Wittgenstein. Kreistagspolitiker verweisen auf erhöhte Werte bei gesundheitsgefährdenden PFAS, etwa aus der Industrie. Doch im Kreishaus reagiert man gelassen.

PFAS, sogenannte „Ewigkeitschemikalien“, von de­nen einige der Gesundheit des Menschen gefährlich werden können, beschäftigen auch die Politik im Kreis Siegen-Wittgenstein. So verweist die Kreistagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen in einer Anfrage auf mehrere Mess-Ergebnisse kreisweit. „Ein absoluter Spitzenwert“ sei 2021 im Oberflächenwasser der Sieg bei Siegen gemessen worden – mit 4700 Nanogramm pro Liter. Und auch in der Eder auf Bad Berleburger Stadtgebiet wurde nach Recherchen von WDR, NDR, Süddeutscher Zeitung und internationalen Partnern 2018 ein Wert von immerhin 37,2 Nanogramm festgestellt – möglicherweise mit einem Unternehmen im benachbarten Hessen als Verursacher.

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PFAS – hinter der Abkürzung verbergen sich Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen (englisch: per- and polyfluoroalkyl substances, abgekürzt PFAS). Nach Angaben des Kreisumweltamtes war diese Stoffgruppe früher auch unter der Bezeichnung „PFC“ (perfluorierte Chemikalien) oder „PFT“ (perfluorierte Tenside) bekannt. Dabei handele es sich „um synthetisch hergestellte, langlebige organische Verbindungen, die in der industriellen Produktion und in bestimmten Branchen […], aber auch […] bei Löschschäumen eingesetzt werden“. Sie könnten Böden und Grundwasser belasten.

Kreis sieht kein Grund zur Sorge

Bislang habe es „für die Umweltbehörden keine verbindliche beziehungsweise einheitliche Grundlage gegeben“, so das Kreisumweltamt, „nach der eine flächendeckende, systematische Untersuchung von PFAS-Belastungen hätte durchgeführt werden können“. Mit einer Novelle der Bundes-Bodenschutz- und Altlasten-Verordnung zum August 2023 sollten „Prüfwerte für verschiedene wenige PFAS“ festgelegt werden.

Stichwort: PFAS

Zur Gruppe der PFAS gehören mehrere Tausend Chemikalien. Sie kommen in zahlreichen Produkten wie Shampoos oder Pizzakartons zum Einsatz und sind extrem langlebig. Verschiedene Studien kommen zu dem Schluss, dass PFAS Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit haben oder zu Entwicklungsverzögerungen bei Kindern führen können. Auch ein erhöhtes Risiko für bestimmte Krebsarten wird angeführt.

In der EU-Trinkwasserrichtlinie sind derzeit keine Grenzwerte für PFOS, PFOA oder andere PFAS enthalten. Im Rahmen der Überarbeitung der Richtlinie wurde allerdings vorgeschlagen, einen Grenzwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter (μg/l) für die Summe der PFAS festzusetzen. 0,1 Mikrogramm entsprechen 100 Nanogramm.

Laut Nachrichtenagentur AFP fordern Deutschland, Dänemark, Norwegen, die Niederlande und Schweden inzwischen ein Verbot der ewigen Chemikalien. Die Länder haben ihre Forderung im Januar bei der EU-Chemikalienagentur ECHA eingereicht. Eine Regelung müsste die EU-Kommission ausarbeiten, die sie dann den Mitgliedstaaten vorschlägt. Mit einer Umsetzung des Verbots wird daher frühestens 2026 gerechnet.

Mehr Infos zu PFAS im Internet-Auftritt des Bundesumweltministeriums: https://www.bmuv.de/faqs/per-und-polyfluorierte-chemikalien-pfas

Die Messwerte aus den erwähnten Recherchen kann die Kreisverwaltung nach eigenen Angaben nicht nachvollziehen. Sie stünden jedenfalls nicht in einem Zusammenhang mit Daten aus der Statistik des NRW-Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz, die sich „auf gemeldete Fälle von PFAS-Belastungen im Boden und Grundwasser“ bezögen.

Hessisches Unternehmen im Visier

Konkret seien der Kreisverwaltung „für das Kreisgebiet keine signifikanten PFAS-Belastungen bekannt“, reagiert das Kreisumweltamt auf die Anfrage der Grünen. Punktuell erhöhte Werte in Böden und Grundwasser könnten „zum Beispiel durch Löschmittel bei Brand-Ereignissen und Löschübungen erfolgen, bei industriellen Anwendungen (Galvanik, Textilindustrie, Papierindustrie) oder auf Deponien“.

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So war bei den Recherchen auch ein Unternehmen im nahen Hessen als möglicher Verursacher in den Fokus geraten. Schriftliche Anfragen unserer Redaktion zu Messdaten, die womöglich auf erhöhte PFAS-Belastungen durch die laufende Produktion hinweisen und nach eigenen Aktivitäten zur PFAS-Vermeidung hat die Firma bislang unbeantwortet gelassen.

Kläranlagen: Keine erhöhten Messwerte

Könnten auch Kläranlagen in Wittgenstein mit PFAS belastet sein? Beispielsweise die im Bad Berleburger Ortsteil Beddelhausen in direkter Nachbarschaft zu Hessen? „Uns liegen keine erhöhten Messwerte vor, da es sich bei den Abwässern auf den Kläranlagen der Stadt Bad Berleburg weitestgehend um häusliche Abwässer handelt“, sagt dazu auf Anfrage unserer Redaktion die stellvertretende Leiterin der Bad Berleburger Stadtwerke, Katja Herling.

Zwar würden im Rahmen der Klärschlamm-Analysen polyfluorierte Chemikalien gemessen, doch die Ergebnisse befänden sich „im unteren Grenzbereich“. Und: „Un­sere Klärschlämme werden ausschließlich der thermischen Verwertung zugeführt. Insofern wurden keine erhöhten Messwerte festgestellt.“

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Sicher: Einige Häuser der Gemeinde Hatzfeld seien an die Transportleitung zur Kläranlage Beddelhausen angeschlossen, so die stellvertretende Stadtwerke-Leiterin weiter. „Hierbei handelt es sich aber nur um häusliches Abwasser“ – etwaige Betriebe und Unternehmen etwa aus Hatzfeld seien dagegen nicht angeschlossen.

Die Kläranlage an der Bad Berleburger Limburgstraße: Auch hier wird Klärschlamm nach Angaben der Stadtwerke auf polyfluorierte Chemikalien analysiert.
Die Kläranlage an der Bad Berleburger Limburgstraße: Auch hier wird Klärschlamm nach Angaben der Stadtwerke auf polyfluorierte Chemikalien analysiert. © Eberhard Demtröder