Essen. Karl-Erivan Haub ist seit fünf Jahren verschollen. Laut Gericht ist er tot. Doch der Zweifel sind zu viele, um die Akte schließen zu können.

Ob Karl-Erivan Haub am 7. April in den Schweizer Alpen einen tragischen Skiunfall hatte oder untergetaucht ist, werden wir womöglich nie erfahren. Doch es ist gut und richtig und die Aufgabe von Journalistinnen und Journalisten, weiter nach der Antwort auf die Frage zu suchen. Mit mangelndem Respekt vor einer gerichtlichen Todeserklärung hat das nichts zu tun. Denn sie erfolgte nach Aktenlage. Es gab keine belastbaren Hinweise darauf, dass der frühere Tengelmann-Chef noch lebt. Aber: Solange im Gletscher von Zermatt seine Leiche nicht gefunden wird, gibt es auch keinen letzten Beweis für das Gegenteil. Indizien dafür gab es dagegen schon sehr früh nach dem vermeintlichen Bergunglück. Es wäre unjournalistisch, ihnen nicht nachzugehen.

Zumal für Journalisten, die ihn gekannt haben. Sie können sich nämlich beides eigentlich nicht vorstellen: Dass er über Nacht verschwunden ist, ohne zu regeln, wie es mit seinem Unternehmen weitergeht. Aber eben auch nicht, dass er sich gegen jede Gewohnheit zu leicht bekleidet, allein und ohne Handy auf eine Skitour am Kleinen Matterhorn aufgemacht hat.

Wer Karl-Erivan Haub in seiner Mülheimer Tengelmann-Zentrale erlebte, wer ihn über seine Oldtimer-Sammlung hat schwärmen und anschließend über das Familienunternehmen reden hörte, darüber, dass es seine Kinder oder die seiner Brüder dereinst übernehmen sollten, tut sich schwer damit, an ein plötzliches Abtauchen zu glauben. Zumal er stets betonte, die Kinder seien noch nicht so weit, sie sollten sich „ihre Sporen erst außerhalb des Unternehmens verdienen“, wie er in einem Interview mit unserer Redaktion 2017 einmal sagte. Dabei leuchteten seine Augen, wie fast immer, wenn er über Tengelmann dozierte. Spricht so jemand, der die Firma bald darauf im Stich lässt und obendrein das Feld seinem Bruder Christian überlässt, den er bis dahin auf keinen Fall ans große Ruder lassen wollte?

Andererseits: Wer wusste, dass der Mensch Karl-Erivan Haub ein ängstlicher war, wenn es um seine Sicherheit ging, kann sich die riskante Skitour mit tödlichem Ausgang auch nicht vorstellen. Haub fuhr von seinem Wohnort Köln jeden Tag eine andere Route zur Tengelmann-Zentrale in Mülheim – aus Angst vor einer Entführung. Haub achtete auch penibel auf seine Gesundheit, seinen bis in die letzte Faser trainierten Körper.

Widersprüchliche Signale aus der dem Umfeld der Familie

Hinzu kommt: Aus dem Umfeld seiner Familie war zwei Jahre später zu vernehmen, dass sie einen tödlichen Unfall im Gletscher für eher unwahrscheinlich hielt. Ein Jahr später ließ sie Karl-Erivan für tot erklären und versicherte vor Gericht, keinerlei Zweifel daran zu haben.

Völlig unzweifelhaft ist in diesem Gemenge an Indizien, Spekulationen und sich widersprechenden Aussagen nur eines: Für das Familienunternehmen Tengelmann war es von enormer Bedeutung, dass sein früherer Chef drei Jahre nach seinem Verschwinden für tot erklärt wurde. Die lange Phase, in der nicht klar war, wie es weitergeht, war nicht gut für die Geschäfte, der amtierende Chef Christian Haub nicht frei in seinen Entscheidungen, das Unternehmen praktisch gelähmt. Hier für Klarheit zu sorgen, war ganz sicher im Sinne der rund 90.000 Beschäftigten. Und damit auch im Sinne von Karl-Erivan, ob er 2021 noch gelebt hat oder nicht.