Bad Berleburg. Das Risiko für den Agrarbetrieb ist auch heute hoch. Im 19. Jahrhundert gründeten Bauern Rindviehversicherungen. Ein Blick auf die Entwicklung.

Eine verheerende Tierseuche, die Rinder befällt. Ein Feuer, das die Stallungen zerstört. Ein Wolf, der draußen auf der Schafweide wütet. Alles Gründe genug für heimische Landwirte, das Inventar ihres Hofes samt Tierbestand gut zu versichern. Es könnte sonst die Existenz bedroht sein. „Das Risiko ist einfach zu hoch“, sagt der Siegen-Wittgensteiner Kreislandwirt Lot­har Menn aus Erndtebrück, selbst Besitzer von immerhin 120 Kühen. Erkannt haben das im 19. Jahrhundert auch die damaligen Wittgen­steiner Bauern – und gründeten sogenannte Rindviehversicherungen als Vereine.

Ausfallversicherungen heute

„Größere Betriebe haben eine Ausfallversicherung, wir auch“, weiß Menn. „Sonst kann man auch gleich Insolvenz anmelden.“ Jahrzehntelang habe es gar keine Versicherungen mehr für das Vieh gegeben, erinnert sich der 66-Jährige. Heute sei eine Absicherung allein schon deshalb sinnvoll, wenn Tierseuchen kommen“ – und im schlimmsten Fall für den Landwirt sein gesamter eigener Bestand getötet werden muss, etwa bei der Maul- und Klauenseuche, Schweinepest oder Geflügelpest.

Lesen Sie auch: Arfeld: Milcherei Henk startet mit der Produktion

Versicherungen damals

Mit den Versicherungen damals befasst sich in der Zeitschrift „Wittgenstein – Blätter des Wittgensteiner Heimatvereins e.V. (Jahrg. 109, Dezember 2021, Bd. 85 H. 3) der Berghäuser Heimatfreund Bernd Stremmel. „Viehversicherungen, hier Rindviehversicherungen, wurden zur Absicherung hauptsächlich von Nebenerwerbslandwirten (mit nur wenigen Tieren) gegründet, um bei Verlust eines Tieres den wirtschaftlichen Schaden für den Besitzer möglichst gering zu halten“, heißt es in seinem Beitrag. „Neben Rindviehversicherungen sind auch solche für Pferde und Schweine bekannt.“

Die Einnahmen

Geflügelpest, Maul- und Klauenseuche oder Schweinepest – die Art der Bedrohung durch Tierseuchen für die Landwirtschaft ist durchaus vielfältig.
Geflügelpest, Maul- und Klauenseuche oder Schweinepest – die Art der Bedrohung durch Tierseuchen für die Landwirtschaft ist durchaus vielfältig. © Michael Kleinrensing

Zu notwendigen Einnahmen kamen die Vereine „durch Mitgliedsbeiträge, aber auch durch ,Eintrittsgelder‘ für jedes neu zur Versicherung gemeldete Rind“. Versicherungsbedingung unter anderem: die gemeldeten Rinder müssen gegen Tuberkulose geimpft werden.

Lesen Sie auch: Dekorierte Traktoren bringen Weihnachten nach Bad Berleburg

Der Versicherungsfall

Und wann tritt der Versicherungsfall ein? „Der Verein entschädigt bei Tod oder Notschlachtung 75 Prozent des Schadens“, schreibt Stremmel – „auch dann, wenn das Fleisch bei einer Hausschlachtung amtlich beanstandet wurde“. Keine Entschädigung gebe es jedoch „bei Verlusten durch Brandschaden oder Blitzschlag, durch Viehseuchen sowie durch Krieg oder Aufruhr“. Außerdem: Entschädigte Rinder gehen ins Vereinseigentum über – im Klartext: Der Erlös des verkauften Fleisches wanderte in die Vereinskasse.

Die Entschädigungen

Entschädigungen würden heute meist gezahlt beispielsweise nach Stall-Bränden oder eben Tierseuchen, so Kreislandwirt Menn. Bei Verdacht auf Wolfsrisse dagegen sei die Sache schwieriger, hat er erfahren, da die Entschädigung in erster Linie nicht von der Versicherung, sondern vom Land NRW gezahlt werde – allerdings erst nach eingehender Prüfung, ob sich der Verdacht auch bestätige. Leider sei für viele Schafhalter etwa der damit verbundene bürokratischer Aufwand einfach zu hoch. Eine private Versicherung sei für solche Fälle zusätzlich empfehlenswert.

