Berlin. Der Klimawandel verwandelt auch den Tourismus. Ist der Urlaub in Italien bald nicht mehr möglich? Ein Tourismusforscher gibt Antworten.

Die Erde erlebt in diesem Jahr laut Weltwetterorganisation (WMO) den wohl heißesten Juli seit Tausenden von Jahren. In Griechenland, Italien und Spanien stehen Wälder in Flammen, Urlauber müssen evakuiert werden. Vielerorts herrschen Temperaturen über 40 Grad. Welche Folgen dies für den Tourismus hat, erläutert der Direktor des Deutschen Instituts für Tourismusforschung, Prof. Bernd Eisenstein, im Gespräch mit unserer Redaktion.

Herr Eisenstein, müssen wir uns angesichts der Extremtemperaturen im Süden neue Reiseländer für den Hochsommer suchen?

Bernd Eisenstein: Der Klimawandel wird voraussichtlich auch zu einem Nachfragewandel im Tourismus in Europa führen. Denn wenn sich das Wetter ändert, ändert sich einer der wichtigsten Attraktionen eines Reiseziels. Für den Mittelmeerraum werden heißere und trockenere Sommer vorhergesagt. Allerdings sind schon heute die Vorlieben der Deutschen bei den Urlaubsreisen sehr unterschiedlich. Ein Teil sucht den Strandurlaub im Süden und wünscht sich Wärme. Allein 40 Prozent der Urlaubsreisen – ab 5 Tagen – führen ans Mittelmeer: nach Spanien, Italien, in die Türkei oder nach Griechenland und Kroatien. Doch immerhin gut jede vierte Urlaubsreise der Deutschen verbleibt im Inland, wo die Temperaturen deutlich gemäßigter sind. Andere beliebte Ziele sind Österreich, die Niederlande oder Polen. Es gibt also Alternativen.

Vor allem Ältere können die Hitze schwerer ertragen. Welche Destinationen eignen sich für sie besser?

Eisenstein: Viele Ältere meiden schon heute die heißen Gebiete, reisen deshalb lieber in die Alpen oder auch an die Nord- und Ostsee. Da sie keine Schulkinder haben, verreisen viele nicht im Hochsommer, sondern zu anderen Zeiten mit niedrigeren Temperaturen. Andererseits gibt es auch eine Klientel, die beispielsweise gerne nach Ägypten oder Jordanien fliegt. Dort herrschen schon seit Jahren regelmäßig im Hochsommer mehr als 40 Grad Hitze.

Welche Ziele könnten angesichts der zunehmenden Wetterextreme im Sommer attraktiver werden?

Eisenstein: Da der Klimawandel auch Nordeuropa trifft, werden die Küsten von Nord- und Ostsee für Badeurlaube noch interessanter. Die Luft wird wärmer und trockener. Hier könnte es mittelfristig zu einer deutlichen Saisonverlängerung an den Stränden und im Küstenhinterland von Deutschland und Skandinavien kommen – geschätzt um jeweils rund ein bis zwei Monate. Das ist auch für die Tourismuswirtschaft sehr attraktiv, da sich Investitionen schneller amortisieren. Andererseits ist ungewiss, welche Nachteile der Klimawandel für Norddeutschland mit sich bringt. Niemand weiß, wie und wo sich der Meeresspiegel genau erhöhen wird und wie sich möglicherweise Küstenlinien verschieben werden. Gleichzeitig leidet bei höheren Temperaturen die Wasserqualität. Es könnte zu Problemen mit Algen, Quallen oder neuen Krankheiten kommen. All das kann keiner mit Sicherheit voraussagen.

Skandinavien könnte zu den Gewinnern im Tourismus werden: Schweden hat viele Inseln mit attraktiven Stränden - und geringeren Temperaturen als am Mittelmeer.
Skandinavien könnte zu den Gewinnern im Tourismus werden: Schweden hat viele Inseln mit attraktiven Stränden - und geringeren Temperaturen als am Mittelmeer. © picture alliance / TT NEWS AGENCY | Caisa Rasmussen/TT

Gibt es in Deutschland genügend Betten, um noch mehr Urlauber zu beherbergen?

