Essen. Thyssenkrupp gründet eine Sparte für Klimaschutz-Technologien. Konzernchef López leitet die Einheit „Decarbon“. Gesteuert wird sie in Dortmund.

Thyssenkrupp bekommt eine neue Konzern-Sparte für Klimaschutz-Technologien. Der Konzernbereich, in dem weite Teile des bisherigen Segments „Multi Tracks“ aufgehen sollen, erhält den Namen „Decarbon Technologies“. Im neuen Konzernbereich werden Unternehmensangaben zufolge rund 15.000 Beschäftigte arbeiten. Zu Thyssenkrupp gehören insgesamt knapp 100.000 Mitarbeiter weltweit.

Die Zentrale der Sparte, die für einen Jahresumsatz von zuletzt rund drei Milliarden Euro steht, werde in Dortmund angesiedelt – und nicht am Firmensitz in Essen. In Dortmund gebe es eine größere Nähe zu den Geschäftsaktivitäten der Thyssenkrupp-Firmen, die Teil der neuen Sparte werden. Es handelt sich um die Anlagenbauer Uhde, Polysius und Rothe Erde sowie die Wasserstoff-Firma Nucera. Das Thyssenkrupp-Management strebt weitere Standorte in Wachstumsregionen wie dem Nahen Osten an.

Konzernchef López: „Grünes Industrie-Powerhouse“

Der neue Konzernchef Miguel López will die Decarbon-Sparte führen – zusätzlich zu seiner bisherigen Aufgabe als Vorstandsvorsitzender des Gesamtkonzerns. Auch die Gründung eines Aufsichtsrats und einer

Thyssenkrupp-Chef Miguel López: „Mit dem neu gegründeten Segment bündeln wir unsere Schlüsseltechnologien zur Energiewende.“
Thyssenkrupp-Chef Miguel López: „Mit dem neu gegründeten Segment bündeln wir unsere Schlüsseltechnologien zur Energiewende.“ © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Betriebsrätearbeitsgemeinschaft für „Decarbon“ sei geplant. Mit der neuen Sparte wolle er Thyssenkrupp „zum Wegbereiter der grünen Transformation“ machen und „so die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens und unserer Kunden“ sichern, sagt López.

„Mit dem neu gegründeten Segment bündeln wir unsere Schlüsseltechnologien zur Energiewende“, formuliert López in einem Schreiben an die Beschäftigten, das unserer Redaktion vorliegt. Es gebe damit ein „riesiges Potenzial“ für den Konzern. Es entstehe ein „grünes Industrie-Powerhouse“.

IG Metall unterstützt Gründung der neuen Sparte

Die IG Metall lobt die Veränderung. „Die Gründung des neuen Segmentes Decarbon unterstützen wir voll und ganz, weil es den Weg in die Zukunft aufzeigt“, sagt Jürgen Kerner, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender von Thyssenkrupp kurz nach der Aufsichtsratssitzung am Mittwoch (13. September).

Daniela Jansen, Konzernbeauftragte der IG Metall für Thyssenkrupp, zeigt sich ebenfalls zufrieden. „Wir haben in den vergangen drei Jahren immer wieder die Frage an den Vorstand gestellt, wie es mit den Geschäften weitergehen soll“, sagt sie. „Dass nachhaltige Unternehmensteile wie Uhde, Polysius, Rothe Erde und Nucera eine gemeinsame Zukunft haben und die Beschäftigten nicht länger in Ungewissheit sind, ist eine positive Nachricht.“

Im Herbst 2020 hatte der Thyssenkrupp-Vorstand um die damalige Konzernchefin Martina Merz zahlreiche Aktivitäten dem Segment „Multi Tracks“ zugeordnet. Der Vorstand sprach zum Start der Einheit mit rund 20.000 Arbeitsplätzen von Konzernbereichen, in denen es „keine nachhaltigen Zukunftsperspektiven“ innerhalb der Thyssenkrupp-Gruppe gebe. Auch die mittlerweile geschlossene Grobblech-Produktion in Duisburg sowie das Edelstahlwerk AST im italienischen Terni, das vor einigen Monaten verkauft worden ist, wurden „Multi Tracks“ zugeordnet. Weitere Geschäftsaktivitäten, darunter das Bergbaumaschinen-Geschäft mit rund 3400 Beschäftigten, hat Thyssenkrupp ebenfalls veräußert.

Sparte mit Unternehmen Uhde, Polysius, Rothe Erde und Nucera

Die Wasserstoff-Firma Nucera, die nun dem Bereich „Decarbon“ zugeordnet wird, hat Thyssenkrupp indes im Juli erfolgreich an die Börse gebracht. Das Dortmunder Unternehmen befindet sich auf Wachstumskurs. Bei seiner ersten Zwischenbilanz nach dem Börsengang des Unternehmens zeigte sich Nucera-Chef Werner Ponikwar unlängst überaus optimistisch. Es gebe eine „hohe Nachfrage“ nach Elektrolyseuren von Nucera für die aufstrebende Wasserstoff-Wirtschaft, berichtet der Manager.

Zusammen mit den Anlagenbau-Geschäften von Uhde, Polysius sowie Rothe Erde soll Nucera nun eine eigene Sparte innerhalb von Thyssenkrupp bilden. Die Führung der Einheit macht Konzernchef López zur Chefsache.

