Wittgenstein. Am 12. Oktober 1891 stirbt Förster Kroh – mit einer Schusswunde im Gesicht wird er gefunden. Der Skandal um Mord und Prozess fesselt die Leute.
Es war der Skandal im Wittgenstein des ausgehenden 19. Jahrhunderts schlechthin: Der beliebte Förster Friedrich Kroh wird mit einer großen Schusswunde im Gesicht tot im Wald bei Dotzlar aufgefunden. Angeklagt wird deswegen der verwegene und berühmt-berüchtigte Wilderer Johannes Wagebach aus Weidenau. Der Mord, die Ermittlungen und der Prozess halten vor genau 131 Jahren eine ganze Region in Atem.
„So hatte ich mir einen Förster vorgestellt: stattlich, mit einem Vollbart, und so ein Förster wollte ich einmal werden.“ So beschreibt Heiko Haumann in dem Buch „Wo Wild ist, da wird auch gewildert: Historische Waldkonflikte im Wittgensteiner Land und Siegerland“ (herausgegeben von Dieter Bald, Peter Bürger, Heiko Haumann und Klaus Homrighausen) ein Bild seines Ururgroßvaters Friedrich Kroh, das er an seine Zimmerwand gehängt hatte.
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Mit seiner Großmutter hatte er mehrmals das Denkmal, das Kroh gewidmet ist und noch heute zu finden ist, besucht – später sollte er den Mord an seinem Großvater aufarbeiten und historisch einordnen. 131 Jahre genau ist es am 12. Oktober 2022 her, dass der Förster Kroh blutüberströmt bei Dotzlar gefunden wurde – mit einer Schusswunde mitten im Gesicht. Die Menschen in der Region waren geschockt von dem brutalen Ableben Krohs. Aber was war geschehen?
Tot bei Dotzlar aufgefunden
Die Geschichte beginnt mit dem Lebensende des Friedrich Kroh: Der Gastwirt Wilhelm Hartmann aus Dotzlar macht sich am 13. Oktober 1891 auf die Suche nach seinem Schwiegervater Friedrich Kroh. Der war einen Tag zuvor im Wald unterwegs und war nicht zurückgekehrt. „Seinem Enkel hatte Kroh zugerufen, er wolle noch einen Fuchs schießen. Hartmann fand ihn ,todt am Waldsaum oberhalb Dotzlar’ liegen, die doppelläufige Flinte mit geschlossenen Hähnen mit dem Kolben unter dem rechten Arm“, schreibt Haumann.
Friedrich Kroh ist beliebt, die Bevölkerung geschockt. Zwar wurden Wilderer hier und da gedeckt, aber: „Ein Mord ging zu weit“, so Haumann. Der Fürst, das schreibt Haumann, setzt also am 14. Oktober 1891 eine Belohnung von 1000 Mark für Hinweise aus, die zur Bestrafung des Mörders führen sollen.
Daraufhin beginnen umfangreiche Ermittlungen in zahlreiche Richtungen und mit mehreren Verdächtigen. Bewohner Dotzlars werden befragt, Hausdurchsuchungen angeordnet. Doch die Ermittlungen geraten ins Stocken – bis im Januar 1892 ein Mordversuch auf den Förster Hartnack verübt wird und ein Zusammenhang zum Fall Kroh hergestellt wird.
Wilderer beteuert seine Unschuld
Ein Landwirt ist es schließlich, der die Aufmerksamkeit der Ermittler auf Johann Wagebach lenkt – ein mehrfach vorbestrafter und berühmt-berüchtigter Wilderer, der erst wenige Jahre zuvor vor dem Gesetz floh und nach Brasilien auswanderte. 1891 war er in die Wittgensteiner Wälder zurück gekehrt. Seine Beschreibung passt nun auf die, die der Förster Hartnack über seinen Angreifer zu Protokoll gibt.
„Wagebach wurde festgenommen, eine Hausdurchsuchung fand statt, und obwohl der Verdächtige alles abstritt, stellte der Untersuchungsrichter am 3. März 1892 einen Haftbefehl aus“, schreibt Haumann. Wagebach wird noch ein weiterer Mord an einem Förster zugeschrieben – gleichzeitig gehen die Ermittler aber noch weiteren Verdächtigen wie anderen Wilderern nach. Auch die Gebrüder Stenger bleiben im Fokus der Ermittler, bis sich deren Alibi immer mehr verdichtet.
Am 27. Juni 1892 schließlich beginnt der Prozess gegen Wagebach vor dem Königlichen Schwurgericht in Arnsberg. Ein zeitgenössischer Berichterstatter beschreibt das große Interesse der Bevölkerung: „Unter sehr starkem Andrange des Publikums, so dass der Zuhörerraum bis auf den letzten Platz gefüllt war, begann heute die Verhandlung gegen den angeblichen Doppelmörder J. Wagenbach.“ Der Angeklagte „sieht verschlagen und listig aus, die Augen blicken unstät, zuweilen tückisch; der kohlschwarze Vollbart und das gleiche Haar, das der Angeklagte trägt, dazu das bleiche Gesicht, geben dem Manne ein unheimliches Aeußeres“.
Fragwürdiger Prozess
Klare Indizien gegen Wagebach werden vor Gericht jedoch nicht vorgetragen, stattdessen stützt sich die Anklage auf Gerüchte und die Aussage eines weiteren Wilderers, der kurzzeitig ebenfalls zum Kreis der Verdächtigen gehörte. Wagebach jedenfalls bestreitet weiter seine Schuld am Tod des Försters. Das Gericht jedoch glaubt ihm nicht und verurteilt ihn zum Tod. Aus heutiger Sicht, so Haumann, war die Prozessführung fragwürdig. Einer der Geschworenen war der Fürst, der ein gesteigertes Interesse daran gehabt haben möge, ein Exempel zu statuieren.
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Zudem verbreiteten sich des Öfteren Gerüchte über andere, die die Mörder gewesen seien. Ein Mann aus Dotzlar behauptete später, den wahren Mörder zu kennen. Wagebach halfen die Zweifel jedoch nicht, selbst Wilhelm, der König von Preußen, lehnte eine Begnadigung ab. Am 24. Juni 1893 wird Wagebach um 6 Uhr morgens mit dem Beil enthauptet. Sein letztes Abendmahl sowie den Zuspruch des Pfarrers hatte er noch trotzig missachtet.