Wunderthausen. „Elsoff-Philharmonie“ nennt Dr. Holger Finkernagel sein neuestes projekt. Was das mit Westernheld John Wayne zu tun hat, erzählt er im Interview.

Der Bad Berleburger Allgemeinmediziner Dr. Holger Finkernagel hat nach seinem Umzug in den Ort Wundert­hausen gerade die Scheune seines Anwesens am Dorfweg umgebaut. Hier geben sich nun Künstler die Klinke in die Hand. Und großes Kino soll’s demnächst auch geben, verrät der 79-Jährige im Interview mit unserer Redaktion.

Zunächst einmal: Warum braucht ein Dorf wie Wunderthausen unbedingt ein neues Kulturangebot?

Dr. Holger Finkernagel: a) Weil ich weit weg bin von der Kultur. Und so beschloss ich, sie zu mir zu holen. b) Weil es den Dorfbewohnern genauso geht und ich erstaunt bin, mit wie viel Interesse das Projekt beobachtet wird. Es soll halt auch das Dorfleben bereichern. So plane ich, ab Oktober alle vier Wochen einen Cowboy-Film anzubieten. Jeder kann kommen, es kostet nix. Jeder bringt sein Bier und so weiter mit und seine Chips, ansonsten ist alles kostenlos.

Wie kamen Sie auf die Idee, selbst für mehr Kultur in ihrem derzeitigen Wohnort zu sorgen – ganz offensichtlich in der umgebauten Scheune Ihres eigenen Anwesens? War zum Beispiel Dr. Ralf Wied mit seiner Haflingerhütte als Kultur-Location in Erndtebrück ein Vorbild?

Ich weiß nicht, wie lange Ralf – übrigens ein guter Freund – das macht. Wir begannen mit den Stallgesprächen jedenfalls im August 2021. Ich weiß aber, dass es in der Umgebung zahlreiche solche Projekte gibt. Meine Frau und ich finden fast jede Woche ein neues Projekt – und das mit der Kulturscheune gibt es bundesweit sehr häufig.

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Ganz ehrlich: Wie ernst ist es Ihnen mit Ihrem Projekt?

Steckbrief

Dr. Holger Finkernagel (79) wächst am Ende des Zweiten Weltkrieges in Gießen und im ausgebombten Herborn auf. Mit der Hochschulreife in der Tasche beginnt er ein Medizin-Studium.

Seine Frau Ulrike lernt er in der Tanzschule kennen – mit ihr führt er eine glückliche Ehe. Wichtig sind dem 79-Jährigen aber auch seine drei Kinder und seine Arztpraxis, die er 2024 ins 50. Jahr führen würde.

Finkernagels Hobbys: „Laufen, Laufen, Laufen.“ Lange war er Vorsitzender des Tennisclubs TC Wittgenstein und der Leichtathletik-Gemeinschaft LG Wittgenstein. Der gebürtige Hesse hat 247 Marathons und 58 Ultramarathons hinter sich gebracht. Bei einem Lauf von Coburg auf die Zugspitze haben Finkernagel und seine Mitstreiter schon vor einiger Zeit rund eine Million Euro für früh sterbende Kinder gesammelt. Durch einen Lauf von Berlin nach Rom hat der Berleburger Mediziner zwei Promotionen finanziert. 1972 war er Mitbegründer des Tennisclubs Wittgenstein.

Außerdem war Finkernagel mehrere Jahre ärztlicher Leiter der früheren Bad Berleburger Flüchtlingsunterkunft.

Das Projekt ist meines Erachtens schon eine wichtige Aufgabe. Kürzlich hatten wir eine Professorin hier, die im Schwarzwald solche Projekte begleitet hat unter dem Aspekt der Landflucht und der sich umkehrenden Entwicklung. Butzbach im Hessischen ist in Deutschland der führende Ort für „Rückkehrer“ in ihre alten Heimat-Städte oder -Dörfer. Allein die Investitionskosten wären nur zu verstehen, wenn man so etwas aus ganzem Herzen macht.

Wie erfährt das Publikum denn in der Regel von Ihren Veranstaltungen?

Zu den philosophischen Stallgesprächen wird persönlich eingeladen – zu Musikveranstaltungen dann über die Presse, wenn es um bekannte Interpreten geht, die auch ziemlich viel Geld bekommen. Beide Wege sind bedeutsam.

Wuppen Sie das Ganze organisatorisch allein – oder haben Sie vor Ort Unterstützung?

Meine Frau und ich organisieren das allein, manchmal kommen Studenten aus Kassel, aus der Hochschule und helfen uns.

Warum nennen Sie Ihre Kultur-Location „Elsoff-Philharmonie”?

Der Vergleich mit der „Elbphilharmonie“ ist von einem Namensgeber, nicht von uns. Beide Orte verbindet der Preis der Investition und die Dauer der Realisierung – und natürlich die Tatsache, dass im Vordergrund die klassische Musik steht und meine Frau sich auf den Flügel freut, der nächste Woche kommen soll und ich gerade lerne, mit einem Saxophon Musik zu machen.

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Wie kamen Sie eigentlich dazu, aus der Bad Berleburger Kernstadt nach Wunderthausen „auszuwandern“?