Rothe Erde stellt Großwälzlagern her, die in Windrädern zum Einsatz kommen. Das Unternehmen sei die „weltweite Nummer eins bei Großwälzlagern der neuesten Generation“ und mache damit „die Energiewende möglich“, so Thyssenkrupp.

Geschäfte rund um Wasserstoff und Ammoniak

Die Firma Uhde verfügt über Kompetenzen im Geschäft mit Ammoniak. Ammoniak werde benötigt, um Wasserstoff zu transportieren, hebt Thyssenkrupp hervor. Uhde stellt Anlagen für die Umwandlung der Rohstoffe her („Ammoniak-Cracking“). Für die Chemie- und Düngemittel-Industrie ist Ammoniak ein wichtiger Grundstoff.

Die Thyssenkrupp-Firma Polysius fertigt Anlagen für die Zementindustrie, die ebenfalls unter dem Druck steht, künftig klimaneutral zu produzieren. Polysius habe in der Vergangenheit rund 35 Prozent aller Zementanlagen weltweit erbaut und bringe Kompetenzen für die anstehende Transformation mit, betont das Thyssenkrupp-Management.

Die Firmen galten bei der Eingliederung in die Sparte „Multi Tracks“ größtenteils als Sanierungsfälle. Dass sie nun als Teil der Zukunftssparte von Thyssenkrupp fungieren, ist eine durchaus bemerkenswerte Wende in der Strategie.

Gleichzeitig wird auch nun nach außen deutlich, dass Thyssenkrupp weniger ein zentral geführter Konzern ist, sondern von verschiedenen Standorten in NRW geprägt wird: mit der Hauptverwaltung in Essen, aber auch mit Machtzentren in Duisburg, wo sich die Stahlsparte Thyssenkrupp Steel befindet, sowie in Dortmund mit den Anlagenbauern und dem neuen Segment „Decarbon“.

Essener Konzern-Quartier bekommt Namen „ruhr tech kampus essen“

Das firmeneigene Essener Gelände der Konzernzentrale, als Thyssenkrupp Quartier bekannt, benennt das Unternehmen um in „ruhr tech kampus essen“. Unter einem „neutralen Namen“ solle das Areal weiterentwickelt werden. Personalvorstand Oliver Burkhard erklärt, der Platzbedarf für Thyssenkrupp habe sich verringert, auch „aufgrund hybrider Arbeitsmodelle“.

Das Quartier werde nun nicht mehr ausschließlich von Thyssenkrupp genutzt, sondern auch von Unternehmen wie Eon und Siemens. Es gebe eine „Nachfrage nach Flächen für Kommunikation und Wissensaustausch am Standort Essen“, so Burkhard.

Effizienz-Programm „Apex“ soll starten

Auch das von Konzernchef López angestoßene Effizienz-Programm namens „Apex“ soll nun starten. Es gehe um ein „ganzheitliches und tiefgreifendes Transformations-Programm“ für den Essener Stahl- und Industriegüterkonzern mit seinen weltweit knapp 100.000 Beschäftigten, hatte der Vorstand bereits Ende August den Beschäftigten geschrieben. Dabei sollen nahezu alle Bereiche im Konzern auf den Prüfstand kommen. Die „Handlungsfelder“ seien: das Personal und die Organisation, Materialkosten, Vermögenswerte, das betriebliche Nettoumlaufvermögen, Geschäftsmodelle und Vertrieb sowie die Leistungskultur („Performance Culture“).

Thyssenkrupp strebe mittelfristig eine Gewinnmarge (Bereinigte Ebit-Marge) von vier bis sechs Prozent auf Konzernebene an, um das Ziel zu erreichen, eine „verlässliche Dividendenzahlung“ für die Aktionäre zu liefern, betont Vorstandschef López in dem Schreiben an die Beschäftigten. Mit dem „Performance-Programm“ würden nun „alle Geschäfte fit“ gemacht, um deren Rentabilität rasch und dauerhaft zu steigern.

Mit Blick auf „Apex“ betont IG Metall-Vorstand Jürgen Kerner: „Für uns ist wichtig, dass der Fokus auf eine nachhaltige Verbesserung der Performance gelegt wird. Kurzfristige Maßnahmen wie Verzicht auf notwendige Investitionen und Abbau von Beschäftigten lehnen wir ab.“ Die IG Metall erwarte „klare Botschaften des Vorstandes an die Beschäftigten, dass Apex kein Personalabbauprogramm ist“. Tekin Nasikkol, der neue Konzernbetriebsratschef, gibt zu bedenken: „In den letzten Jahren lag der Fokus auf Restrukturierung und Personalabbau. All das hat nicht dazu geführt, dass wir besser geworden sind.“

Personalverschiebungen im Top-Management

Im Zuge der Auflösung des Segments „Multi Tracks“ zum Ende des Geschäftsjahres 2022/23 und der Gründung des neuen Segments „Decarbon“ zum 1. Oktober ergeben sich einige Personalveränderungen. So soll sich Volkmar Dinstuhl, derzeit der Chef von „Multi Tracks“, künftig um das Beteiligungsmanagement von Thyssenkrupp kümmern, wie aus einem Schreiben an die Beschäftigten hervorgeht, das unserer Redaktion vorliegt. Der scheidende Finanzvorstand Klaus Keysberg übernimmt demnach in Personalunion zunächst auch die Positionen des Finanzchefs bei „Decarbon“ – an der Seite von López als Leiter der Einheit. Dinstuhl wird auch als potenzieller neuer Finanzchef auf Konzernebene gehandelt.

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