Berlin. Die Bahn macht der Lokführergewerkschaft einen sehr ungewöhnlichen Vorschlag. Doch deren extreme Forderungen will sie nicht erfüllen.

In wenigen Tagen läuft der Tarifvertrag zwischen der Lokführergewerkschaft GDL und der Deutschen Bahn aus. Am 9. November starten die Verhandlungen über einen neuen. Arbeitgeber und Gewerkschaft liegen so weit auseinander, dass ausgerechnet in Richtung Weihnachten ein Bahnstreik droht. GDL-Chef Claus Weselsky hat schon einmal deutlich gemacht, dass Arbeitskämpfe eingeleitet werden, wenn die Verhandlungen nicht zu einem Kompromiss führen. Es sei eine „unverhohlene Streikankündigung“, sagt der Personalvorstand des Konzerns, Martin Seiler.

Mit einem ungewöhnlichen Angebot will die Bahn eine Zuspitzung des sich abzeichnenden Konfliktes vermeiden. Schon vor Beginn der Tarifverhandlungen sollen sich beide Seiten gemeinsam mit erfahrenen Streitvermittlern zusammensetzen und nach Wegen zu einer Einigung suchen. „Wir wollen raus aus der Konfliktspirale, rein in einen Lösungsmodus“, erläutert Seiler. Das habe er der GDL schriftlich angeboten.

Bis zum Ende der kommenden Woche solle die Gewerkschaft auf das Angebot antworten. Eine ähnliche Vorgehensweise hat es bisher noch nicht gegeben. Üblich ist eher ein Schlichtungsverfahren, wenn Verhandlungen als gescheitert erklärt werden. Doch zwischen der Bahn und der GDL gibt es kein Schlichtungsabkommen.

Deutsche Bahn weist Forderungen für Lohnplus zurück

Hinter dem Angebot steckt wohl die Befürchtung einer Streikwelle, weil die GDL sehr viel durchsetzen will. „Die Forderungen sind unerfüllbar“, kritisiert Seiler. Insgesamt 35 Punkte umfasse der Katalog der Gewerkschaft. Zusammen liefe das auf eine Kostensteigerung um 50 Prozent hinaus. Dazu gehört die Forderung nach einer 35-Stunden-Woche für Schichtarbeiter bei vollem Lohnausgleich. Laut Seiler müsste die Bahn 10.000 zusätzliche Mitarbeiter einstellen, um die dadurch entstehenden Lücken zu schließen. Angesichts des Fachkräftemangels und auch aufgrund der hohen Kosten will der Vorstand da nicht mitgehen.

Auch darüber hinaus verlangt die GDL einiges. Sie fordert eine Lohnerhöhung um 555 Euro, ein Plus von 27 Prozent bei Zulagen und sogar 67 Prozent bei der betrieblichen Altersvorsorge. „Das ist absolut nicht darstellbar“, klagt Seiler. Deshalb startet die Bahn den Versuch, mit einer Konfliktvermittlung den sehr wahrscheinlichen Arbeitskampf abzuwenden. Als Lockmittel bietet das Unternehmen den Beschäftigten mit GDL-Tarif die Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie von 1500 Euro im Dezember an. Im Gegenzug soll die Gewerkschaft auf Streiks verzichten, solange vermittelt wird.

Dass es dazu wirklich kommt, scheint jedoch mehr als unrealistisch. GDL-Chef Weselsky hat den Vorschlag der Bahn bereits zurückgewiesen. Den Vorschlag bezeichnete er gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters als „Eskalationsstufe“.

Gewerkschaft spricht sich gegen Tarifeinheit aus

Ein weiterer Knackpunkt hat vordergründig nichts mit den Löhnen zu tun. Laut Seiler pocht die GDL darauf, dass das Tarifeinheitsgesetz (TEG) nicht anwendet wird. Diese Regelung schränkt den Geltungsbereich der Tarifverträge ein. In jedem der über 300 Betriebe der Bahn gilt nur der Vertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern. Derzeit gilt der GDL-Tarif nur in 18 Betrieben. Die Lokführergewerkschaft will jedoch über die bisherige Klientel des Zugpersonals auch in den Werkstätten und Instandhaltungswerken Fuß fassen und Tarife aushandeln. „Wir werden uns nicht anstiften lassen, ein Gesetz nicht anzuwenden“, stellt Seiler klar.

Einen Fehdehandschuh hatte Weselsky der Bahn schon im Juli hingeworfen. Mit Unterstützung der Gewerkschafter wurde da die Genossenschaft Fair-Train gegründet. Sie will Lokführer bei der Deutschen Bahn abwerben und sie als Leih-Lokführer beschäftigen. Es mangelt also nicht an konfliktträchtigen Themen für eine Vermittlung oder Verhandlung.

Erst im Juli konnte die Bahn den monatelangen Tarifstreit mit der größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) in einem Schlichtungsverfahren abwenden. Die rund 110.000 davon betroffenen Beschäftigten erhalten in diesen Tagen eine Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 2.850 Euro. In zwei Schritten werden die Löhne und Gehälter dann noch um insgesamt 410 Euro erhöht. Das entspricht nach EVG-Angaben einer durchschnittlichen Entgeltsteigerung von 14 Prozent, nach Berechnung der Bahn um 11 Prozent.

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