London. Londons Mietenkrise bringt viele Einwohner an ihre Grenzen. Nun gibt es immerhin mehr sozialen Wohnungsbau. Doch das reicht nicht aus.
An diesem Tag breitet Londons Bürgermeister Sadiq Khan einladend seine Arme aus. „Massive news“, sagt er in die Kamera, um die aus seiner Sicht großen Neuigkeiten zu verkünden. London habe sein Ziel, mit dem Bau von mehr als 20.000 Sozialwohnungen zu beginnen, schon ein Jahr früher als geplant erreicht, jubelt der Politiker der sozialdemokratischen Labour Partei.
In dem Video, das später auf dem Twitter-Kanal des Bürgermeisters veröffentlicht wird, ist Khan zu sehen, wie er in einer Sozialwohnung auf dem Sofa einer Familie Platz nimmt. „Unser neues Zuhause. Wir sind wirklich, wirklich glücklich“, sagt eine ältere Bewohnerin.
London hat mit dem Bau von 23.000 Sozialwohnungen begonnen
Khan, seit 2016 Bürgermeister der britischen Hauptstadt, ist angetreten, nicht nur das Leben dieser einen Familie besser zu machen. Grüner soll sein London werden, sicherer natürlich auch, aber vor allem auch bezahlbarer.
Als Bürgermeister hat Khan zunächst dafür gesorgt, dass der soziale Wohnungsbau wieder anspringt. Von einem „goldenen Zeitalter“ spricht Khan stets, wenn er dazu befragt wird. Und die von der Stadtverwaltung Greater London Authority (GLA) veröffentlichen Zahlen zeigen durchaus Fortschritte.
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Seit 2018 sei mit dem Bau von mehr als 23.000 Sozialwohnungen begonnen worden. Allein 2022/2023 seien mehr dieser Unterkünfte errichtet worden, als in jedem anderen Jahr seit den 1970er-Jahren. Die britische Regierung hingegen wirft Khan stets vor, sich die Zahlen schönzurechnen.
Londons Stadtbezirk Brent ist führend, wenn es um neu gebaute Sozialwohnungen geht
Führend unter den 32 Londoner Bezirken in Sachen Sozialwohnungsbau ist Brent. Etwas mehr als 330.000 Einwohner leben hier. Man ist multikulturell. Mehr als 100 unterschiedliche Sprachen würden gesprochen, sagt Promise Knight, die in der Bezirksverwaltung für Bauen und Wohnen zuständig ist. Knight war dabei, als Khan die Familie in der Milton Avenue im Stadtteil Stonebridge besuchte.
Knight, die wie der Bürgermeister zur Labour Partei gehört, geht in eines der in diesem Jahr fertig gestellten Reihenhäuser. Die Wohnung ist so ähnlich wie die, die sich Khan angeschaut hat: Dunkles Laminat, weiße Fußleisten, helle Wände, ein Eingangsbereich, der direkt ins Wohnzimmer mit Tür zu Garten und Terrasse führt, vier Schlafzimmer, zwei Bäder, Einbauküche – hier kann sich eine Familie wohlfühlen. „Schwer zu bekommen“, sagt Knight, die weiß, wovon sie spricht. Sie wuchs hier im Bezirk in einer viel zu kleinen Wohnung auf: Mit sechs Personen lebte die Familie in einer Unterkunft mit zwei Schlafzimmern.
Brent will bis 2028 mehr als 1700 Sozialwohnungen errichten. „800 haben wir schon geliefert, weitere 200 werden bis nächstes Jahr dazukommen“, schwärmt Knight. Im Zeitraum 2021 bis 2026 fließen an den Bezirk dafür 111 Millionen Pfund aus dem Förderprogramm des Bürgermeisters. Brents Erfolg hat viel mit harter Arbeit zu tun, glaubt Knight. „Wir haben politischen Ehrgeiz und politischen Appetit.“ Doch so einfach ist das nicht.
Sind die Sozialwohnungen fertig, liegen die Mieten deutlich unter Marktniveau
Inflation, hohe Materialkosten, der Fachkräftemangel und die angespannte wirtschaftliche Lage würden auch den Sozialwohnungsbau erschweren, gibt Knight zu und rechnet vor: Als man mit dem Bau begann, habe man noch bei Herstellungskosten in Höhe von 2000 Pfund pro Quadratmeter gelegen, jetzt seien es 4000 Pfund. Nun müsse man Projekte aufschieben und priorisieren, so Knight. Brent baue stets nur auf bezirkseigenem Land. Das hält ein wenig das Geld zusammen.