Eisenstein: In der Hochsaison des Sommers – also im Juli und August – ist Deutschland praktisch ausgebucht. Aber in den übrigen Monaten ist vielerorts noch genügend Platz. Dennoch gehe ich davon aus, dass manche Orte an der Küste oder im Hinterland ihre Bettenkapazitäten ausbauen, um von einer möglichen neuen Nachfrage zu profitieren. Sollte sich die Nachfrage erhöhen und die Kapazitäten bleiben gleich, kann von einer Preissteigerung ausgegangen werden, Urlaub in Deutschland würde sich dann verteuern.

Lesen Sie hier:Kommentar: Trotz Hitzehölle, Waldbränden und Klimawandel: Keine Panik!

Sollten die Schulferien im Sommer verschoben werden, damit mehr Leute in gemäßigteren Monaten in den Urlaub fahren können?

Eisenstein: Dieser nahe liegende Gedanke sollte gründlich geprüft werden. Im Hochsommer wird es vor allem am Mittelmeer zu heiß. Doch viele Reisende verbringen ihren Urlaub bereits jetzt in anderen Reisezielen. Auch verreisen viele zu anderen Jahreszeiten - beispielsweise, weil sie keine schulpflichtigen Kinder haben. Für diese Klientel ist eine Verlegung der Schulferien, weil es im Sommer am Mittelmeer zu heiß ist, nicht notwendig. Auch wären weitere Kriterien, wie zum Beispiel pädagogische Aspekte in eine Prüfung einzubeziehen. Wir sollten nicht zu schnell nach einer Verschiebung der Ferien rufen.

Wird Skandinavien der neue Wohlfühlort im Hochsommer?

Eisenstein: Die skandinavischen Länder werden neue Chancen im Sommertourismus erhalten. Auch für sie wird sich die Sommersaison verlängern. Dies ist vor allem für Aktivurlauber wie Fahrradfahrer, Wanderer oder Wassersportler interessant. Zudem gibt es in allen Ländern noch unglaublich viele Räume, fernab vom Massentourismus.

Bernd Eisenstein ist Direktor des Deutschen Instituts für Tourismusforschung in Heide. Der 58-Jährige forscht bereits seit 1997 als Professor zur touristischen Nachfrage. Persönlich reist der Vater zweier Kinder gerne ins südliche Afrika, insbesondere nach Namibia und Südafrika, wo er ebenfalls einen Lehrstuhl innehält.
Bernd Eisenstein ist Direktor des Deutschen Instituts für Tourismusforschung in Heide. Der 58-Jährige forscht bereits seit 1997 als Professor zur touristischen Nachfrage. Persönlich reist der Vater zweier Kinder gerne ins südliche Afrika, insbesondere nach Namibia und Südafrika, wo er ebenfalls einen Lehrstuhl innehält. © FH Westküste | FH Westküste

Der Klimawandel führt andererseits auch zu wärmeren Wintern. Was bedeutet dies für den Skiurlaub?

Eisenstein: Auch hier werden die Karten neu gemischt. Viele Orte verlieren ihre Schneesicherheit – und damit das grundlegende Kriterium für einen Skiurlaub. Über Schneekanonen kann dies – wenn überhaupt – nur in höheren Lagen aufgefangen werden. In tieferen Lagen zahlt sich dies aufgrund der hohen Kosten nicht aus; zudem ist der Einsatz umwelt-und klimaschädlich.

In den deutschen Mittelgebirgen und in den tieferen Lagen der Alpen dürfte Skitourismus mittelfristig nicht mehr möglich sein. Hohe Lagen in Österreich und der Schweiz sind hier wiederum im Vorteil. In der Vergangenheit wurde in den Alpen vielerorts die Wintersaison wichtiger als die Sommersaison. Dieser Trend kehrt sich gerade zum Teil wieder um. Immer mehr Orte in den Alpen setzen wieder verstärkt auf das Sommergeschäft, um die Verluste im Winter zu kompensieren. Sie setzen auf Wandern und Klettern, Mountain-Biken und Down-Hill-Radfahren aber auch teilweise wieder verstärkt auf Wellness und Gesundheit.

