Essen. Nach der Chemie- präsentiert auch die Stahlindustrie düstere Zahlen. Ein Grund: die Strompreise. Hoffnungen ruhen auf Wirtschaftsminister Habeck.
Nach der Chemieindustrie schlägt eine weitere wichtige Ruhrgebietsbranche Alarm: Deutschlands Stahlhersteller verzeichnen deutliche Rückgänge. Im ersten Halbjahr sank die Rohstahlproduktion im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 5,3 Prozent auf 18,5 Millionen Tonnen, wie die Wirtschaftsvereinigung Stahl mitteilte, in der Unternehmen wie Thyssenkrupp, Salzgitter und Arcelor-Mittal organisiert sind. Im Juni habe der Rückgang gegenüber dem Vergleichsmonat im Vorjahr sogar bei 8,4 Prozent gelegen.
Auch Deutschlands Chemieindustrie, zu der NRW-Konzerne wie Bayer, Lanxess und Evonik gehören, hatte bereits schlechte Zahlen und eine düstere Prognose veröffentlicht. Die Produktion war nach Angaben des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) in den ersten sechs Monaten des Jahres mehr als zehn Prozent niedriger als ein Jahr zuvor. Wenn das Pharmageschäft herausgerechnet werde, betrage der Produktionsrückgang sogar 16,5 Prozent. „Die Zahlen für das erste Halbjahr sind rot und die Produktionskosten am Standort Deutschland nicht wettbewerbsfähig“, sagte VCI-Präsident und Covestro-Chef Markus Steilemann, der das Branchenamt unlängst von Evonik-Chef Christian Kullmann übernommen hat.
Seine Jahresprognose korrigierte der VCI – ähnliche wie wichtige Chemiekonzerne in ihrem individuellen Ausblick – nach unten. Für das Gesamtjahr 2023 rechnet der Verband nun mit einem Umsatzrückgang um 14 Prozent. Zur Einordnung: Im vergangenen Jahr setzten die Mitgliedsunternehmen des VCI rund 260 Milliarden Euro um und beschäftigten knapp 550.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Chemie- und Stahlbranche klagen über hohe Strompreise
Sowohl die Stahl- als auch die Chemieindustrie sehen in den anhaltend hohen Energiepreisen in Deutschland ein großes Problem. Gegenwärtig seien die Strompreise „noch rund dreimal so hoch wie vor Beginn der Energiekrise“, gibt die Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl, Kerstin Maria Rippel, zu bedenken. Dies habe sich bei der stromintensiven Elektrostahl-Herstellung besonders stark ausgewirkt. Dort sei die Produktion in den ersten sechs Monaten im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 13 Prozent gesunken.
„Die deutlich zurückgehende inländische Produktion zeigt unmissverständlich: Die Stahlindustrie in Deutschland steht unter Druck“, so Rippel. „Und das hauptsächlich bedingt durch die nach wie vor zu hohen Stromkosten in Deutschland.“Auch wenn die Stromkosten gesunken seien, lägen sie immer noch über Vorkrisenniveau, betonte VCI-Präsident Steilemann. Er wirbt für einen staatlich subventionierten Industriestrompreis, der der Branche helfen solle, bis genug Strom aus erneuerbarer Energie zur Verfügung stehe – etwa Anfang der 2030er-Jahre.
Habeck für „Industriestrompreis“
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), der am Mittwoch (26. Juli) zu einem Besuch bei Thyssenkrupp in Duisburg erwartet wird, dringt auf eine baldige Entscheidung über die Einführung eines staatlich subventionierten Industriestrompreises. „Wenn wir nur noch lange reden, dann machen die Unternehmen ihre eigenen Entscheidungen – und die werden dann nicht mehr für den Standort Deutschland sein“, sagte Habeck vor wenigen Tagen.
Der Minister schlägt vor, bis zum Jahr 2030 für energieintensive Unternehmen den Strompreis auf sechs Cent pro Kilowattstunde zu deckeln. Das Geld – voraussichtlich Milliardensummen – soll nach seinen Plänen aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds kommen. Dieser in der Corona-Pandemie errichtete Sondertopf wurde in der Energiekrise reaktiviert, um deren Folgen abzufedern. Die FDP lehnt sowohl einen staatlich subventionierten Industriestrompreis als auch eine Öffnung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds ab. Unterstützung bekommt Habeck aus den Reihen der SPD, von Gewerkschaften sowie Wirtschaftsverbänden.
Evonik-Chef Christian Kullmann warnte vor wenigen Wochen im Deutschlandfunk vor einem „energiepolitischen Desaster“ für die Bundesrepublik, wenn es keine Verbesserungen gebe. Die Preise für Strom und Energie in Deutschland zählten weltweit zu den höchsten, sagte Kullmann. Auch die von der Bundesregierung angedachten sechs Cent pro Kilowattstunde für energieintensive Unternehmen seien als Entlastung nicht ausreichend.