Und das spielt auch eine große Rolle: Wir brannten in der Wohnung in der Schützenstraße aus, nachdem wir vom Hillerbach dort hingezogen waren. Wir saßen in Langewiese schon zwei Monate fest und lasen, dass in Wunderthausen ein Bauernhof zu verkaufen sei. Hingefahren, gekauft und das war‘s… Ein Bank-Mitarbeiter meinte daraufhin: „Wie können Sie nur nach Wundert­hausen ziehen? Das liegt doch hinter dem Mond. Da liegt noch Schnee, wenn in Diedenshausen schon die Veilchen blühen.“

Wir zogen um und stellten fest, dass das Leben auf einem Dorf ein großer Qualitätsgewinn für uns wurde. Nicht nur wunderbare Menschen konnten wir treffen, nein: Es ist einfach viel mehr in unserer Nähe als das bürgerlich-kleinstädtische Leben in Bad Berleburg. Wir haben noch keinen Tag bedauert. Und all diese freundlichen Menschen lassen mir Wunderthausen zum Nabel unserer Welt werden.

Beispiel „Wunderthäuser Stallgespräche“, nach Ihren Angaben Treffen zu rein philosophischen Themen: Wer nimmt da auf dem Podium teil, wer hört da zu?

Es sind immer Referenten, die sich in philosophischen Fragen gut ausdrücken können. Themen: „Empathie: Hatte Darwin auch in unserer Seele recht?“, „Hexenkulte“ parallel zur Ausstellung in Arnsberg, Referent ein darin promovierter Berleburger, der lange in Westafrika Hexenkulte studierte. Dann Frau Prof. Gothe vom Bodensee: „Dorfentwicklung – Earthship: ein Paradies für Selbstversorger“ und gerade erst am Wochenende „Brücken bauen – Brücken schlagen“ mit Egon Schneiders aus Bad Berleburg.

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Am 22. Oktober 2022, 19 Uhr, soll Anna Heller aus München kommen, eine bekannte Pianistin – mit einem Klavierabend „Klassik für die Sinne“. Und im November die „Kiez-Poeten“ aus Berlin, in der Szene wohl auch nicht ganz unbekannt. Wie begeistert man solche Künstler für ein Gastspiel in Wittgenstein?

Anna Heller war von dem Projekt so begeistert, dass diese hochkarätige Künstlerin auch kostenlos gekommen wäre. Sie liebe Experimente in der Musik und war Feuer und Flamme. Die „Kiez-Poeten“ sind in Berlin und, soweit ich weiß, in ganz Deutschland unterwegs und fragten mich ungläubig, was ich da mache. Sie waren auch begeistert, als ich sagte, ich kann vom Land aus immer nur schlecht „zur Kultur“, also hole ich sie hierher. Wir haben ja auch schon einmal den Elsoff-Pokal im Darts ausgetragen. Er soll viermal im Jahr ausgespielt werden, um dann ein Turnier der Gewinner zu machen.

John Wayne als Hondo Lane in dem US-Western „Man nennt mich Hondo“ aus dem Jahr 1953. Der Hauptdarsteller des Films wird in der „Elsoff-Philharmonie“ demnächst öfter zu sehen sein.
John Wayne als Hondo Lane in dem US-Western „Man nennt mich Hondo“ aus dem Jahr 1953. Der Hauptdarsteller des Films wird in der „Elsoff-Philharmonie“ demnächst öfter zu sehen sein. © TMG | Tele 5

Sie planen offenbar auch Kunstausstellungen. Mit welchen Akteuren konkret?

Künstler aus Bad Berleburg haben bei mir angefragt, ob sie eine Ausstellung in der „Elsoff-Philharmonie“ machen dürften. Zwei Künstler aus Bargemon in Südfrankreich wollen extra einmal anreisen, um Lithografien und Fotografien auszustellen. Eine Galerie in Schmallenberg will Bilder ausstellen.

Im Moment hängen Lithografien unterschiedlicher Künstler von Sonnewend, der in Bad Berleburg seine deutsche Laufbahn begann, über Dorothy Iannone, Wolfgang Kreutter und Roswitha Kunze bis zu dem erst vor wenigen Tagen leider verstorbenen Maler Prof. Otto Schmethüsen. Die Wintermonate über werden ein bis zwei Vernissagen gemacht, immer mit einem musikalischen Rahmen.

Sie wollen außerdem alle vier bis sechs Wochen kostenlos einen Film zeigen – und haben für den Start 30 John-Wayne-Filme gekauft. Mit wieviel und welchem Publikum rechnen Sie denn da?

Ich möchte den älteren Menschen die Möglichkeit geben, sich da zu treffen, sich gemeinsam an „alte Zeiten“ zu erinnern und die verlorene Atmosphäre wieder aufleben zu lassen. Es kostet nichts, sie sind alle meine Gäste. Wir verkaufen aber nichts und wollen schon gar nichts daran verdienen.

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Abgesehen von Ihrem Wunderthäuser Projekt: Inwieweit sind Kunst und Kultur womöglich ohnehin schon Ihre Hobbys?

Vor 50 Jahren bin ich den Düsseldorfer Kunstverein eingetreten. Viele meiner Grafiken stammen aus der Zeit. Gemalt habe ich immer, wenn ich Zeit dazu habe, meist Aquarelle. Aber nur für mich, bestenfalls für meine Frau. Klassische Musik war immer das, was ich liebte und zur Entspannung hörte.

Bei meinem dritten Badwater-Ultra-Lauf wurde ich über viele Jahre Halter des Rekords. Warum? Weil ich zuvor in Los Angeles in der Oper war und mir eine CD der Tenöre von dort mitnahm. Sie beflügelten mich im wahrsten Sinne des Wortes.

Und Schreiben: Allen meinen extremen Läufen widmete ich einen mehr oder weniger langen Text. Die Veröffentlichung anlässlich eines großen Wettbewerbs ließ mich dann in meiner Kategorie den jeweils 1. Platz gewinnen.

Also, wenn ich mich als erfolgreicher „Künstler“ bezeichnen würde, dann eher als Schriftsteller. Ich bezeichne mich überhaupt nicht als Künstler – wenn schon, dann als Kunstinteressierter.

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