Berlin. Die Wirtschaftsexpertin Claudia Kemfert fordert die Abschaffung umweltschädlicher Subventionen. Warum das Dieselprivileg weg muss.

Starkregen, Dürren, Waldbrände. Der Klimawandel wird weltweit immer spürbarer. Gleichzeitig droht Deutschland, dringend notwendige Investitionen als Folge des 60-Milliarden-Urteils und durch die aktuell verhängte Haushaltssperre nicht mehr umsetzen zu können. Über mögliche Lösungen der akuten Krise und die Chancen der UN-Weltklimakonferenz sprach unsere Redaktion mit der Energieexpertin und Wirtschaftsprofessorin im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), Claudia Kemfert.

Frau Kemfert, das Bundesverfassungsgericht hat die Finanzierung für große Teile der Klima-Politik der Ampel gekippt, jetzt gibt es sogar eine Haushaltssperre. War’s das mit Klimaschutz für diese Legislatur?

Claudia Kemfert: Es ist nicht das Ende des Klimaschutzes. Aber es ist eine Zäsur, auf die die Bundesregierung reagieren muss. Ich sehe hier drei wesentliche Punkte: 1. Die Ausgaben müssen reduziert werden. 2. Die Schuldenbremse muss ausgesetzt werden. 3. Der Klima- und Transformationsfonds (KTF) sollte kritisch auf den Prüfstand gestellt werden. Die Steuersenkung für energieintensive Unternehmen oder die Ansiedelung von Chipfabriken könnten beispielsweise auch anders finanziert werden.

Welche Ausgaben sollten konkret gestrichen werden?

Fossile Subventionen wie vor allem das Diesel- und Dienstwagenprivileg sollten sofort auf die sofortige Streichliste. Laut Umweltbundesamt gewährt die Bundesregierung über 60 Milliarden Euro jährlich an umweltschädlichen Subventionen vor allem im Energiesektor und Verkehrsbereich. Dazu gehört auch die Entfernungspauschale. Das DIW fordert schon seit fast 20 Jahren die Abschaffung des Dieselprivilegs. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Nach der Klatsche vom Bundesverfassungsgericht ist die Zeit reif, ernsthafte Lösungen voranzubringen.

Das werden viele Menschen aber auch direkt im Portemonnaie spüren …

Ja, wer Diesel und/oder Dienstwagen fährt, zahlt dann genauso viel Steuern wie alle anderen Autofahrer. Außerdem sollten grundsätzlich die CO₂-Preise erhöht werden. Im Gegenzug könnten dann emissionsärmere Maßnahmen stärker unterstützt werden. Und das im Koalitionsvertrag vereinbarte, sozial ausgleichende Klimageld muss dann eben auch wirklich kommen, und zwar schnell.

Wie könnte die Schuldenbremse ausgesetzt werden?

Das Bundesverfassungsgericht hat 2021 entschieden, dass Klimaschutz eine zentrale Aufgabe des Staates ist. Wir stecken mitten in einer tiefgreifenden Klimakrise, die nicht in einem Jahr, sondern nur über Jahrzehnte gelöst werden kann. Wir sollten jetzt den Klimanotstand aussprechen, um wieder handeln zu können. Und zugleich die Chance nutzen, die Schuldenbremse grundlegend zu reformieren.

Also ein dauerhaftes Aussetzen der Schuldenbremse wegen der Klimakrise?

Erstmal ist es nötig, akut die Schuldenbremse auszusetzen. Das heißt nicht, dass das dauerhaft so bleibt; wir brauchen aber mehr Flexibilität. Nicht nur die jetzige Regierung, sondern auch alle künftigen Regierungen stehen in der internationalen Pflicht. Deutschland hat das Paris-Abkommen unterzeichnet, ein Klimagesetz und verbindliche Klimaziele vereinbart. Um diese zu erreichen, müssen wir Emissionen senken und investieren. Hier wurde in den vergangenen 15 Jahren zu wenig getan. Wir zahlen heute den Preis einer jahrzehntelang verschleppten Energiewende.

Wenn die Schuldenbremse nicht ausgesetzt wird, befinden wir uns dann im Stillstand?

Es ist eine missliche Lage, für die eine Lösung gefunden werden muss. Einerseits fehlen 60 Milliarden Euro, andererseits kommen aus dem europäischen und deutschen Emissionshandel etwa 20 Milliarden Euro in die Kasse. Die Klimaschutzziele haben oberste Priorität, sonst zahlen wir eines Tages doppelt und dreifach. Das sind keine Wünsch-dir-was-Ziele. Deutschland ist verpflichtet, sie zu erreichen.

Sollte die Energiepreisbremse für Verbraucher erhalten bleiben?

Mittlerweile liegen die Strom- und Gaspreise wieder – zum Teil sogar deutlich – unter dem Wert der Energiepreisbremse. Damit sehe ich keine Notwendigkeit, sie zu verlängern. Mehr Sorge bereitet mir das eventuell fehlende Geld für die Förderung von grünem Wasserstoff, Speichertechnologien und des Schienenverkehrs oder auch die EEG-Umlage. Letztere ist ja auch eine Erstattung für Verbraucher. Um das zu finanzieren, muss man dringend Wege finden. Das ist vielleicht nicht so sichtbar, aber es ist substanziell für unsere Wirtschaft.

Sind denn die Steuererleichterungen für den Strompreis für Unternehmen noch haltbar? Die wurden ja eingeführt mit dem Argument, die Unternehmen würden sonst Deutschland verlassen.

