wenn er gesund ist. Dies hat eine repräsentative Umfrage „Arbeiten 2023“ der Pronova BKK unter 1200 Beschäftigten im November ergeben. Am härtesten im Nehmen sind Menschen mit Rückenschmerzen: Hier gehen 46 Prozent der Befragten trotz Schmerzen zur Arbeit, weitere elf Prozent arbeiten dann von zu Hause aus.
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39 Prozent arbeiten trotz Beschwerden bei Allergien, weitere zehn Prozent erledigen dies in diesem Fall aus dem Homeoffice. Bei psychosomatischen Beschwerden gehen 36 Prozent zur Arbeit, weitere 13 Prozent bleiben im Homeoffice. Bei leichten Erkrankungen arbeiten 34 Prozent, bei psychischen Beschwerden 32 Prozent und bei ansteckenden Infekten 17 Prozent. Gut jeder zehnte Befragte sagt, dass bei einer Krankmeldung auch für ihn entscheidend sei, was auf der Arbeit los ist.
Krank: Beschäftigte spekulieren über Gesundheit
Manche Beschäftigten spekulieren auch mal, ob ihre Kollegen und Kolleginnen wirklich krank sind. Dabei fallen die Verdächtigungen je nach Alter unterschiedlich aus. Je jünger, desto eher wird Menschen unterstellt, sich auch mal gesund krankzumelden. Besonders skeptisch wird die Generation Z beäugt, so die Umfrage. Drei Viertel der Befragten vermuten, dass 18- bis 29-Jährige sich auch mal krankmelden, obwohl sie fit seien. Den 30- bis 42-Jährigen (Generation Y) unterstellen dies 74 Prozent, den 43- bis 58-Jährigen (Generation X) 68 Prozent.
Am besten fällt das Urteil über die Babyboomer-Generation aus: Nur 59 Prozent unterstellen ihnen, dass sie sich krankmelden, obwohl sie arbeitsfähig sind. 28 Prozent sagen sogar, dass die über 59-Jährigen sich nie krankmelden, wenn sie gesund sind. Das Misstrauen gegenüber Jüngeren führt die Wirtschaftspsychologin Patrizia Thamm vor allem auf mangelndes Verständnis zwischen den Generationen zurück. „Es ist erkennbar, dass sich die junge Generation durch ein sensibleres Frühwarnsystem für die eigenen Bedürfnisse auszeichnet, was aus meiner Sicht sehr wertvoll ist“, so die Pronova-Referentin für Gesundheitsförderung. „Sie zieht nicht um jeden Preis das Arbeitspensum durch, wenn sie gesundheitlich angeschlagen ist.“
Krank: Seit Corona gehen Menschen anders mit Krankheit um
Schon zu Beginn ihrer Berufslaufbahn achteten die Jüngeren auf eine gute Work-Life-Balance, auf Flexibilität, Gestaltungsspielraum sowie ein gutes Gehalt, so die Expertin. Diese Verhalten stößt bei Älteren allerdings auf Unverständnis. So sei es früher üblicher gewesen, auch ungesunde Arbeitsbedingungen zu ertragen. „Ein Burn-out war sicherlich nicht erstrebenswert, gehörte im Notfall aber dazu“, berichtet Thamm. Wichtig sei es deshalb, dass Führungskräfte ein gegenseitiges Verständnis zwischen den Generationen herstellen. Denn: Krankmelden, ohne krank zu sein, könne die Arbeitsmoral ernsthaft stören. Schließlich werde dadurch die Arbeitsbelastung der verbleibenden Mitarbeitenden erhöht.
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Grundsätzlich stellt die Krankenkasse seit Beginn der Corona-Pandemie eine deutliche Verhaltensänderung im Umgang mit Krankheiten fest. Heutzutage gehen laut Umfrage deutlich weniger Beschäftigte mit leichten Infekten zur Arbeit als vor der Pandemie. So ging 2018 noch jeder Zweite mit einem leichten Infekt zur Arbeit, heute ist es nur noch jeder Dritte (34 Prozent). Ähnlich sieht es bei Rückenschmerzen aus. Heute gehen nur noch 46 Prozent der Beschäftigten mit Rückenleiden in den Job, vor der Pandemie waren es noch 57 Prozent.
Andererseits kurieren sich auch nicht alle richtig aus. Nur 19 Prozent der Beschäftigten mit ansteckenden Atemwegserkrankungen bleiben zu Hause, bis die schlimmsten Symptome vorbei sind. Besonders auffällig: 12 Prozent der Corona-Erkrankten mit leichten Symptomen kehren trotz positivem Coronatest an den Arbeitsplatz zurück, so die Studie. Während der Hochphase der Pandemie machten dies dagegen nur neun Prozent. Dies gilt vor allem für die junge Generation, so Thamm. Elf Prozent gehen bei einem milden Corona-Verlauf zum Arbeiten, 2022 machten dies nur sechs Prozent – hier habe sich der Wert fast verdoppelt.
Krank: So hat sich der Krankenstand in Deutschland erhöht
Viele verzichten zudem darauf, bei Erkältungsanzeichen einen Coronatest zu machen. Dennoch warnt Thamm vor zu viel Sorglosigkeit: „Das Virus bleibt nach wie vor unberechenbar.“ Es sei ratsam, in dieser Situation zu Hause oder im Homeoffice zu bleiben, um nicht andere Kollegen anzustecken.
Insgesamt liegt der Krankenstand in Deutschland seit zwei Jahren auf sehr hohem Niveau. Die Beschäftigten fehlten 2023 im Job im Schnitt 20 Tage pro Kopf, wie die DAK Gesundheit, eine der größten Krankenkassen in Deutschland, für ihre erwerbstätigen Versicherten ermittelt hat. Der Krankenstand erreichte damit ein neues Rekordniveau von 5,5 Prozent. Damit waren durchschnittlich 55 von 1000 Beschäftigten krankgeschrieben. Dies waren 13 Prozent mehr Fälle als im Vorjahr.
Ursache für die hohen Krankenstände waren vor allem Atemwegserkrankungen wie Erkältungen, Bronchitis und Grippe. Sie verursachten 415 Fehltage je 100 Versicherte. Muskel-Skelett-Erkrankungen führten zu 373 Fehltagen und psychische Erkrankungen wie Depressionen zu 323 Fehltagen je 100 Versicherte. Fast zwei Drittel der Beschäftigten hatten laut DAK mindestens eine Krankschreibung. Besonders hoch war der Krankenstand in der Altenpflege (7,4 Prozent) und in Kitas (7 Prozent). 35,5 Prozent der versicherten Berufstätigen waren dagegen überhaupt nicht krankgemeldet.
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