Lesen Sie auch: Wingeshausen: Bei Heike Born gibt es pädagogische Hühner

Die Vereinsgründungen

In welchen Dörfern gab es eigentlich die Rindviehversicherungen? Gegründet wurden sie zum Beispiel in Berleburg 1837, in Wemlighausen 1870, in Berghausen 1897 oder in Elsoff 1937. Außerdem gab es nach Bernd Stremmels Recherchen „Schweineversicherungen in Berleburg, Arfeld, Berghausen, Girkhausen, Schüllar, Wemlighausen und Wingeshausen“.

Kreisverband bietet Beratung an

Der Landwirtschaftliche Kreisverband Siegen-Wittgenstein kümmert sich als Berufsvertretung der heimischen Bauern um ihre Anliegen.

Er vertritt die Bauernfamilien gegenüber Politik und Öffentlichkeit und macht Beratungsangebote. Er berät unter anderem im Entschädigungs- sowie Enteignungsrecht, aber auch bei Personen- und Sachversicherungen.

Versicherungsunternehmen bieten Produkte wie etwa eine Tierhalter-Haftpflicht für Haus-, Weide, Mast-, Zucht-, Zug- und Reittiere an – oder auch spezielle Versicherungen für Landwirte und deren Bestand an Vieh, das auch als „Lebendes Inventar“ bezeichnet wird.

Mehr Infos im Internet: https://wlv.de/kreisverbaende/siegen_wittgenstein/index.php

Über die Berghäuser Rindviehversicherung schreibt Stremmel: Sie „wurde am 26. September 1897 gegründet. Ende des Jahres waren dem Verein 56 Versicherte beigetreten, die 196 Stück Rindvieh angemeldet hatten.“ Nach Angaben des Autors gehörten 1931 mit 60 Mitgliedern und 234 Tieren die meisten Landwirte Berghausens als Nebenerwerbsbetriebe dem Verein an.

Lesen Sie auch: Wittgenstein: Weniger Geflügelmastbetriebe als noch 2010

Nach dem Zweiten Weltkrieg

Aber auch nach dem Zweiten Weltkrieg „blieb die Mitgliederzahl und damit auch die der Tiere noch einige Jahre konstant“, berichtet Bernd Stremmel. „Mancher Arbeiter war froh, wenn er außer seinem nicht üppigen Lohn auch noch einige Liter Milch an die Molkereigenossenschaft Raumland liefern und von dem Erlös die Haushaltskasse aufbessern konnte.“ In Berghausen wurde das „Milchgeld“ von einem Mitarbeiter der „Spar- und Darlehenskasse“ bar in einem Nebenraum der Gastwirtschaft „Zur Linde“ ausgezahlt. „Da bestand allerdings die Gefahr einer Minimierung, wenn der Empfänger sich, zur Genugtuung des Wirtes, noch etwas länger in der Wirtsstube aufhielt.“

Die Bewertungskommission

Der „Besuch der Bewertungskommission – meistens am Sonntagvormittag – war für den Landwirt und seine Frau eine aufregende Sache“, so Stremmel, „wollte man doch den Stall samt den Tieren von der besten Seite zeigen. Bereits am Samstagabend wurden den Tieren die Schwänze gewaschen und das Fell gestriegelt.“ Danach spendierte der Landwirt noch allen einen Schnaps – und die Hausfrau wartete zuweilen mit einem Eierkuchen auf.

Lesen Sie auch: Kreislandwirt Menn: Regionalplan ist schleichende Enteignung

Die Versicherungsprämie

1931 lag der Jahresbeitrag bei einem Prozent der Versicherungsprämie pro Tier – Stremmel: „Das bedeutete, dass für eine Kuh, die mit einer Prämie von 900 Reichsmark versichert war, ein Jahresbeitrag von 9 RM in die Vereinskasse abzuführen war.“ Ab 1965 wurde der Beitrag in Berghausen auf 1,5 Prozent erhöht – bis zur Auflösung des Vereins im Jahr 1973.

Das Ende der Versicherungen

„Die Viehversicherungen sind ja damals deswegen eingeschlafen, weil von den Landwirten viele aufgehört haben“, so Kreislandwirt Menn. Dem gegenüber seien durch den Strukturwandel in der Landwirtschaft andere Betriebe größer geworden – „und mussten viel mehr Beiträge bezahlen“. Da sei es dann „am Ende günstiger gewesen, dass die Kuh ohne Versicherung stirbt“. Die Versicherungen seien erst dann wieder aufgekommen, als der Gesetzgeber sie den Agrarbetrieben wieder nahegelegt habe, so Menn.