Für Griechenland, Spanien oder Italien ist der Tourismus eine wichtige Einnahmequelle. Wie können diese Länder für Urlauber trotzdem attraktiv bleiben?

Eisenstein: Die Mittelmeerländer werden voraussichtlich Hochsaisonphasen im Frühjahr und Herbst aufbauen können. Denn Länder wie Italien oder Griechenland sind ja nicht nur wegen des Wetters interessant, sondern auch wegen ihrer kulturellen und natürlichen Angebote. Aufgrund der Hitze im Sommer werden die Reiseziele zu anderen Jahreszeiten interessanter. Zudem ist davon auszugehen, dass verstärkt Klimaanlagen zum Schutz vor der Hitze eingesetzt werden. Problematisch könnten Wasserknappheit und Biodiversitätsverluste werden. Der Mittelmeerraum zählt neben Australien und Neuseeland, den Ländern um den indischen Ozean, dem Pazifik und der Karibik zu jenen fünf räumlichen Hotspots, die von den negativen Folgen des Klimawandels am stärksten betroffen sein werden.

MonatDurchschnittliche Temperatur in Italien gesamt in Grad Celsius
Januar7
Februar8
März11
April15
Mai19
Juni23
Juli26
August26
September23
Oktober18
November12
Dezember8

Wird der Tourismus insgesamt weiter zulegen?

Eisenstein: Der Tourismus steigt weltweit seit Jahrzehnten an. Ein deutlicher Einbruch erfolgte lediglich durch die Corona-Pandemie. Bei den Urlaubsreisen steuert Deutschland in diesem Jahr bereits wieder auf das vorpandemische Niveau, vielleicht sogar auf einen neuen Rekord zu. Je mehr die Mittelschicht weltweit anwächst, desto mehr Menschen werden national und international reisen. Räumliche Mobilität ist ein Wohlstandsmerkmal. Je stärker die Weltwirtschaft verflochten ist, desto mehr Geschäftsreisen gibt es. Persönliche Kommunikation ist auch hier nicht vollständig durch Videokonferenzen ersetzbar. Das Problem dabei: Mobilität und damit der Tourismus sind Treiber des Klimawandels. Denn einen grünen Luftverkehr wird es kurzfristig nicht geben. Das Bahnangebot genügt nicht. Wir müssen aber zu einer möglichst karbonfreien Zukunft der räumlichen Mobilität kommen. Doch das wird einer der größten Nüsse sein, die die Tourismuswirtschaft knacken muss.

Flugscham ist in vieler Munde. Setzen Verbraucher heute bewusster auf ökologisches Reisen?

Eisenstein: Es gibt in Deutschland einen leichten Einstellungswandel zugunsten nachhaltiger Reisen, doch es besteht immer noch eine große Kluft zwischen Einstellung und Handeln. Zwar sagen immer mehr Menschen, dass es für sie wichtig sei, eine ökologische, soziale und faire Urlaubsreise zu machen. Doch bislang sind nur wenige Prozent dann auch bereit, dafür mehr zu bezahlen.

Sollten Reisen deutlich höher besteuert werden?

Eisenstein: Auch dies ist ein Gedanke, den es gründlich zu prüfen gilt. Zumal eine Verteuerung zum Beispiel der Urlaubsreisen erhebliche soziale Folgen mit sich bringen würde. Der Teil der Gesellschaft, der vom Konsum einer Urlaubsreise ausgeschlossen ist, würde anwachsen. Wohlhabende könnten sich zwar einen Urlaub weiterhin leisten, würden aber teilweise auch andere Reiseziele oder Reiseformen wählen. Ein solcher Eingriff würde bei Teilen der Gesellschaft folglich zu erheblichen Frustrationen führen. Denn für Bundesbürger gilt der Urlaub gleich nach Lebensmitteln als das wichtigste Konsumprodukt, auf das sie nicht verzichten möchten.