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Ist eine Wohnung erstmal fertig, liegen die Mieten deutlich unter Marktniveau. Für einen Monat in einer der Unterkünfte an der Milton Avenue zahlt man lediglich 918 Pfund. Bei 5.805 Pfund liegt hingegen die Marktmiete, die im Monat durchschnittlich für eine Vier-Bett-Wohnung in Brent fällig wird.
Manch Londoner denkt da gleich ans Wegziehen. In teuren Zentrumslagen mussten schon Grundschulen schließen, weil Familien lieber das Weite suchten. Hunderttausende Londoner leben lediglich in temporären Unterkünften. Lebensmittelausgaben der Tafeln berichten über lange Schlangen.
Experte: Den Problemen auf dem Wohnungsmarkt in London konnte man lange zugucken
Wissenschaftler wie Paul Watt von der University of London schlagen aufgrund der Entwicklung schon lange Alarm. Vor allem mit dem Niedergang der Sozialwohnungen setzt sich Watt auseinander. Aber er kritisiert auch die Entwicklung auf dem privaten Mietmarkt. „Das Ganze ist wie ein Zugunfall in Zeitlupe, der seit über vier Jahrzehnten andauert“, sagt Watt.
Das Desaster begann unter Margaret Thatcher, die als Premierministerin das „Right to buy“ einführte. Mieter konnten von da an die von ihnen bewohnte Sozialwohnung kaufen – mit Rabatt. Eine Regelung, die bis heute nicht abgeschafft wurde. „Anfang der 1980er-Jahre gab es landesweit noch sechs Millionen Sozialwohnungen. Bis heute sind etwa 2,8 Millionen, also 40 Prozent davon, verkauft worden“ erklärt Watt. Viele der früheren Sozialbauten sind jetzt auch Teil des privaten Mietsektors.
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Doch Mieterschutz kennt Großbritannien eigentlich nicht. Verträge werden häufig nur befristet über sechs oder zwölf Monate geschlossen. Bei Verlängerung sind Mietsteigerungen an der Tagesordnung – zuletzt aufgrund der Inflation häufig im zweistelligen Prozentbereich. London jedoch boomt und auch das treibt die Preise. Viele junge Engländer kommen nach dem Studium für den ersten Job in die Stadt. Und diejenigen, die schon hier sind und trotzdem bleiben, seien gefangen, sagt Watt. „Gerade für junge Familien ist der private Mietmarkt nicht gemacht, sie werden aufgrund der zu wenigen Sozialwohnungen aber dort hinein gedrückt.“
Die Mietenkrise spiegelt sich auch in den Wahlergebnissen wider
Hinzu kommt, dass Hauspreise durch die Decke gegangen sind und normal verdienende Engländer ohnehin nicht mehr kaufen können. Diese Unzufriedenheit der „Generation Rent“ zeige sich auch in den Wahlergebnissen. „Junge Leute wählen Labour, weil die Konservativen nicht mehr ihre Bedürfnisse vertreten“, glaubt Watt.
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Mehr als vier Jahre ist es nun her, seit die Regierung versprach, sich zumindest um das Mietrecht zu kümmern. Doch seit der Ankündigung gab es es vier Premierminister, einen neuen Monarchen und sechs Wohnungsbauminister. Mieterorganisationen bezweifeln, dass es zu einem großem Wurf kommen wird.
Auch in Brent ist man enttäuscht. Promise Knight versucht nun auf ihre Weise, die Situation für Mieter zu verbessern. Ab August müssen sich Privatvermieter in Brent registrieren. So will man schwarze Schafe abschrecken. Gleichzeitig soll die Zahl eigener Sozialwohnungen weiter wachsen – auch durch Zukäufe. Erst kürzlich hatte Brent 85 Millionen Pfund in Hand genommen, um fast 300 Wohnungen zu erwerben.
Warum das „Right to buy“ noch immer ein Problem ist
Wenig hilfreich ist da das „Right to buy“. Allein 2022 musste man 27 bezirkseigene Sozialwohnungen an Mieter verkaufen. Nötig sei eigentlich eine ganzheitliche Politik, die es Kommunen ermögliche, ihren Bestand zu erhalten und gleichzeitig nötigen sozialen Wohnungsbau umzusetzen, findet Bezirkspolitikerin Knight. Doch eine schnelle Linderung ist auch mit diesem Weg nicht in Sicht. In Brent stehen derzeit gut 26.000 Einwohner auf der Warteliste für Sozialwohnungen. Durchschnittlich zehn Jahre beträgt die Wartezeit.