Stromkosten machen insgesamt nur einen kleinen Anteil der Bruttowertschöpfung aus. In einer Studie haben wir nachgewiesen, dass nur ein kleiner Teil der stromintensiven Unternehmen wirklich unter starken Kostensteigerungen leidet. Und nur wenige Unternehmen in ausgewählten Industriezweigen sind stark betroffen. Die große Mehrheit der Unternehmen ist wenig belastet. Die meisten Unternehmen leiden nicht unter dem Strompreis, sondern unter dem hohen Gaspreis. So wurde die Ammoniakproduktion wegen zu hoher Gaspreise verlagert. Von der Steuersenkung mit der Gießkanne profitieren viele Unternehmen, die es gar nicht brauchen. Hier sollte die Regierung differenzierter und empirisch gestützt vorgehen. Denn die Senkung ist vergleichsweise teuer.

Sollte die Ansiedlung von Unternehmen wie Intel mit Milliarden gefördert werden?

Staatliche Förderung ist bei zukunftsweisenden Firmen und kritischer Infrastruktur sinnvoll. So investiert der Staat bei Intel 10 Milliarden Euro und das Unternehmen investiert weitere 20 Milliarden. Fraglich ist nur, ob dies aus dem Klimaschutztopf finanziert werden muss – oder nicht aus anderen Quellen.

Global geht es ab der kommenden Woche in Dubai um Klimaschutz. Ein Bericht der Vereinten Nationen kommt diese Woche zu dem Schluss, dass die Welt auf Kurs ist für drei Grad Erwärmung in diesem Jahrhundert. Was bedeutet das?

Eine Drei-Grad-Welt heißt, dass wir zahlreiche Kipppunkte überschritten haben werden. Die Klimaforscher, die ich treffe, sind in höchstem Maße besorgt. Wir lassen den Planeten in eine Richtung rutschen, die menschliches Leben in vielen Teilen der Erde unmöglich machen wird. Mit allen Konsequenzen, die wir jetzt schon erleben: extreme Hitze, Waldbrände, Dürren, Starkniederschläge … Das bedeutet Hungersnöte, Migration und Instabilität. Was wir jetzt sehen, sind erst die Anfänge. Es wird nicht nur schlimmer, sondern auch unumkehrbar. Wir nehmen der Zukunft die Freiheit. Deshalb müssen wir jetzt alles dafür tun, das zu verhindern.

Was muss erreicht werden bei der diesjährigen Klimakonferenz, um das zu verhindern?

Die Klimakonferenz müsste befreit werden von fossilen Lobbyinteressen. Da fliegen Zehntausende Teilnehmer hin, und sehr viele davon sind Lobbyisten für fossile Energien. Das Format, so viele Staaten an einen Tisch zu bringen, ist sinnvoll, aber man muss diese Veranstaltungen entschlacken auf die entscheidenden Akteure. Das heißt dann im Zweifel auch, dass nicht mehr jede NGO ihre Interessen vortragen kann.

Der diesjährige Präsident der Konferenz ist Ahmed al-Dschaber, gleichzeitig CEO beim staatlichen Ölkonzern der Emirate. Kann eine Konferenz, die von einem Öl-CEO geleitet wird, das liefern?

Es ist im höchsten Maße problematisch, dass ein COP-Präsident so eng mit der fossilen Industrie verflochten ist. Dass es nicht gelungen ist, das zu verhindern, ist symptomatisch. Die Klimakonferenzen sind inzwischen so stark von fossilen Industrien geprägt, dass es immer schwerer wird, neue zielführende Beschlüsse zu vereinbaren. Ich bin sehr pessimistisch, dass dabei viel herauskommt.

Die EU will in Dubai unter anderem erreichen, dass die Kapazität für erneuerbare Energie weltweit bis 2030 verdreifacht wird. Ist das möglich?

Natürlich ist das möglich. Es wird schon jetzt weltweit deutlich mehr Geld in Erneuerbare investiert als in fossile Energie. Die Märkte reagieren, weil Erneuerbare Energien immer billiger werden. Aber weil auch die Preise für Öl und Gas steigen, erhöht das leider die Gewinnchancen für die Unternehmen, die deswegen auch weiter in fossile Energie investieren. Selbst Deutschland investiert in Flüssiggas-Terminals, die wir nicht brauchen.

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    Die Ölstaaten setzen auf CCS, also die Abscheidung und Speicherung von CO2, um weiter fossile Brennstoffe verwenden zu können. Ist das ein Weg nach vorn?

    Seit 20 Jahren wird erzählt, dass CCS kommt. Aber zu sehen ist davon nichts. Es ist ineffizient und teuer. Mögliche Speicher sollten besser für zukunftsfähige Lösungen wie Wasserstoff oder Geothermie genutzt werden. Und: Man braucht sehr hohe CO₂-Preise, um das überhaupt marktfähig zu machen. Ich glaube nicht, dass uns das weiterbringt.

    Was macht Ihnen beim Klimaschutz Hoffnung?

    Ich beschäftige mich seit 30 Jahren mit dem Thema und ehrlich gesagt drehen sich viele Diskussionen im Kreis. Was mir Hoffnung macht, ist die Zivilgesellschaft, die seit 2019 viel aktiver ist bei diesem Thema. Und auch die wachsende Zahl an Unternehmen, die wirklich Klimaschutz wollen. Das dürfen wir uns nicht schlechtreden lassen.